Das Portal
Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet
Ich sehe diese angelehnte Tür. Noch nie ist sie mir aufgefallen, so als stünde sie nie dort. Der geschwungene Türgriff ist sehr prunkvoll, ganz im Gegenteil zu dem Rest der Tür. Die Farbe ist verbleicht und alt und bröckelt schon ein bisschen. Es kommt mir alles vor, wie in einem Traum. Ich höre meine leisen, vorsichtigen Schritte, wie sie mich langsam den Gang entlang tragen. Aus den Wänden wachsen auf einmal herrliche Blumen in Farben, wie ich sie noch nie gesehen habe. Der ganze Gang, alles um mich herum, verwandelt sich. Der Boden wird zu saftigem Gras und einem Meer aus Blumen in den unterschiedlichsten Farben und Formen. Die Sonnenblumen weisen mir den Weg in Richtung der alten Tür. Aber nein, sie ist gar nicht mehr alt. Ihr bleiches Holz glänzt nun in allen Farben und Kreationen, Gold, Rot, Gelb, Orange, saftiges Grün und Blau und sie wirkt nicht mehr klein und unscheinbar. Sie ist groß und prächtig. Aber wohin führt sie? Der Gang ist in Nebel getaucht und nur aus dem Spalt in der Tür dringt ein Sonnenstrahl, oder ist es überhaupt die Sonne? Was liegt hinter der Türe? Die Vögel zwitschern und tanzen um mich im Kreis. Ich ziehe meine Sandalen aus. Das Gras und das weiche Moos schmiegen sich an meine zarten Füße. Auf einmal kommen die Vögel wieder zu mir geflogen. Sie haben mir einen Kranz aus Gänseblümchen geknüpft. Die Vögelchen flattern empor und schmücken meinen Kopf mit dem Kranz. Ich habe nun fast die Tür erreicht. Mein Herz pocht, meine Knie zittern. Noch einmal schaue ich hinter mich. Eichhörnchen, Häschen, Vögel, Rehe, Hirsche, Füchse und auch die Blumen und Sträucher haben sich dort versammelt. Was wird gleich geschehen?
„Bist du bereit, Annabell?“, fragt eine Stimme, die ich nicht zuordnen kann, erwartungsvoll. Woher weiß dieses Jemand überhaupt meinen Namen?
„Aber wofür?“, ich will es nun wissen. Alles ist so unwirklich und märchenhaft. Doch ehe ich eine Antwort bekomme, wird die Türe durch einen heftigen Windstoß aufgerissen. Ich drehe mich blitzartig um. Das Licht blendet so stark, dass ich mir die Hand vorhalten muss. Es duftet nach Blumen und nach Honig. Die Luft ist warm und feucht. Meine Aufregung in Schacht haltend schließe ich meine Augen. Vorsichtig mache ich einen Schritt nach vorne. Plötzlich knarzt etwas unter meinen Füßen. Wo ist denn auf einmal das weiche Moos geblieben? Ich öffne langsam die Augen und sehe - ich sehe nichts! Das Gras ist verschwunden. An den Wänden hängen nur noch die Bilder meiner Vorfahren. Die vielen erwartungsvollen Tiere sind spurlos verschwunden. An der Wand vor mir, wo gerade noch eine Türe war, bröselt der Putz ab und die prunkvolle Tür ist wie vom Erdboden verschluckt. Alles ist wieder so wie immer. Aber was war das gerade? War das etwa ein Traum? Aber ich habe es doch genau miterlebt! Die Tiere, das weiche Moos, die wunderschönen Blumen!
„Annabell, das Essen ist fertig!“, ruft mich meine Mutter zum Abendbrot. Hat sie denn gar nichts bemerkt? Die vielen Tiere und vor allem diese eine Stimme muss sie doch gehört haben! Ich blicke noch einmal zurück. Da sehe ich wieder die Umrisse der Tür. Jetzt weiß ich es! Das ist keine normale Tür! Das ist das Portal zu meiner Traumwelt, das ich nur mit meiner Phantasie öffnen kann! Ich war nur noch nicht bereit, meinen richtigen Träumen Zutritt zu lassen!
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Autorin / Autor: Anne, 13 Jahre - Stand: 14. Mai 2010