Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet
Der helle Schein eines großen Vollmonds fiel durch das Fenster, als ich über den kalten Fußboden schlich. Meine nackten Füße tappten leise auf dem Holz, doch mein Herz schlug so laut, dass ich Angst hatte, dass jemand es hörte. Doch mich durfte niemand hören, niemand aufwachen. Besonders nicht sie. Denn hinter der Tür, die sich wie ein großes, dunkles Rechteck von der hellen Wand abhob, wartete ihr Freund. Sie durfte es niemals erfahren.
Als ich die Tür erreichte, lehnte ich mich einen Moment dagegen, schloss die Augen und atmete tief durch. Noch war es nicht zu spät, einfach wieder zurück ins warme Bett zu gehen. Doch ich wusste im gleichen Moment, dass ich zusammen mit ihm zurück in mein warmes Bett gehen würde. Wie jedes Mal. Denn ich brauchte ihn und er brauchte mich. Er war meine Stütze, mein Halt, mein Fels in der tosenden See. Mein Prinz auf dem weißen Pferd, der angaloppiert kam und mich rettete, wenn ich verzagte. Ich schluckte noch ein letztes Mal und öffnete dann die Tür. Langsam, mit einem lauten Knarren schwang sie auf. Es kam mir ohrenbetäubend vor. Wieso wachten sie nie auf? Manchmal wünschte ich fast, sie würden mich erwischen. Denn dann hätte das Versteckspiel endlich ein Ende. Doch diese Gedanken kamen mir nie, wenn er bei mir war, in meiner Nähe. Und dann stand er endlich vor mir, der Mondschein umstrahlte sein Gesicht, sein wunderschönes Gesicht, dass ich schon so oft vor mir gesehen hatte und doch viel zu wenig. Sein Gesicht, das mich in meinen Träumen verfolgte, das Einzige, wofür ich überhaupt lebte. Und dann sah er mich an und seine sanft geschwungenen Lippen bildeten ein Lächeln. Nur für mich. Dieser Teil des Tages war der beste, der Einzige, für den sich die Lügen, die Geheimnisse lohnten. Denn von uns wusste niemand. „Hey, Süße“, flüsterte er, als er mich an sich zog und mich sanft küsste. Ich schloss die Augen und alles verschwand um mich rum, außer ihm, ihm und unserem Kuss. Als mir leicht schwindelig wurde, entzog ich mich ihm, griff nach seiner Hand und zog ihn lautlos über den Flur in mein Zimmer. Dort sprachen wir nicht viel, ich schob die Tür hinter uns zu, als er auch schon vorsichtig meine Haut unter dem Nachthemd berührte. Ich schlang die Arme um ihn und ließ mich zu meinem Bett tragen. Dass sich die Tür nicht wie sonst mit einem Klicken geschlossen hatte, fiel keinem von uns auf. Wir kuschelten uns eng aneinander, erzählten uns leise von unserem Tag, küssten uns immer wieder. So lagen wir in der Dunkelheit nebeneinander und schlummerten langsam weg. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, ein gleißender Strahl des Mondlichts blendete mich, enthüllte unsere nackten Körper, zerstörte den Moment. Während ich noch blinzelte, um etwas zu erkennen, löste sich ein dunkler Schatten von der Tür und kam gefährlich langsam auf uns zu. Plötzlich fror ich und die Härchen in meinem Nacken stellten sich auf, während mein Herz anfing zu rasen, als ich sie erkannte. Sie machte die letzten zwei Schritte auf ihn zu, meinen Prinz, der sich inzwischen rasch mit einem T-Shirt bedeckt hatte und sich schützend vor meinem Bett aufgebaut hatte, und holte zur Ohrfeige aus. Ich konnte nur geschockt zusehen, wie sie ihren Freund ins Gesicht schlug. Ich war komplett gelähmt vor Angst. Dann stand meine Schwester vor mir, die kalte Wut war ihr ins Gesicht geschrieben, ins Gesicht, das meinem so ähnlich war. Ihr Gesichtsausdruck wandelte sich, als sie so vor mir stand und mich nur ansah: Von Wut über Enttäuschung zu einer tiefen Trauer, die mich mehr verletzte, als jedes Wort, das sie mir hätte an den Kopf werfen können. Berechtigterweise. Ich war ein Schwein, eine schlechte Schwester, ich hatte ihr Vertrauen gebrochen und ihr Glück zerstört. Während ich in Scham versank und nur um Verzeihung flehen wollte, wandte sie sich ab. Das gleißende Licht des Mondes verschwand, als sich die zuvor nur angelehnte Tür mit einem Knall hinter ihr schloss.
Autorin / Autor: Rebecca, 16 Jahre - Stand: 8. Juni 2010