Wer möchte schon langweilige Geschichten lesen? Doch Spannung reinzubringen ist gar nicht so einfach ...
*Gefangen in der fiktiven Welt …*
Wer für andere schreibt, der wünscht sich, dass sein Werk die Leser interessiert und begeistert, dass die Ereignisse sie mitreißen und die Geschichte sie packt. Sobald man Protagonisten erschafft hat, mit denen sich die Leser identifizieren können, die sympathisch oder eher unsympathisch, jedoch bemerkenswert und daher interessant erscheinen, dann hat man den ein oder anderen Leser auf jeden Fall für sich gewonnen. Damit die Leser das Buch nach der Hälfte des Plots nicht weglegen, sorgt man immer wieder für spannende Situationen.
Ein Trick, um den Leser bei der Stange zu halten, ist der Cliffhanger. Das bedeutet, dass die Szene damit endet, dass dem Protagonisten Unheil droht. Natürlich will der Leser erfahren, wie der Protagonist die schwierige Situation letztendlich meistert. Also liest er schneller und ungeduldiger, damit die Anspannung endlich vergeht.
Für Spannung kann man in seiner Geschichte aber auch durchaus sorgen, ohne den Protagonisten zwangsweise in eine lebensbedrohliche Lage zu bringen (auch wenn sie dazu geeignet ist, da Lebensgefahr sehr starke Emotionen auslöst). Man gestaltet den Plot so, dass der Leser in gespannte Erwartung versetzt wird, indem Ereignisse eintreten, mit denen er nicht gerechnet hat. Man weicht vom herkömmlichen Weg ab und lenkt die Handlung in eine andere Richtung. Zu diesem Zweck sollte man sich überlegen, auf welche Weise ein Problem in der fiktiven Welt gelöst werden kann, und sich dann für eine Lösung entscheiden, die einem besonders kreativ erscheint. - Was nicht so einfach ist.
Was mir jedoch ebenso gefällt, ist Spannung, die entsteht, wenn man mit einem bestimmten Ereignis rechnet. Wenn euch zwischen zwei Protagonisten, die einander vielleicht ein wenig nicht leiden können oder die einander eigentlich wirklich mögen, ein knackiger Wortwechsel gelingt, dann seid euch sicher, dass der Leser der nächsten Begegnung der Beiden entgegen fiebert.
*Spannung durch Konflikte*
Es gibt diverse Möglichkeiten, Spannung zu erzeugen. Dazu gehört auch der „Schmelztiegel“. Im Grunde meint man damit einen Behälter, in dem unterschiedliche Elemente bei sehr hoher Temperatur miteinander verschmelzen. In der Literatur versteht man unter diesem Begriff eine Situation, in der zwei oder mehrere Handlungsträger aufeinander treffen und die viele Konflikte auslöst.
Worauf es beim Schmelztiegel ankommt, ist, dass die Romancharaktere sich immer wieder in die Quere kommen und dem Konflikt nicht entgehen können, obwohl sie – zumindest der Protagonist oder die Protagonistin – danach streben. Wichtig ist, dass der Drang und die Beweggründe der Akteure, sich den Problemen zu stellen, größer sind als das Verlangen, wegzulaufen, sofern die Akteure überhaupt weglaufen können. Dieser Zustand kann so lange dauern, wie es der Autor wünscht.
Ein Schmelztiegel kann beispielsweise ein Schiff oder ein Flugzeug sein. Diese Transportmittel besitzen großes Potential, denn die Akteure, die darin reisen, sehen eine Weile lang keine Möglichkeit, das Schiff oder das Flugzeug zu verlassen. In einem Schmelztiegel befinden sich auch jene Akteure, die z.B. den Sommer in einem Feriencamp verbringen, das sie nicht so einfach verlassen können. Auch eine Firma, in der zwei Akteure arbeiten, die einander nicht ausstehen können, fungiert als ein Schmelztiegel für beide. Entscheidend ist in allen Fällen, dass die Charaktere motiviert sind, in Konfliktsituationen zu geraten, selbst wenn sie sich aus ihrer Lage unter großer Anstrengung befreien könnten. Wichtig ist, dass die Motivation durchgehend glaubhaft bleibt.
Der US-amerikanische Schriftsteller Sol Stein räumt in seinem Ratgeber Über das Schreiben ein, dass der Protagonist im Schmelztiegel nicht unbedingt dem Antagonisten gegenüber treten muss. Hauptsache, es prallen zwei Figuren aufeinander, die durch ihre Beziehung zueinander für viele Spannungsmomente sorgen.
Da der Schmelztiegel ein „emotionales oder materielles Umfeld, das zwei Menschen aneinanderkettet“¹ ist, spielt der Raum, in dem sich die Figuren aufhalten, zwar eine große Rolle, aber es gibt auch andere Arten von Schmelztiegeln. Meiner Meinung nach haben solche Situationen mehr Reiz, in denen der physische Raum eine eher untergeordnete Rolle spielt. So verhält es sich zum Beispiel in einer Eltern-Kind-Beziehung. Wie Sol Stein richtig bemerkt, bleiben beide – Elternteil und Kind – für immer aneinander gebunden, selbst wenn einer von ihnen sein Leben verliert². Dasselbe gilt für Geschwister. Auch Stiefgeschwister, deren leibliche Eltern zusammengezogen sind und die wegen ihres Alters oder aus anderen Gründen gezwungen sind, in der neuen Familie zu leben, befinden sich in einem Schmelztiegel. Wenn sich die Stiefgeschwister nicht ausstehen können, geraten sie vor allem zu Hause in viele Situationen, die Konflikte hervorrufen.
¹ Stein, Sol, Über das Schreiben, 2010, Zweitausendeins, S. 150
² S. 152