Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet
Die Tür auf dem Dachboden des alten Hauses ist angelehnt. Nanu, denkt sich Clara, normalerweise ist sie doch immer versperrt. Nie haben ihre Eltern auch nur ein Wort darüber verloren, was sich dahinter verbergen mag. Alle Versuche, das Geheimnis zu lüften sind fehlgeschlagen. Kein Schlüssel passte, mit keinem Trick war die Tür aufzubekommen. Inzwischen hat Clara es aufgegeben und sich damit abgefunden, dass sich nichts hinter der Tür verbirgt. Jedenfalls nichts, was für ihre Augen bestimmt wäre. Auch wenn es deprimierend ist; aber was soll sie schon groß machen.
Ihr Bruder Flori erzählte ihr früher Gruselgeschichten von einer alten Frau, die vor ihnen in dem Haus gelebt haben soll und hinter der Tür grauenvoll ermordet wurde. Ihr Mörder wurde nie geschnappt. „Nun spukt ihr Geist hier herum und wenn du nicht aufpasst, kommt sie zu dir und holt dich“ sagte er immer. Deshalb konnte sie als kleines Mädchen nie schlafen, immer hörte sie komische Geräusche und dachte, der Geist der alten Frau würde im Haus herumwandeln, da ihr Mörder nie aufgespürt wurde und sie deshalb keine Ruhe finden konnte. Heute, weiß Clara, ist das unglaublicher Schwachsinn und ihr Bruder ein Idiot, der ihr Angst machen wollte. An solche Gruselgeschichten glaubt sie nicht mehr.
Immernoch steht Clara vor der angelehnten Tür, unsicher, was sie nun tun soll. Soll sie einfach hineingehen, es wagen und das große Geheimnis um die andere Seite der Tür lüften? Sie weiß es nicht genau. Es kommt alles so plötzlich. So lange hat sie darauf gewartet, dass die Tür offen steht. Nun hat sie die Chance, die Tür ist angelehnt. Clara lunst hinein, legt ein Ohr an, um zu lauschen. Doch sie kann weder etwas sehen, noch hören. Was, wenn der Inhalt tatsächlich nicht für ihre Augen bestimmt ist und es besser ist, einfach so zu tun, als wäre die Tür abgesperrt? Einfach an ihr vorbeizugehen, so wie immer? Andererseits werde ich womöglich nie erfahren, was hinter der Tür ist, wenn ich jetzt nicht nachschaue, sagt sich Clara und schon steht sie in dem dunklen Raum. Sie schaltet das Licht an. Auf dem Boden vor ihr liegen Absperrband und ein Zettel, den Clara betrachtet. Plötzlich sieht sie, dass der Zettel ein Polizeisiegel ist und auf dem Absperrband „ Nicht betreten, Tatort“ steht. An der Wand stapeln sich verstaubte Kisten und Erinnerungsstücke in Regalen. Gegenüber der Tür hängt ein Foto einer alten Frau mit zwei kleinen Kindern. Oh mein Gott, schießt es Clara durch den Kopf, Flori hatte doch Recht und die alte Frau wurde hier umgebracht! Aber warum um alles in der Welt war die Tür offen? Clara zuckt zusammen. War da nicht gerade ein Schatten über die Wand gehuscht? Sie hatte es ganz deutlich gesehen! Ein Schauer fährt Clara über ihren Rücken. Irgendjemand ist in dem Raum, doch weder ihre Eltern, noch ihr Bruder sind zu Hause. Obwohl sie Angst hat und am liebsten hinausrennen würde, geht Clara auf die Mitte des Raumes zu. Ihre Beine bewegen sich in die vollkommen falsche Richtung! Sie will hier raus! Und dann sieht sie hinter einem Haufen Kisten jemanden stehen. Er beugt sich über etwas. Bei genauerem Betrachten sieht Clara einen Fuß. Dieser jemand beugt sich über eine Leiche. Über die Leiche der alten Frau! Ihr entfährt ein Schrei. Sie wollte es noch verhindern, doch es war schon zu spät. Der Mann dreht sich um und kommt mit einer blutverschmierten Säge auf Clara zu. Sie dreht sich um, will fliehen, doch der Mann packt sie. Clara schreit. Schreit so laut sie nur kann, sie schreit um ihr Leben. Die Nachbarn müssten sie doch hören. Irgendjemand müsste sie hören und die Polizei rufen. Dann wird alles schwarz.
„Clara! Clara!“ Jemand rüttelt an ihr. In der Dunkelheit ihres Zimmers kann sie nichts erkennen. Ist dies der Mann, der die Frau umgebracht hat? Wieso hat er sie in ihr Zimmer gebracht? Was war mit ihr passiert? Er würde sie umbringen! Clara beginnt wieder zu schreien. Dann geht das Licht an. „Clara, mein Schatz, du hast schlecht geträumt. Es ist alles gut, ich bin hier!“ sagt ihr Vater. Oh mein Gott, denkt Clara, die schweißgebadet und vor Angst Luft schnappend in ihrem Bett liegt. Oh mein Gott! „Es war nur ein Alptraum“, flüstert ihr Vater ihr ins Ohr. „Ist alles wieder okay? Soll ich dir einen Tee machen?“ „Ja, ja, Tee ist gut“ sind die einzigen Worte, die Clara herausbringt, während sie sich nur langsam beruhigen kann.
Als ihr Vater wieder verschwunden ist und Clara ihren Tee getrunken hat, kann sie vor lauter Aufregung nicht mehr schlafen. Also steht sie auf und geht auf den Dachboden. Dort steht sie lange Zeit vor der Tür. Sie traut sich nicht, zu prüfen, ob sie abgeschlossen ist. Aber sie weiß, dass sie erst wieder schlafen kann, wenn sie sicher ist, dass alles beim Alten ist. Also legt Clara ihre Hand um die Klinke, bewegt sie langsam hinunter, während sie gegen die Tür drückt. Nichts. Sie gibt nicht nach. Verschlossen. Ein erleichterter Seufzer entfährt Clara. Alles ist so, wie es sein soll. Die Tür ist zu und das ist auch besser so. Ich werde nie wieder versuchen, zu erfahren, was sich in dem Raum hinter der Tür verbirgt, selbst wenn sie offen stehen sollte, denkt sich Clara und geht in die Küche um sich einen weiteren Tee zu machen und diesen Alptraum der angelehnten Tür zu vergessen.
Autorin / Autor: matheallergiker, 15 Jahre - Stand: 15. Juni 2010