Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet
Die Tür öffnet sich einen Spalt, ein zarter Windhauch weht mir entgegen. Der Duft der Welt wird von dem sanften Strom der kühlen Luft von meiner Nase begrüßt. Der Duft der Wiesen und Wälder, der Blumen und Felder, der Flüsse und Seen und viele viele Gerüche mehr drangen auf einen Schlag auf mich ein. Nur durch diesen kleinen Spalt dieser Türe. Mein Auge betrachtete nun die Türe etwas genauer, sie war blau und aus altem Holz. Der goldene Knauf strahlte mir entgegen. Der Duft empfing mich aufs Neue und ich streckte langsam die Hand nach dem glitzernden, goldenen Knauf aus. Ich stieß die blaue Türe auf und so begann meine Reise. Mein rechter Fuß ging vor, der linke, federleicht, kam nach. Mich empfing hinter der blauen Türe eine wundervolle Landschaft. Bäume und die Wiesen waren grün, nicht dieses grün, ein spezielles erfrischendes grün. Der plätschernde Bach zu meiner Linken hatte einen tiefen blauen Ton. Meine Füße führten mich weiter, einen weg entlang den ich nicht kannte. Ich war auf dem Weg der Antworten. Der Fluss verschwand, einfach so. Magie schwebte in der Luft. Anstelle des klaren Wassers erschienen Felder und Blumen. Langsam verblassten alle Landschaften um mich herum und es zogen meine Erinnerungen an mir vorbei. Auch Erinnerungen die keine richtigen Erinnerungen waren. Meine Geburt, danach rasche Bildfolgen, welche ich gespannt verfolgte, wo ich sah wie die ersten Jahre meines Lebens verliefen. Mein erster Schritt, mein erstes Wort und das Lob das darauf folgte. Ich ging weiter. Meine Füße trugen mich leichten Schrittes den Weg der Antworten entlang. Meine Kindheit, mit viel Spiel und Lachen zog an mir vorbei. Ich sah, wie ich stürzte und mir das Knie aufschlug, da war ich um die vier Jahre alt. Ich sah meinem Kind-Ich zu, wie es begann zu weinen und darauf wartete bis die Eltern angesprungen kamen um das Kind-Ich zu trösten. Eine klare Träne lief meine Wange hinunter, als ich zusah wie meine Eltern herankamen. Zusammen. Ein bleiernes Gewicht legte sich auf mein Gemüt und erdrückte es. Doch der Weg der Antworten führte weiter und ich folgte ihm durch mein Leben. Die Ersten Schuljahre, die ersten Freunde. Meine Locken fielen mir über die Schultern, genauso wie meinem Schulkind-Ich. Der Weg der Antworten zog mich weiter weg von meinen ersten Schulstunden und zeigte mir meine erste Liebe. Ich kicherte laut. Ich roch wieder den leicht nussigen Geruch, den meinen ersten Schwarm immer umgeben hatte. Ich genoss es. Die Welt war wieder in meinem kindlichen Rosa. Ich blickte nach vorn, den Weg der Antworten entlang. Nun kamen düstere Zeiten. Mein Vater verließ die Familie, meine Welt lag in Stücken und stützte sich auf das einzige, was mir geblieben war, damals. Die Pferde. Ich sah meinen alten Liebling, den Braunen. Immer hatte er es geschafft, mich vergessen zu lassen, vergessen lassen, dass mein Vater weg war. Das der Mensch, den ich am meisten geliebt hatte, hinfort war. Ohne ein auf Wiedersehen. Einfach weg. Doch selbst in diesen dunklen Zeiten war auch Licht in meinem Leben. Meine Freunde, die strahlenden Punkte, die meine Welt immer mehr erhellten bis sie schließlich die Sonne und der Mond meines Lebens wurden. Meine Wangen waren feucht, doch wie immer wenn meine Freunde in meinen Gedanken waren, strahlte mein Lächeln über meinem Gesicht. Der Weg der Antworten zog mich weiter, weiter und weiter. Mein Leben, mein jetziges Leben. Ich sah meinen Arbeitsplatz, wo ich viele Stunden am Tag hinter einem Bildschirm verbrachte. Der Wald, in dem ich immer joggen ging, wuchs nun am Rand des Weges. Ich roch die Tannen und den frischen Morgentau. Aber meine Reise war noch lange nicht zu Ende. Zum ersten Mal blickte ich zurück, dort lag es, mein Leben, die vergangenen Jahre. Die schweren und schönen Zeiten. Der Schmerz der Verluste und das Licht meiner Freunde. Und ganz weit in der Ferne, dass man es fast nicht mehr sehen konnte, lag eine blaue Tür mit, ich kniff meine Augen zusammen, mit einem glitzernden goldenen Knauf. Wahrlich, wenn man nicht auf seine Füße aufpasst, weiß man nie wohin sie einen tragen. Es ist immer ein Wagnis mit dem Fuß über die Schwelle zu treten, denn man weiß nie, wie sich die Welt einem zeigen würde. Vielleicht, wenn man Glück hatte, zeigte sie ihre schöne und fröhliche Seite, doch nie war die dunkle und schmerzhafte Seite der Welt weit weg. Sie wartete immer hinter der nächsten Ecke um einen unaufmerksamen Wanderer zu überraschen. Meine Füße zogen mich weiter nach vorn, weiter auf dem langen anstrengenden Weg der Antworten. Ich sah das Abbild meines Engels. Der Engel meines Lebens, meine große Liebe. Die strahlenden Saphir blauen Augen starrten mich an. Seine zerzausten schwarzen Haare, das wohlgeformte Antlitz. Zum Greifen nahe. Dann kam eine wunderschöne Frau, die meinen Engel küsste. Mein Herz zeriss, wie damals, als ich eine meiner besten Freundinnen mit meinem Engel zusammenbrachte. Mein Herz wurde zerfetzt, wie damals, als mein Vater uns verlassen hatte. Der Engel und das Model waren Arm in Arm und strahlten nur so vor Glück. Mein Ich schaute sie neidisch an, aber gönnte es der Freundin. Sogar eine kleine Freude war über dem Schmerz zu sehen. Die Antworten riefen mich weiter, also ging ich an dem glücklichen Paar vorbei und ließ den Engel meines Lebens zurück, aber die Freundin nahm ich mit in meinem Herzen, dass sich langsam wieder anfing zusammenzusetzen. Fuß vor Fuß ging der Weg weiter, weiter an vielen Erinnerungen vorbei. Manche schön, manche nicht. Doch sie befanden sich nun in einem Gleichgewicht. Viele Türen meines Lebens waren aufgegangen. Nun fing ich an nachzudenken. Was machte ich eigentlich hier? Warum sollte ich all das noch einmal erleben? Denn ich war am Ende des Weges. Hier war mein Heute. Was soll ich denn hier herausfinden? Meine Gedanken kreisten, rollten die Reise noch einmal von hinten auf. Die Antworten kamen aber nicht. Ich musste mein ganzes Leben deuten und herausfinde, was ich hier herauszufinden habe. Antworten, was sind Antworten? Antworten, das sind die Gegenspieler der Fragen. Aber auf welche Fragen? Nicht die unbedeutenden Fragen waren hier gemeint, sondern die richtigen Fragen. Ich blickte mich um, um mich waren wieder der Fluss, die Wiese, die Blumen und die Wälder. Alle Farben und Gerüche viel intensiver als alles andere, was ich gewohnt war. Die richtigen Fragen. Was waren die richtigen Fragen. Da fiel es mir ein. Die richtige Frage war natürlich die Frage nach der Frage selbst. Was ist eine Frage? Warum stellt man sie? Warum sucht man nicht einfach selbst nach der Antwort. Das musste es sein, denn mein Weg ging doch noch weiter. Ich sah den heutigen Morgen. Ich sah mir selber zu beim aufstehen, duschen, anziehen und da öffnete ich meine Tür. Auch diese war blau. Der Spalt wurde langsam breiter und ich fühlte den Windhauch an meinem Körper entlang wehen. Der Geruch der Welt flog darin mit. Meine Füße traten über die Schwelle und ich verließ das Haus. Gespannt verfolgte ich mein Ich. Schritt für Schritt. Der Tag zog an mir vorbei, der Abend nahte. Ich sah zu wie Ich das Büro verließ und in Richtung eines Waldes hinter meinem Büro ging. Dort war auch ein Fluss. Ein sehr schöner Fluss. Klares blaues Wasser. Vögel zwitscherten in den Bäumen. Der Himmel war blau, die Sonne schien auf meinen Kopf. Was wollte ich bloß an diesem Fluss? Ich sah zu wie Ich an dem Fluss entlang lief. Ihm folgte immer weiter hinauf. Langsam zogen Wolken auf. Die Sonne verschwand. Es wurde kühler, die Vögel verstummten und verzogen sich. Es roch nach Regen. Warum drehte mein Ich nicht um. Gleich würden die Wolken brechen und ein Schauer über mich kommen. Da fielen auch schon die ersten feuchten, kalten Tropfen. Doch auch das schien mein Ich nicht zu kümmern. Ich verfolgte es weiter. Das Flussufer wurde gefährlich steil und der Schlamm der sich auf dem Weg gebildet hatte sah gefährlich rutschig aus. Da kamen meine Erinnerungen wieder. Ich war wütend gewesen, weil sich mein Vater gemeldet hatte. Ich war fast ausgerastet und dachte, ein kleiner Spaziergang würde helfen. Nun sah ich das Gesicht von mir, Tränen überströmt. Ich sah auch, dass ich überhaupt nicht mehr auf meine Füße achtete. Sie trugen mich einfach nur weiter. Weiter in meinem Kummer. Man kann seinen Füssen eben nicht vertrauen, denn auch sie sind fehlbar. Das Unglück nahte und ich konnte meinem Ich nicht helfen. Ich würde stürzen und ins Wasser fallen. Ich war hier, dass heißt, ich war in diesem Fluss gestorben. Der Schock über diese Worte ließ mich zusammensacken. In diesem Moment rutschte mein Ich aus und fiel, fiel die Klippen runter. Ich sah mich nicht mehr im Wasser aufschlagen. Ich war tot. Der Weg der Antworten und mein Leben verschwanden im Nichts. Dunkelheit legte sich über mich.
Ich riss die Augen auf. Über mir, waren Bäume. Grüne Bäume und dahinter dunkle Wolken. Es regnete. Ich zitterte. Es war klamm und kalt und ich war dazu auch noch völlig durchnässt. Meine Erinnerungen kehrten wieder. Die blaue Tür, der Weg der Antworten, mein Tod. Ich erschauerte und stöhnte auf. Langsam schob sich ein Gesicht in mein Blickfeld. Ein Mann. Ein Mann, den ich nicht kannte. Er trug Joggingklammotten und war genauso nass wie ich. Dazu noch, lag ich nicht am Boden wie ich gedacht hatte, sondern in seinen Armen. Der Mann legte mir beruhigend die Hand auf die Wange. Mir wurde heiß und kalt. Die Liebe überfiel mich. Unsere Blicke verschmolzen. Wir beide waren wie gefesselt. Leidenschaft. Hitze. Verlangen. All das strömte durch meinen Körper. Den Regen und meinen beinahen Tod verdrängte ich vollkommen. Es gab nur noch Ihn und mich. Mein Herz sprach: „Ich liebe dich“
Autorin / Autor: Justine, 17 Jahre - Stand: 14. Mai 2010