Der Sinn meines Lebens
Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet
Ich, elf Jahre alt, lebte in einem schönen Haus mit einem Fernseher.
Natürlich gab es im Haus noch mehr und andere Sachen, aber das Wichtigste war mir der Fernseher. Ich liebte es, mich einfach auf das Sofa legen zu können und nichts dabei zu denken.
Das war so, bis…
An einem Abend um 20:30 Uhr, sagte meine Schwester: "Kimie, Schätzchen, komm doch mal her.”
Ich ging in den Fernsehraum. Meine Schwester schaute mich an. "Du hast ja schreckliche Tränensäcke!” Ich schaute sie an. Als ob das Gesicht meiner Schwester ein Spiegel wäre, spürte ich meine Tränensäcke. Wirklich! Schrecklich!
Ich begriff urplötzlich, dass sich, seit ich den Fernseher besaß, den ich zum Geburtstag bekommen hatte, mein Leben verändert hatte. Ich war ein kleines, schlankes Mädchen, das liebend gerne auf der Wiese spielte und sich gerne mit anderen Kindern unterhielt.
Ich fing an zu weinen. Tränen flossen mir über das schlanke Gesicht. Meine Schwester drückte mich in ihre Arme. Ganz fest. "Julia, ich bin so traurig”, sagte ich meiner Schwester.
Diese flüsterte zu mir:
"Du darfst nicht mehr so viel fernschauen. Ich weiss, dass du sehr traurig bist, weil unsere Eltern geschieden sind, und dass du in der Schule keine Freunde hast. Aber mit Fernsehen wird’s auch nicht besser! Immerhin bin ich da. Und ich brauche dich auch, Kimie.”
Ich war ganz ruhig. Ich habe im Fernsehen gesehen, wie eine Katze eine Maus zu fangen versuchte, oder die ganzen Kampfserien, die ich nachzumachen versuchte. Doch das wichtigste Programm hatte es nicht…. Das Leben. Dies eines jeden einzelnen Menschen.
Ich war in der unrealen Welt gefangen und ich wollte wieder leben.
Ich ging ins Bett. Meine Schwester sagte nichts mehr. Ich glaube, sie hatte meine Gedanken lesen können. Sie war immer so. Meine Schwester. Ich dachte nie daran, ihr beim Abwasch zu helfen.
Oder sonst was. Irgendwas.
Ich wollte nicht mehr nur fernschauen, und in meiner Welt sein.
Ich brauchte ihn nicht!
Aus lauter Trauer hatte ich nur noch den Fernseher in meinem kleinen, blöden Kopf gehabt.
In dieser Nacht ging ich in den Fernsehraum, nahm das Kabel…
…und schnitt es durch. Ein für alle Mal.
Am nächsten Morgen stieg ich aus dem Bett. Schneller als Julia. Ich machte Frühstück, unsere Pausenbrote und ging wieder ins Bett.
"Kimie”, rief meine Schwester plötzlich. "Ich wusste es”, sagte sie und lächelte. Sie weinte fast.
Doch sie wusch sich die Tränen schnell weg, als ob sie wollte, dass sie niemals geweint hätte.
"So!”, fuhr sie fort, "los, aufstehen! Wir gehen essen, und dann machen wir nach der Schule ein Picknick und gehen auf die Wiese!!” Ich lächelte. Aus Freude. Nicht, weil etwas Komisches im Fernseher geschah, das mich zum Lachen brachte. Es war Freude. Lebensfreude.
In der Schule hatten wir Deutsch. "An was denkt ihr, wenn ihr das Wort <Fernseher> hört?”, stand an der Tafel. Ich schrieb ins Arbeitsheft; schwarze Fläche und nichts dahinter. Und lächelte aus dem Fenster.
Nachwort
Diese Geschichte ist mit den Eindrücken eines 11-jährigen Mädchens erzählt worden, das ich selbst war.
Wie sie beschlossen hatte, die angelehnte Tür zu betreten, die ihr schon immer offen war, die sie aber nie beachtet hatte. Die Tür ins eigene Leben, ungehindert von hindernden, nutzlosen Einflüssen.
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Autorin / Autor: Rani, 16 Jahre - Stand: 4. Juni 2010