Babybedenkzeit - Reif für ein Baby?
Das Projekt ermöglicht Jugendlichen, sich als Eltern zu erproben – und klärt auf.
Jetzt grad ist es mal still im Storchennest im Schulzentrum Neustadt. Acht junge Mädchen sitzen an einem Tisch, trinken Tee und sehen müde aus. Acht Säuglinge liegen in ihren Bettchen und schlummern. Plötzlich beginnt ein Baby zu schreien – laut und heftig. „Ach herrje!“, ruft die 15-jährige Jessica und springt auf. Die ganze Nacht schon sei das so gegangen – aber drei Stunden muss sie noch durchhalten, dann kann sie ihre kleine Tochter wieder abgeben.
Denn Jessica ist noch keine Mutter. Sie ist Schülerin der Gesamtschule Ost und nimmt an dem Projekt „Babybedenkzeit“ teil. Während sie das Baby auf ihren Schoß setzt und ihm eine Plastikflasche an den Mund setzt, hält sie sanft das Köpfchen. Da muss sie sehr vorsichtig zu sein – denn die Kinder neigen schnell zu Genickbrüchen. Sterben können sie daran zum Glück nicht – schließlich sind die Babys „nur“ Simulatoren. Aber nahezu lebensecht: Sie schreien, sie schmatzen und sie haben die gleichen Bedürfnisse wie echte Babys. Ein Chip im Inneren der Simulatoren zeichnet alles auf – und wenn die Schülerinnen (oder Schüler) schlecht für ihre „Kinder“ sorgen, dann schreien die Kinder heftiger, öfter und lauter.
*Babyzeit? Erst Mal überdenken*
Eine ganze Woche lang dauert das „Babybedenkzeit“-Projekt. Angeboten wird der „Babyunterricht“ in Bremen beispielsweise vom Schulzentrum Neustadt – und zwar am Standort in Sebaldsbrück. Da gibt es ein kleines Häuschen, das ein bisschen aussieht wie Babystation, Mütterzentrum und Klassenraum: Acht Kinderwagen stehen an der Wand, acht Wickeltische gibt es da, eine Küche.
Betreut wird das Projekt von den beiden Lehrerinnen Johanna Pusch und Ife Becker. Schon seit 2002 gibt es das Projekt und mehr als 1300 Schülerinnen und Schüler aus Bremen haben daran bereits teilgenommen. Die Jugendlichen sollen durch das Projekt lernen, ob sie schon reif sind für ein Kind.
Jessica macht sich dabei ganz gut, aber ihre Mitschülerinnen Kathrin (16) und ihre ein Jahr ältere Namensschwester haben schon nach der ersten Nacht aufgegeben. „Ich konnte einfach nicht mehr. Ich war wütend und total überfordert“, erzählt die eine. Teilgenommen haben aber alle freiwillig. Das ist auch Voraussetzung, erklärt die Pädagogin Ife Becker. „Wir haben nur acht Simulatoren, da sind die Plätze begrenzt.“
*Chip im Rücken*
Ein paar Mädchen werden bei dem Projekt auch von ihren Freunden unterstützt. Und oft nehmen auch Jungs an dem Projekt teil. Zu Beginn der Woche haben die Schülerinnen auch eine Geburtsanzeige gestaltet, sie durften ihrem Kind einen Namen geben – und dann ging es los. Mit Kinderwagen und Babytasche ausgestattet, kamen die Schülerinnen Zuhause an. Und damit nicht Mama und Papa das Babyprojekt durchführen, haben die Mädchen alle einen Zugangschip zu ihrem Simulator am Handgelenk. Den kann man erst am Ende der Woche wieder abnehmen.
Jetzt grad schreit wieder ein Simulator. Nun muss Kathrin ran. Sie zeigt, wie es geht: „Ich stecke den Chip in das Loch am Rücken – und dann sehe ich, was ich tun muss: Füttern, Wickeln, Zuwendung“, erklärt sie. Die Puppe macht „piep“ – und hört auf zu schreien. Ausstellen kann man das Baby erst, wenn das Projekt abgeschlossen ist. Dann gibt es auf einem Bong eine Auswertung. Da steht drauf, wie gut das Kind versorgt wurde.
*Viele Fragen diskutieren*
Außer die Simulatoren zu versorgen, lernen die Schüler vieles über Verhütung, über Erziehung und frühkindliche Entwicklung. Sie erfahren alles über die rechtliche Situation von minderjährigen Eltern und bekommen auch eine Adressenliste von Stellen, die für Teenagereltern zuständig sind. Und natürlich wird viel diskutiert: Darf man abtreiben? Wie verändert ein Kind eine Partnerschaft? Zum Ende des Projekts lernen die Mädchen etwas über Kindesmisshandlung.
Das ist für die Jugendlichen ein wichtiges Thema – immerhin geht das Thema derzeit durch die Medien. Ife Becker und Johanna Pusch haben da noch etwas Besonderes vorbereitet: Sie holen zwei Baby-Simulatoren hervor, die ganz merkwürdig aussehen. Sie sind viel leichter als die anderen Kinder, haben dünne Gliedmaße und eines von ihnen hat ein affenhaftes Gesicht. Jetzt stellt Pusch die Puppe an – die schreit laut und zittert fürchterlich. Die Mädchen sind entsetzt. „Das wären Kinder, deren Mütter in der Schwangerschaft Alkohol- oder Drogen genommen haben. Die Säuglinge leiden dann unter Entzugserscheinungen“, erklären die Pädagoginnen. „Durch die konkrete Erfahrung lernt man echt viel“, meint Jessica.
Die Mädchen jedenfalls fanden es gut, dass sie die „Babybedenkzeit“ mitmachen konnten. „Das ist wirklich eine tolle Sache“, findet Swaantje (15). Nun sind sie einerseits froh, dass es vorbei ist, andererseits auch ein bisschen traurig. Aber für alle steht fest: Ein Kind wollen sie erst zwischen Ende 20 und Mitte 30 bekommen.
Autorin / Autor: Tina Groll - Stand: 17. Dezember 2007