Brief an die Energie

"Wir müssen Energie sparen", sagt Wibkes Mutter und auch im Physikunterricht wird "Energie" zum Thema.

Liebe Energie,

seit langem begegnest du uns täglich. Es fing alles damit an, dass meine Mutter eines Abends zu mir ins Zimmer kam und sich kritisch umsah. „Wir müssen Energie sparen!“, sagte sie. Kurzentschlossen zählte sie mir Dinge auf, die in meinem Zimmer Energie verschwendeten. „Muss das denn wirklich sein Wibke, dass du CD hörst, die Schreibtischlampe und das große Licht anhast, der Computer läuft und die Heizung auf vier steht?“. Meiner Meinung nach musste das sein. Doch meine Mutter sah das ganz offensichtlich anders. Rabiat ging sie zu  meiner Stereoanlage, nahm die CD heraus und stopfte sie in meinen Computer. Die Schreibtischlampe wurde ausgezogen, die Heizung ausgestellt und auch das große Licht knipste sie aus. Wir standen im Dunkeln, nur der Schein meines Laptops erhellte das Zimmer. Auffordernd hielt sie die Bettdecke hoch, ich schlüpfte darunter und nahm den Computer auf meinen Schoß. „So, jetzt hast du es schön warm, kannst CD hören und im Internet sein und brauchst gar nicht so viel Energie“. Schon war sie wieder weg.

Zwei Tage später begegnetest du mir schon wieder, dieses Mal im Physikunterricht. Mein Physiklehrer eröffnete uns ein neues Thema. „Energie in allen Formen“. Die erste Frage: Was ist überhaupt Energie? Gute Frage, nächste Frage. Verschiedene Stimmen einmal zusammengefasst: „Energie bringt ein Auto zum fahren“, „Menschen bekommen Energie, indem sie essen und trinken“, „Energie erzeugt Wärme“. So ganz verstanden habe ich das ja nicht. Wieso knipse ich das Licht aus, um Energie zu sparen? Spare ich da nicht eigentlich Strom? Ein kurzer Blick ins Onlinelexikon hilft: „Energie ist nötig, um einen Körper zu beschleunigen oder um ihn entgegen einer Kraft zu bewegen, um eine Substanz zu erwärmen, um ein Gas zusammenzudrücken, um elektrischen Strom fließen zu lassen oder um elektromagnetische Wellen abzustrahlen. Pflanzen, Tiere und Menschen benötigen Energie, um leben zu können.“ (wikipedia). Aha, das war aufschlussreich. Du, meine liebste Energie, bist also in unserem Alltag ganz schön wichtig. Ohne dich wäre keiner von uns lebensfähig, wir hätten kein Licht, keine Nahrung, kein Garnichts. Wenn ich etwas von dir sparen möchte, kann ich das also auf verschiedene Weisen tun. Ich könnte ja zum Beispiel weniger essen, schlage ich meinem Physiklehrer vor. Doch er ist nicht einverstanden. Wenn ich weniger essen würde, würde ich Nahrung sparen, jedoch keine Energie. Wenn ich weniger mit dem Auto fahre, spare ich Benzin, jedoch keine Energie. Wenn ich die Lampe ausknipse, spare ich Strom, jedoch keine Energie.

Siehst du, warum du nicht gespart werden kannst, liebe Energie? Das Wort „Energieverschwendung“ hat sich im Volksmund als gängiger Begriff durchgesetzt. Eigentlich ist es jedoch so, dass „Energieverschwendung“ und „Energiesparen“ falsch sind. Man spricht in der Physik von der sogenannten „Entropie“. Die Energie, also du, bleibst immer erhalten und immer gleich. Was sich verändert, ist der Zustand der Quelle zum nicht mehr verwertbaren Abfall. Hat man zum Beispiel die Energiequelle Öl, kann daraus Benzin hergestellt werden, mit dem wir unsere Autos antreiben. Das Auto nutzt die Energie, die im Öl vorhanden ist und gibt sie in Form von Abgasen an die Luft ab. Diese Abgase sind die Endstoffe aus unserer eigentlichen Energiequelle, dem Öl. Sie sind nicht mehr verwertbar und deshalb spricht der Volksmund von einer „Energieverschwendung“, da man keine Energie mehr aus dem Öl nutzen kann. Verschwendet wurde sie jedoch nicht, sie ist nur nicht mehr in ihrer Urpsrungsform vorhanden. Nach dem Physikunterricht gehe ich nach Hause zu meiner Mutter. Sie steht am Herd und ich merke, dass du uns in jeder Sekunde begegnest, wir merken das meist nicht und nehmen dich nicht wahr. Du bist selbstverständlich geworden. Das Licht in der Küche brennt und auch das Radio läuft. Ich mache das Licht und die Musik aus und ernte von meiner Mutter einen stolzen Blick. „Sehr gut, wir achten jetzt alle darauf, keine Energie zu verschwenden“, sagt sie. Ich lächle nur schlau und gebe zurück: „Das schaffst du nie, Mama“.

Energische Grüße,
Wibke

Zurück

Autorin / Autor: schneewibkchen, - Stand: 25. Mai 2010