Eigentlich ist Jessica ein lebensfrohes, lustiges Mädchen, eins, dass man bestimmt gerne als beste Freundin hätte. Eigentlich interessiert sie sich nicht großartig für Oberflächliches und ist auch recht intelligent, doch als sie nach der vierten Klasse auf die Gesamtschule wechselt, werden ihre Ideal und ihre Weltvorstellung erst mal gründlich auf den Kopf gestellt.
In der neuen Klasse freundet sie sich schnell mit den „Coolen“ an – das sind Nadine, Jasmin, Mehmet, Paul und die Anführerin Athina. Eine ganze Weile ist das auch wie ein Traum. Sie sind DIE Clique, zu der jeder aus der Stufe gerne gehören will.
Doch dann fängt es an. Athina und die anderen finden ihren Spaß daran, ihre Mitschüler regelrecht zu quälen. Fiese Gerüchte, peinliche Fotos im Netz. Die Clique terrorisiert regelrecht, jeder kann zur Zielscheibe werden.
Jessica ist nicht wohl dabei, mitmachen will sie da eigentlich nicht und dass das Ganze nicht ok ist, weiß sie auch. Aber sagen tut sie nichts. Schließlich sind die anderen ja auch richtig nett und solange sie Teil der Clique ist, ist sie kein Opfer.
Nur reicht es irgendwann. Als Athina ein Mädchen nach der Schule verfolgen will, hat Jessica genug – sie setzt sich für ihre Mitschülerin ein und macht sich dadurch selbst zum Mobbingopfer Nummer 1.
Über Jahre zieht es sich, mal mehr, mal weniger schlimm, mal wird sie von der Clique geduldet, dann wird sie wieder beschimpft. Die Lehrer geben vor, nichts zu merken, selbst etwas zu sagen, traut sich Jessica nicht. Daheim spielt sie das glückliche Mädchen, schottet sich aber gleichzeitig mehr und mehr ab, isst immer weniger, verliert ihre Lebenslust.
Als sich in der 7. Klasse das Mobbing mit einem Foto auf SchülerVZ in den Cyberspace ausweitet und Jessicas Feind plötzlich viel größer, viel bedrohlicher, viel weniger greifbar wird, knickt sie vollends ein.
Anstatt sich endlich an ihre Eltern oder jemand anderen, der ihr helfen könnte, zu wenden, erduldet sie die Mobberei zwar, lässt sie über sich ergehen, aber in ihrem Kopf reift ein Plan. Die Mobber schocken, dem Schmerz entfliehen, endlich ihre Ruhe haben – plötzlich erscheint ihr Suizid wie eine Erlösung. Im Netz recherchiert sie nach Selbstmordmöglichkeiten, plant jedes Detail, wann und wie sie es machen möchte.
Das Cover zeigt ein Mädchen mit glatten dunklen Haaren. Hübscher grauer Pulli, ein bisschen oversized. Sie sitzt mit dem Rücken zum Betrachter, vor ihr erstreckt ein blaues gitterähnliches Netz, das sich transparent mit einem Backsteinmuster überlagert. Auf eindrucksvolle Weise stellt sich hier bereits Jessicas Hölle in der Schule neben der Hölle des Cyberspace dar.
„Euer Hass hat kein Gesicht“ leuchtet es in Gelb von der Mitte des Covers. Das Buch, erschienen in der Arena „Mein Leben“-Reihe, ist ein interessantes Werk, das zum Nachdenken anregt und den Leser an vielen Stellen fassungslos zurücklässt.
Wie auch die anderen Werke der „Mein Leben“-Reihe, bekommt man hier eine unbeschönigte und schockierende Geschichte vorgesetzt, über ein Thema, das die meisten Menschen am liebsten totschweigen möchten.
Beim Lesen musste ich oft entscheiden, ob ich wirklich weiterlesen möchte, oder ob ich das Gelesene erst mal sacken lassen sollte. Auf jeden Fall empfiehlt es sich für diese Lektüre, die ich absolut als Schullektüre empfehlen würde, mehr Zeit einzuplanen. Besonders geschockt hat es mich zu lesen, wie wenig von dem direkten Mobbing in der Schule von den Lehrkräften wahrgenommen wurde und vor allem wie wenig von ihnen dagegen unternommen wurde.
Die Kapitel sind nach Schulzeit eingeteilt, so zieht sich das Buch von Beginn der 5. Klasse bis hin zur 7. Es mündet in einem Epilog, der zehn Jahre später spielt und zeigt, wie Jessica das Erlebte verarbeitet hat und wie es sie immer noch beeinflusst. Das Nachwort richtet sich noch einmal direkt sowohl an Täter als auch an Opfer, wodurch der Geschichte noch einmal mehr Gewicht verliehen wird. Es wird nicht nur die Akutsituation dargestellt, sondern auch die „Langzeitwirkung“ von Mobbing und Cybermobbing.
Ich empfehle es jedem, der Mut und Verständnis in einer ähnlichen Situation braucht und jedem, der mal darüber nachdenken muss, wie er eigentlich mit seinen Mitmenschen umgeht. Ich empfehle es Schulen, weil das Thema uns alle angeht, und Eltern, die nicht verstehen, warum ihre Kinder manchmal in solche Situationen geraten.
Kurz gesagt, ich halte das Buch für eine Bereicherung und hoffe, dass es dazu beiträgt sowohl Opfern als auch Tätern als auch jenen, die nur daneben stehen und zuschauen, die Augen zu öffnen.
*Erschienen bei Arena*
Autorin / Autor: chesirekitty - Stand: 7. September 2015