Deutsche Zustände

Rechtsextremes Denken in Zahlen

Zwischen Dschungelcamp, Praxisgebühr und Pisastudie wird schnell vergessen, in welchem Zustand sich unsere Republik eigentlich im Hinblick auf ihre Toleranz beziehungsweise Intoleranz befindet? Nur weil man schon lange nichts mehr über fremdenfeindliche Gewalttaten gehört hat, heisst das noch lange nicht, dass Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Sexismus verschwunden sind. Deswegen führt ein ForscherInnenteam um Professor Wilhelm Heitmeyer vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld eine Langzeitstudie zum Thema "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" durch. Die Ergebnisse der ersten Folge wurden schon im Jahr 2003 vorgelegt. Teil 2 erscheint jetzt im Januar. Und die Bilanz ist nicht sehr erfreulich, denn im Vergleich mit 2002 ist ein leichter Anstieg von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus festzustellen. Rassismus, Islamphobie und Sexismus sind allerdings nicht gestiegen, aber auch nicht zurückgegangen.

*Ein Viertel der Deutschen äußern sich rechtspopulistisch*
Dabei machten die ForscherInnen auch Unterschiede in Ost- und Westdeutschland aus: Während sich im Osten rassistische und sexistische Einstellungen reduzierten, nahmen im Westen Rassismus und Sexismus zu. Und höre und staune: Wie auch schon im Jahr 2002 bemerkt wurde, denken Frauen rassistischer und fremdenfeindlicher als Männer. Heitmeyer und sein Team berichten auch, dass der Pessimismus bezogen auf Arbeit, Lebensstandard und soziale Sicherung zugenommen hat und viele an den politischen Einflussmöglichkeiten zweifeln. Über 90 % der Bevölkerung sieht eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Das führt dazu, dass MigrantInnen in dieser Situation zunehmend als Belastung des sozialen Netzes wahrgenommen werden. Erschreckend ist, dass 2002 noch ein Fünftel der Bevölkerung rechtspopulistischen Aussagen zustimmte, während 2003 diese Gruppe schon auf ein Viertel angewachsen ist. Professor Wilhelm Heitmeyer dazu: "eine Kette der Vergiftung für die demokratische Atmosphäre".

*Extremismus wächst in der Mitte der Gesellschaft*
Die Befragung zeigte auch, wie groß der Anteil derer ist, die sich zwar rassistisch äußern, aber sich selbst politisch in der Mitte der Gesellschaft einordnen. "Menschen, die offenbar kein Gefühl mehr dafür haben, wie weit sie außerhalb des demokratischen Meinungsspektrums stehen", sagte Heitmeyer. Im Alltag zeigt es sich zum Beispiel darin, wenn etwa ein Bürgermeister in Rastedt äußert, die afrikanischen Asylbewerber des Ortes sollten "Tanzen, bis sie schwarz werden" (geschehen in Rastatt (Baden-Württemberg) im Juli 2003) oder ein Martin Hohmann in einer öffentlichen Rede Juden als "Tätervolk" diffamiert. Dies verschiebe die Grenzen, was als Normalität gelte, wenn die Gesellschaft und die Politik sich solchen Versuchen, Rassismus oder Antisemitismus zu etablieren, nicht entschlossen entgegenstelle, so der Soziologe.

*Gestiegene Aggressivität und Ruppigkeit *
Aufgrund der gestiegenen Unzufriedenheit mit ihrer Lebenssituation sind die Menschen auch immer weniger dazu bereit, andere anzuerkennen. Heitmeyer: "Wir stellen eine gestiegene Aggressivität und Ruppigkeit fest, die damit einhergeht, dass der Glaube an die inneren Werte der Demokratie verloren geht."

*Bundestagspräsident besorgt*
Auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse ist besorgt über die Ergebnisse der Studie. Es herrsche "tiefe Zukunftsverunsicherung" in der die Sehnsucht nach einfachen Antworten und klaren Schuldzuweisungen wachse. Sein Rezept lautet: "Es ist wichtig, positive Demokratieerfahrungen zu ermöglichen, gerade für junge Leute, dass sie die Erfahrung machen können, etwas ausrichten zu können." Die PolitikerInnen ermahnte er "Lösungs- und Einigungskompetenz" zu beweisen: "Wir müssen zeigen: Die Politiker streiten nicht nur, die lösen auch etwas."

*Antisemitismus, das "private Massenvorurteil"*
Und wie sieht es mit dem Antisemtismus in Deutschland aus? Derzeit scheint es noch in Deutschland tabu zu sein, Antisemitismus offen auszusprechen, meinte Heitmeyer. Allerdings sei er als privates Massenvorurteil vorhanden. In der Studie stimmten immerhin 69 Prozent der Befragten der Aussage zu: "Ich ärgere mich, dass Deutschen heute noch die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden." Davon schätzten sich rund 60 Prozent als der politischen Mitte zugehörig ein. Kein Wunder, dass PolitikerInnen sich diese Stimmen mit Stammtischparolen sichern wollen....

Quelle

Autorin / Autor: mut-gegen-rechte-gewalt.de/ Redaktion - Stand: 28. Januar 2004