Vampire haben rote Augen
Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet
"Habe ich dich geweckt?" fragte Jane teilnahmslos und wandte sich wieder der Zeitung zu. Mühsam befreite Matt sich aus dem Gewirr der Decken und stapfte dann barfuß über das Parkett, hinüber zu ihr. "Nein, nein." Er legte seinen Kopf auf ihre Schultern und stöhnte lasch. "Es ist fast Mittag", entgegnete sie und las seelenruhig weiter. Verwundert schielte er hinüber. "Willst du mich loswerden?" Nun stöhnte auch Jane. "Ich denke, du kennst die Antwort." Gelangweilt schob sie seinen Kopf von sich und ging aus dem Zimmer. "Zieh dich an und vergiss deine Sachen nicht", rief sie noch, dann wurde es still.
Sie hatte Matt letzte Nacht in einer Bar in Tokyo aufgegriffen und nahm ihn mit zu sich nach Hause nachdem sie stundenlang geredet hatten. Jane empfand diesen Abend als weggeschmissen, Zeit, die sie nie mehr haben würde, auch wenn sie genug davon hatte, denn sie war ein Vampir und die lebten bekanntlich ewig. Doch nun hatte er ihr die Luft in der gesamten Wohnung verpestet, sogar hier im Wohnzimmer stank es nach Mensch. Jane rümpfte die Nase und schmiss sich dann auf das Sofa am Fenster. Die Zeitung war ungewöhnlich interessant für einen Sonntag. Die Klatsch-Presse verfasste ausnahmelos Mist, einfache Lügen, die sie amüsierten.
"Ich gehe jetzt", sagte Matt, der mit einem Mal im Türrahmen lehnte. Er schien betrübt. "Hör mal zu." Genervt warf Jane ihr Magazin zur Seite. "Ich habe dich eine Nacht hier schlafen lassen, weil ich dachte, du würdest weiter nach Sendai trampen wollen. Wie es aussieht, hattest du es gar nicht vor." Sie musterte ihn. Er fühlte sich ertappt. "Ich mag es nicht, wenn man mich anlügt." Jane drängte sich an ihm vorbei, hin zur Eingangstür. "Aufgrunddessen wirst du jetzt gehen." Sie öffnete die Pforte und pfiff, mit einer Kopfbewegung in die Freiheit. Ohne ein weiteres Wort stampfte Matt aus dem Haus. Für einen kurzen Moment, dachte Jane ein rotes Funkeln in seinen Augen zu erblicken. Sie hielt es für eine Fata Morgana. "Man, man, man." Sie schmiss die Tür zu und begab sich zurück zu ihrer Morgenlektüre, die, wie noch vor 3 Minuten, auf dem Sofa kauerte. Nun herrschte Ruhe in ihrer Wohnung, so wie sie es mochte.
"Jane?" Eine monotone, schwache Stimme drang an ihr Trommelfell. Es war ihre kleine Schwester Anne, die sie seit dem gestrigen Abend nicht mehr erblickt hatte. "Anne?" Ihr gefiel ihre Tonlage nicht. "Geht es dir gut?" Janes Ungeduld quälte sie und ließ Sekunden wie Stunden erscheinen. "Ich weiß nicht", hallte es. "Ich habe Durst und mein Bett ist rot." Jane überlegte. "Jane!" Nun schrie sie. "Ich habe Durst, meine Kehle brennt so doll." Sie sprang auf und näherte sich der Tür zum Zimmer der kleinen Anne. Ein hübsche Tür, damals hatten sie sie zusammen rosa gestrichen.
Ungewöhnlich. Jane bemerkte, dass die hölzernde Pforte angelehnt war. Sonst stand sie immer sperrangelweit offen, damit sie Anne im Auge hatte. "Darf ich hereinkommen?" Fragte sie vorsichtig. "Bring mir was zu trinken", raunte sie, ihre Stimme war nicht mehr als ein schwaches Jauchzen. Die so furchtlose Jane legte eine ihrer blassen Hände an die Tür und schlug sie mit einem Mal auf.
"Anne!" Ihre kleine Schwester lag inmitten roter befleckter Laken und Kissen. Ihr Schlafanzug rot, kleine Handabdrücke an der gelben Tapete, rot. Sie lief zu ihrem Bett. "Anne, was ist mit dir?" "Ich habe Durst! Bring mir endlich was!" Jane erblickte eine Wunde am Hals ihrer Schwester. Eine Bisswunde aus der noch immer Blut trat. "Der Mann hat mir wehgetan. Du hättest die Tür zuschließen sollen, wie ich es immer gesagt hatte, dann würde ich jetzt keinen Durst haben." Zornig blickte sie auf ihre verwundete Schwester. Dann war das rote Funkeln also doch keine Einbildung. "Jane, bin ich jetzt auch so ein kalter Mensch wie du?" "Kein Mensch." Sie wollte sich ohrfeigen. "Ein Vampir." "Hast du jetzt Angst vor mir?, fragte Anne, als sie den schockierten Blick ihrer Schwester ersah. "Warum musste ich diese Tür öffnen?" Sie ertrug diesen Anblick nicht. - Anne hatte Recht. Sie hätte hören sollen.
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Autorin / Autor: Anja, 15 Jahre - Stand: 14. Mai 2010