Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet
Eine angelehnte Tür war das Erste, was mir auffiel, als ich hinter meinem besten Freund Allen das Wohnzimmer betrat. Beim letzten Mal hatte ich dort keine Tür gesehen.
„Drey?“ Allen drehte sich zu mir um, in seinen karamellbraunen Augen stand Unsicherheit und etwas Angst, als er mich fragte: „Diese Tür… Die war vor einer Woche nicht da, oder?“
Ich zuckte mit den Schultern und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass mir eine Gänsehaut den Rücken hinunterlief.
„Du hast hier das fotographische Gedächtnis, sag du’s mir!“
Er drehte sich wieder um und starrte die Tür an. Ich sah, wie er sich in seine blonden Haare griff und etwas murmelte, ein klares Anzeichen für seine Nervosität. „Ich kann dich nicht verstehen, Al!“, bemerkte ich etwas genervt.
Er wandte mir sein Gesicht zu und sagte: „Audrey Miller, wenn du das nächste Mal so einen Blödsinn planst, erinnere mich daran, zuhause zu bleiben!“
Vielleicht sollte ich zum allgemeinen Verständnis erst einmal erklären, was Allen mit „Blödsinn“ meinte. Wahrscheinlich, dass wir mitten in der Nacht in einem unbewohnten, einsturzgefährdeten Reihenhaus in New York waren, in dem es angeblich spukte, ganz zu schweigen davon, dass dieses Reihenhaus in einem der zwielichtigsten Viertel in ganz Manhattan stand.
Warum wir hier waren, ist schnell erklärt: Ich war extrem neugierig, und außerdem eine Überredungskünstlerin, sonst würde Allen nicht jedes Mal mitgehen, wenn ich eine meiner verrückten Ideen hatte.
Meine Tante hatte mir vor zwei Wochen von den Gerüchten erzählt, die in diesem Viertel Manhattans die Runde machten: Angeblich war in diesem Reihenhaus ein Selbstmord geschehen. Der Geliebte des jungen Mädchens, das hier einmal gewohnt hatte, war im zweiten Weltkrieg gefallen, woraufhin sie sich erhängt hatte. Seit diesem traurigen Vorfall war sie dazu verdammt, in ihrer damaligen Wohnstätte herumzuspuken.
Als ich davon gehört hatte, war ich sofort zu Allen gelaufen und hatte ihm die Geschichte erzählt. Wir –okay, er erst nach gutem Zureden meinerseits - waren uns einig gewesen: Wir mussten diesen Geist sehen! Also hatten wir uns mitten in der Nacht aus dem Haus geschlichen und waren mit dem Bus hierher gefahren. Beim ersten Mal war uns nichts Seltsames aufgefallen, bis auf meterdicke Staubschichten auf allen Möbeln und fetten Spinnen in jeder Ecke, doch anscheinend sollte unsere Geisterjagd beim zweiten Mal mehr Erfolg haben…
„Okay Drey, jetzt hast du alles gesehen!“, meinte Allen, „Die Tür ist sicher komplett uninteressant! Also los, gehen wir!“
„Du bist ein Angsthase, Al, und wir werden nicht gehen, bevor- Sieh dir das mal an!“, ich zeigte auf die seltsame Tür.
Der Junge drehte sich wieder um und keuchte. Aus dem kleinen Spalt zwischen Tür und Rahmen kam ein gleißend helles, weißes Licht. Außerdem hatte sich der Geruch im Haus verändert- es roch nicht mehr nach Staub und alten Möbeln, sondern nach Rosen und einem Hauch Lavendel.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Allen auf seine Armbanduhr schaute.
„Genau Mitternacht!“, flüsterte er, „Bitte Drey, lass uns abhauen!!“
Ich antwortete nicht, packte seinen Arm und zog den Jungen in Richtung Tür. Als wir das Zimmer betraten, sah ich nichts. Meine Augen brannten und tränten, so hell war es im Raum. Das Strahlen schien von der anderen Seite des Raumes zu kommen, aber ich war mir nicht sicher.
Plötzlich wurde das Licht sanfter und der Duft klang ein wenig ab. Jetzt erkannte ich die Gestalt eines Mädchens, das mit dem Rücken zu uns am Fenster stand, es trug ein altmodisches Kleid und ihr glattes Haar reichte bis zur Hüfte. Sie war nicht aus Fleisch und Blut, ihr Körper war wie aus gebündeltem Mondlicht.
Jetzt konnte ich auch das Zimmer besser erkennen; anscheinend ein Schlafzimmer, denn an einer Wand stand ein Bett mit einer Daunendecke aus Staub. In der Mitte des Raumes hing etwas von der Decke, von dem ich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend bekam: Ein Strick. Er sah aus, als hätte ihn jemand abgeschnitten, vielleicht um etwas wegzunehmen, das daran gehangen hatte… Eine Leiche zum Beispiel…
Allen neben mir gab ein verängstigtes Geräusch von sich, das sich anhörte, als wäre er auf eine Gummiente getreten.
Ich erschrak, denn die Erscheinung am Fenster hatte uns bemerkt. Sie drehte sich langsam um- und ich stockte.
Das Mädchen am Fenster war vielleicht zwanzig Jahre alt. Sie hatte das schönste und traurigste Gesicht, das ich jemals gesehen hatte. Silberne Tränenbäche kamen aus ihren schneeweißen Augen und zierten ihre Wangen aus Glas. Trotzdem war sie schön wie eine Fee.
Ohne hinzusehen wusste ich, dass Allen die junge Frau anhimmelte.
„Mund zu, Al! Die ist ’ne Stufe zu hoch für dich!“, zischte ich meinem besten Freund zu.
„Seid ihr gekommen, um mich zu erlösen?“, fragte der Geist und ich fröstelte. Die Stimme war glockenhell und schien von überall zu kommen.
„Ähm… Wie denn?“, fragte ich.
„Ich bin mit dem Gedanken aus der Welt geschieden, dass Liebe das Schmerzhafteste auf Erden ist. Bevor ich wieder mit meinem Liebsten vereint sein kann, muss ich ein Paar sehen, dass sich einen Kuss der wahren Liebe schenkt!“
„Da können wir Ihnen nicht helfen, tut mir leid! Wir sind nur Freunde!“, entschuldigte ich mich, neben mir fuhr sich Allen durch die Haare.
Das Mädchen schüttelte den Kopf und lachte sogar kurz.
„Öffne ihr die Augen, Junge!“, sagte sie.
Ich drehte mich überrascht zu Allen um. Bevor ich fragen konnte, was die Gestalt meinte, zog er mich an sich und küsste mich!
Komischerweise versuchte ich weder, mich von ihm zu lösen, noch verpasste ich ihm eine Ohrfeige. Es gefiel mir!
„Ich bin euch auf ewig dankbar“, vernahm ich die Stimme des Geistes.
Das Licht wurde schwächer und verschwand schließlich ganz, es roch wieder muffig. Als Allen sich von mir löste, dachte ich kurz an meinen festen Freund. Er war der Captain unserer Footballmannschaft…
„Ches bringt dich um, wenn ich wegen dir mit ihm Schluss mache!“, flüsterte ich.
Allen lachte.
„Mit dem werd’ ich schon fertig!“ Dann küsste er mich gleich noch mal.
Autorin / Autor: Teresa, 14 Jahre - Stand: 10. Mai 2010