(Un) erwünschte Wahrheit
Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet
Jeden Abend war es das gleiche. Ich lag im Bett und schaute zur Küchentür, die meistens geschlossen war, doch ich wusste, was sich dahinter abspielte.
Sie war aus dunklem Kirschholz und knarrte laut, wenn man sie öffnete. Meine Eltern waren in der Küche und sahen fernsehen. Mein Vater hatte immer die Beine überschlagen und aß einen Joghurt. Meine Mutter schaute immer interessiert auf den Bildschirm, auch wenn die Werbung kam. Die beiden liebten sich von ganzen Herzen. Ich hatte noch nie ein Paar gesehen, dass sich mehr liebte als meine Eltern. Nachdem Mamas Lieblingsserie zu Ende war, unterhielten sie sich immer.
Ich hörte den beiden gerne zu und wollte immer wissen worüber sie reden. Leider war das nur selten möglich, weil die Tür meistens verschlossen war.
Zu gern hätte ich mir gewünscht, dass sie einmal nur angelehnt wäre.
Eines Abends, als ich im Bett lag und nachdachte, knarrte die Küchentür laut. Ich horchte. War Mamas Serie schon so früh zu Ende? Ich hörte meine Eltern lauter als sonst. Ich stieg aus dem Bett und schlich zur Küchentür. Die war angelehnt. Ich spinkste durch den Spalt: Meine Mutter stand mit dem Rücken zu mir und den Händen in die Hüften gestemmt vor meinem Vater und mein Vater zog sich gerade die Jacke aus. Ich bemerkte die angespannte Atmosphäre. In den Augen meiner Mutter musste es blitzen. Mein Herz klopfte wild. Warum war sie sauer? Plötzlich schrie meine Mutter meinen Vater an.
>>Was denkst du eigentlich, wer ich bin? Denkst du, ich bemerke so etwas nicht? <<. >>Doch, natürlich. Ich verstehe aber nicht, was du so schlimm daran findest! <<, gab mein Vater zurück. Wovon redeten sie bloß? Seit wann hatten sie irgendwelche Probleme? >>Wie konntest du mich so verletzen? Was hast du dir nur dabei gedacht? <<. >>Ich hielt es für nicht so wichtig, bis du anfingst, so ein Drama daraus zu machen! <<. Sie hatten also schon länger Probleme. Und ich hatte nie auch nur ansatzweise etwas davon bemerkt! Ich war total verwirrt, ich hätte es nie für möglich gehalten, dass sich meine Eltern mal stritten. In anderen Familien bekam ich so etwas zwar oft mit, aber meine Eltern? Meine Eltern, die immer so glücklich mit einander waren? Meine Eltern, die immer ein großes Vorbild waren? Mein Kopf war voll mit Fragen. Fragen ohne Antworten. Ich vergaß, dass meine Eltern direkt nebenan waren und nichts von meiner Anwesenheit wussten. Ich lief in mein Zimmer. Erst als ich mich unter meiner Decke zusammen gerollt hatte, bemerkte ich die Stille. Kein einziges Geräusch drang mehr durch die angelehnte Tür.
Hatten meine Eltern mich bemerkt? Sollte ich zu ihnen gehen und eine Erklärung fordern? Oder lieber nicht? Einen Versuch wär’s doch wert.
Ich stand auf und ging mit zitternden Händen und Puddingbeinen zu ihnen in die Küche. In dem Moment, als sie mich sahen, taten sie so, als wäre nichts. Mama fummelte an ihrem Rock herum und Papa las eine Zeitung.
>>Was ist los, Mama und Papa? Ich will eine Erklärung! <<, sagte ich plötzlich laut. Meine Eltern waren erschrocken. Mama wurde unruhig. Sie schienen ihre Unsicherheit verbergen zu wollen.
>>Nichts, Schätzchen. Alles ist so wie immer. Geh’ jetzt ins Bett, es ist schon spät. <<, sagte Papa. Was war los? Ich spürte wie meine Augen feucht wurden. Spielten sie mir etwas vor? Waren sie gar nicht so wie ich sie sah?
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Autorin / Autor: Mila & Lotta, 12 und 13 Jahre - Stand: 15. Juni 2010