Ratten
Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet
Es regnete. Ich schaute betrübt aus dem Fenster. Meine Mutter kam in mein Zimmer. Sie sagte etwas, doch ich hörte nicht zu. „Peter hörst du mir eigentlich zu?“
„Was ist denn Mum?“ „Dein Freund John ist da. Er fragt ob du mit ihm spielen willst.“
Ich schaute genervt. „Nein. Ich will nicht spielen, ich will hier einfach nur betrübt durch das Fenster schauen.“ „Ach diese Teenager.“
John, ein unbeliebter Junge aus der Schule, kam in mein Zimmer. Seine grünen Augen schauten mich erwartungsvoll an. Ich zückte eine Silberdose. „Und was gibt es heute zu verkraften?“ fragte ich ihn schwach lächelnd. Er hatte wohl eben noch geweint. Seine Augen waren rot unterlaufen. „Ach, nur wieder mal ein paar Typen die mich verprügelt haben.“
Ich hatte es durch das Fenster beobachtet. Sie kamen aus einem Busch gesprungen. Einer von schlug ihm in den Bauch. John fiel auf den Boden und die Typen fingen an ihn zu treten, immer auf die gleiche Stelle. Er hatte angefangen zu weinen und sie lachten ihn aus.
Ich drehte die Dose in meiner Hand auf. Ich holte eine Zigarette raus. Er nahm sie und zog lange daran. Er ließ seine Augenlider kurz flattern und fiel dann auf mein Bett. „Na? Was machen wir jetzt?“ fragte er mich. Ich dachte nach. Eigentlich hatte ich heute nicht vor, irgendetwas zu machen. Ich wollte mich eigentlich nur im Haus vor den Schlägern verstecken. Niemand traute sich nah an diesen Ort heran. Nur wir „Freaks“ - wie sie mich, meine Familie und John nannten - trauten sich in dieses Spukschloss.
Eigentlich war hier nichts, was einem Angst machen konnte. Das Haus war nur alt, sehr alt. Die matschgrüne Farbe blätterte schon von den morschen Holzwänden. Das Haus hatte drei Etagen. Im Erdgeschoss wohnten meine Großeltern. Sie hatten das Haus gekauft und wohnten nun schon fünfzig Jahre hier.
Im ersten Stock wohnten meine Mutter und ich. Mein Vater hat sich vor zwei Jahren vom Dach des Hauses gestürzt. Er verbrachte damals viel Zeit im Keller des Hauses. Er war Biologe. Ich wette, er hat irgendwas entdeckt. Das war so gefährlich. Da hat er Angst bekommen und sich einfach vom Dach des Hauses gestürzt. Im zweiten Stock lebte mein schwuler Onkel mit seinem Lebensgefährten.
John schaute mich fragend an. „Wir können doch in den Keller gehen?“ „Was?“ Ich schaute auf. Ich hatte gar nicht zugehört. Eine Fliege hatte mich abgelenkt. Sie hatte versucht aus dem Zimmer zu kommen. Sie war immer wieder gegen das Fenster geflogen. „In den Keller, habe ich gesagt.“ „Du willst in den Keller? Du weißt, dass wir das nicht dürfen. Das ist der Keller meines Vaters. Selbst die Polizisten hat meine Mutter da nicht rein gelassen. Da darf und will keiner mehr rein.“ „Ach komm. Wir können ja mal einen Blick rein werfen. Vielleicht finden wir ja was Wertvolles. Oder etwas das zeigt, warum sich dein Vater umgebracht hat.“ „Nein! Wir können da nicht rein. Aber wenn du das unbedingt willst, dann werde ich dich nicht aufhalten.“ John stand auf, und machte alle Anstalten runter zu gehen. Das war nur die Wirkung des Grases. Das würde bald nachlassen, dachte ich mir. Nach einigen Minuten vergebenen Wartens ging ein Schrei durch das Haus. Ich rannte auf den Flur und die Treppe runter ins Erdgeschoss. Mein Mutter stand mit Angst erfüllten Augen vor der angelehnten Kellertür. „Was ist passiert?“ fragte sie mich. „John ist da rein gegangen. Ich habe ihm gesagt, er darf das nicht, aber er hat es einfach gemacht.“
Meine Mutter versuchte sich zu beruhigen. „Ich werde seine Eltern anrufen. Geh du bloß nicht auch noch da rein.“ Sie ging mit zittrigen Beinen wieder nach oben. Sie wusste etwas und wollte es mir verheimlichen. Ich schlich mich durch die angelehnte Tür.
Im Keller war es dunkel. Ich fand keinen Lichtschalter. Die Treppen knarrten als ich sie runter stieg. Der Geruch von Rattenkot zog mir in die Nase. Ich trat auf etwas. Ich bückte mich um es zu berühren. Es war kalt und weich. Ich nahm es in die Hand, hob es vor mein Gesicht und lies es wieder fallen. Es landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Kellerboden. Es war eine tote Ratte gewesen. Ich wollte wieder hoch gehen, doch die Tür war abgeschlossen. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch stieg ich die Treppenstufen wieder runter. Gott wollte wohl, dass ich John fand.
Unten angekommen, versuchte ich mich zu orientieren. Ich ging an der Wand entlang. Sie war feucht und mit Moos bewachsen. Auf einmal hörte ich ein Schnüffeln. „John?“ rief ich in die undurchdringliche Dunkelheit. Das Schnüffeln hörte auf. Es wurde zu einem Rascheln. Etwas kam auf mich zu. Ich bekam Angst und lief in das Dunkel vor mir um nicht von dem Wesen geschnappt zu werden. Ich fiel hin. Etwas klammerte sich an meiner Jeans fest. Es kletterte mir den Rücken hoch. Ich drehte mich um und Schlug das Vieh weg. Es war eine Ratte gewesen. Sie flog gegen die Wand und fiel tot zu Boden. Ich kroch nun vorsichtig auf dem Kellerboden entlang. Immer wieder hörte ich Geräusche. Ich konnte mich nicht mehr orientieren. Mein Angst wuchs mit jedem Schrei und Rascheln, das ich hörte. Plötzlich ertastete ich eine Wand. Ich zog mich an ihr hoch. Dort war ein Lichtschalter. Ich drückte ihn. Das Licht ging an. Ich drehte mich um. Der Raum sah aus wie ein Labor. An den Wänden standen Schränke voll mit Reagenzgläsern. Nur in der Mitte war ein Haufen von Ratten. Sie lagen auf einander und schienen an irgendetwas zu nagen. Durch das Licht wurden sie auf mich aufmerksam. Sie stiegen von ihrem Opfer runter und kamen auf mich zu. Ich schrie los. Ich sah John. Dort lag er auf dem schmutzigen Boden. Seine Klamotten waren zerrissen und an vielen Stellen war seine Haut angefressen. Er hatte nur noch ein Auge und wenige Finger. Die Ratten stürzten sich nun auf mich. Sie begruben mich. Ich wurde bewusstlos.
Meine Augen öffneten sich und ich schaute in das erleichterte Gesicht meiner Mutter. „Endlich bist du wach.“ Ich hörte ein Scharren unter meinem Bett im Krankenhaus von New York. Die Ratten suchen dich, ging mir durch den Kopf. Ich bekam Angst. Plötzlich wurde es schwarz vor meinen Augen. Ich war wieder bewusstlos.
Zur nächsten Einsendung
Autorin / Autor: Lennart, 14 Jahre - Stand: 14. Juni 2010