Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet
Es war bereits April, doch kalte Winde und Stürme fegten noch immer durch das Land. Ich saß am Fenster und sah zu, wie der Nieselregen an das Glas prasselte. Traurig ließ ich den Blick über die Felder schweifen. Ich sehnte mich so sehr nach dem Frühling, doch im Norden Englands konnte man noch lange auf diesen warten. Ich zitterte vor Kälte, denn die Steinmauern des Internates hielten dem winterlichen Wetter nicht stand. Schließlich stand ich auf, um mich etwas aufzuwärmen. Das Internat, das jetzt, da meine Eltern verstorben waren, mein Zuhause war, glich eher einem Gefängnis. Ich fühlte mich nicht wohl und wenn ich mich in einem der tausend Zimmer verirrte, stieß ich auf seltsame, fast schon unheimliche Dinge, die mir nicht geheuer waren. Als ich jetzt durch einen der Gänge streifte, stieg mir ein angenehmer Geruch in die Nase, der so gar nicht zu meinem tristen und grauen Heim passte. Der Duft verführte mich und so konnte ich nicht anders als diesem zu folgen. Ich fand mich einige Minuten später in einem staubigen Korridor wieder, indem dem Zustand nach zu urteilen schon Jahre niemand mehr gewesen sein musste. Ich war mir sicher, dass ich hier richtig sein musste, denn der wunderbare Duft, der sich nun auf dem ganzen Gang zu verbreiten schien, schmeichelte meinen Sinnen. Ich konnte es nicht glauben, doch es erinnerte mich an Blumen, Gräser und Freude.
Ich schloss die Augen. Beinahe lautlos bewegte ich mich auf eine Tür zu, die an einen längst vergangenen Sommer erinnerte. Sie wirkte geheimnisvoll, doch die besänftigenden Farben verliehen ihr einen freundlichen, fast schon zarten Eindruck. Als sich meine Hände um das eiskalte Metall der Klinke schlossen, packte mich ein plötzliches, wahnsinniges Verlangen, die Tür zu öffnen. Erst als ich sie etwas genauer in Augenschein nahm, erkannte ich, dass die Tür nur angelehnt war. Ich strich sachte über das rosa schimmernde Holz. Ich konnte jede einzelne Holzfaser spüren, beinahe konnte ich das Holz unter dem zarten Anstrich leise atmen hören. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, als mich ein Luftzug streifte. Etwas ließ mich für ein paar Sekunden erstarren. Plötzlich hatte ich furchtbare Angst, denn die Tür kam mir auf einmal so fremd vor. Ich wusste nicht, wohin sie führte, was sie verbarg, oder auch verstecken mochte. Und dann wagte ich den einen Schritt, von dem ich noch nicht wusste, dass er mein Leben für immer verändern würde.
Als ich die Tür aufstieß, gab sie ein sehr unangenehmes Geräusch von sich, das mir jedoch zu gefallen schien. Milder, sommerlicher Duft von Feigen, Rosen und frischem Gras strömte mir unaufhaltsam entgegen. Verwirrt blinzelte ich in grelles Sonnenlicht. Ich hörte einen Fluss leise vor sich hin plätschern, Vögel zwitscherten und die Gräser bewegten sich sanft in dem Wind hin und her. Mein Herz begann vor Aufregung und vor Verwunderung schneller zu schlagen. Ich wagte mich immer weiter vor und bei jedem Schritt, den ich tat, wurde mir leichter zumute. Ich hatte eine andere Welt betreten, die mir so unwirklich vorkam. Weites, wildes Land erstreckte sich vor mir. Die Wiesen waren mit Mohn, Gänseblümchen und Veilchen bedeckt. Ich ließ mich in das Gras fallen, nur um mich zu vergewissern, dass ich dies alles nicht nur träumte. Ich wollte nicht, dass alles augenblicklich aufhörte und ich zurück in mein schreckliches, graues und leider auch reales Leben zurück musste. Als ein dumpfer Schlag die Stille durchbrach, zuckte ich zusammen. Ich richtete mich vorsichtig auf und starrte auf den Fleck, wo soeben noch die Tür gewesen war. Der Durchgang zwischen zwei Welten. Doch es beunruhigte mich nicht, denn ich hatte schon längst einen Entschluss gefasst. Ich wollte für immer hier bleiben. Ich hatte ohne zu zögern mein altes Leben, mein ganzes Leid und die Trauer zurückgelassen und nun war ich bereit für diese Welt. Ohne mich noch einmal umzublicken, rannte ich den blumenbewachsenen Hang hinab und ließ einen Freudenschrei los!
Autorin / Autor: Alexandra, 13 Jahre - Stand: 10. Juni 2010