Außer sich
Autorin: Courtney Summers
Übersetzt aus dem Englischen von Friederike Levin
In der Kleinstadt Grebe gelten Helen Turner, Chefin von Grebe Auto Supplies, und ihr Ehemann, seines Zeichens Sheriff, als die einflussreichsten Personen. Als Romy Grey vom Sohn der Turners vergewaltigt wird, glaubt ihr niemand. Selbst ihre beste Freundin Penny will nicht wahrhaben, dass der freundliche junge Mann aus gutem Hause so etwas tun würde. Romy – als Lügnerin gebrandmarkt – versucht sich vor dem Mobbing durch ihre Mitschüler zu schützen, indem sie sich hinter einer Fassade von rotem Nagellack und Lippenstift versteckt.
Doch dann wird am Morgen nach der alljährlichen Party für Schulabgänger am Wake Lake Romy ohne jegliche Erinnerung an die vorangegangene Nacht auf der Straße aufgefunden. Sie kann sich nicht einmal daran erinnern, zum See gegangen zu sein. Ihre ehemalige Freundin Penny Young, das hübscheste Mädchen in ganz Grebe, deren Leben nahezu perfekt erschien, ist zeitgleich vermisst gemeldet worden. Es beginnt eine große Suchaktion und Romy ahnt, dass das Geheimnis von Pennys Verschwinden in jener Nacht liegen muss.
Nun muss sie herausfinden, was geschehen ist, damit Penny gefunden wird...
Romys Geschichte wird einige Monate nach ihrer Vergewaltigung erzählt. Zu Beginn findet ein Zeitsprung statt, und man erfährt, was zwei Wochen vorher passiert ist. Dieser Teil endet kurz vor der Party am See. Danach befindet sich der Leser wieder im Jetzt, als Romy auf der Straße aufgefunden und Penny vermisst gemeldet worden ist. Am Schluss wird außerdem die Zeit danach beschrieben. Diese Zeitsprünge sind meiner Meinung nach sehr gut gewählt, da man am Anfang noch nicht direkt weiß, welche Richtung die Erzählung nehmen wird, später jedoch Stück für Stück gemeinsam mit Romy die Bruchstücke aus jener Nacht zusammenfügen kann. Dies ermöglicht es dem Leser, ihre Gefühle nachzuvollziehen: Ihre Wut auf die Turners, den empfundenen Schmerz, die zurückbleibende Leere. Ein Teil von Romy möchte Penny finden in der Hoffnung, ihr möge nicht das gleiche passiert sein wie ihr selbst, ein anderer Teil von ihr empfindet aber immer noch Wut, da auch Penny Romy keinen Glauben geschenkt hatte.
Obwohl Romy seitens ihrer Mitschüler ziemlich fertiggemacht wird, fühlt sie sich zu Hause bei ihrer Mutter und deren Freund gut aufgehoben. Nachmittags übt sie einen Nebenjob in einem Café aus, in dem sie unter anderem mit Leon arbeitet, der Romy gerne näher kennenlernen möchte, aber zuerst ihr Vertrauen gewinnen muss.
Beeindruckt hat mich an diesem Buch besonders ist die Art und Weise, wie Romy versucht, mit ihrem Leben unter denkbar widrigen Umständen klarzukommen. Seit ihrer Vergewaltigung hat die Farbe rot eine große Bedeutung für sie gewonnen. Rot ist eine Warnfarbe, die STOPP bedeutet. Denn nein heißt nein - und das ist nur eine der vielen Botschaften, die die Autorin Courtney Summers ihren Leserinnen vermitteln möchte. Außerdem zeigt Romy vor ihren Mitschülern immer wieder ungeahnte Stärke. Sie gibt ihnen nicht die Genugtuung, weinend vor ihnen zusammenzubrechen, sondern lässt ihre Beleidigungen scheinbar abprallen, was aber nicht bedeutet, dass sie keinen Schmerz empfindet. Alles läuft auf eine längst überfällige Konfrontation hinaus, die das Buch erfolgreich abschließt. Das Ende bleibt offen, und das ist auch gut so.
Der Roman ist sicherlich für viele Menschen schwierig zu lesen aufgrund der aufwühlenden Thematik, weshalb ich ihn eher Leserinnen ab 16 Jahren empfehlen würde. „Außer Sich“ ist ein eher langsames, ruhiges Buch, welches trotzdem mitreißt und noch lange nach dem Zuklappen die Gedanken beschäftigt. Eine gute Wahl.
*Erschienen bei Beltz & Gelberg*
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Autorin / Autor: lucky2000 - Stand: 22. Mai 2017