Ein leeres Haus
Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet
Trübes Sommerlicht drang durch die schmutzigen Fenster und zeigte, wie der Staub in der Luft tanzte. Sophie trat einige Schritte in den kleinen Flur hinein, die Haustür hinter ihr blieb offen. Staunen überkam sie. Auf dem Boden lagen Erdklumpen und die blau getupfte Tapete begann bereits sich von den Wänden zu schälen. Risse durchzogen die Decke, doch trotz des merklichen Verfalls konnte man noch die frühere Schönheit des Raumes erkennen. Von so etwas hatte sie schon immer geträumt. Ein großes, altes Haus, versteckt hinter Tannen und einer hohen Buchsbaumhecke. Ein Garten wie aus Alice im Wunderland, der aussah, als sei er nur dafür geschaffen worden, in ihm die verrücktesten Teepartys zu veranstalten. Der perfekte Ort zum Träumen und um dem grauen Alltag zu entfliehen. Es war kaum zu glauben, dass dieses Haus seit mehreren Jahren leer stand und sich einfach kein Käufer finden ließ. Auf dem Weg zur Schule hatte sie es oft gesehen, am Ende der kleinen Seitenstraße mit den ansonsten so eintönigen Reihenhäusern. Die sonnengelbe Fassade und die einst weiße Veranda, die morschen Fensterläden und der kaputte Schornstein, dies alles wirkte wie aus einem Märchen. Verzaubert, dazu verdammt auf ewig in seiner eigenen Welt zu existieren. Nur die verwunschene Prinzessin in ihrem wallenden Ballkleid fehlte noch. Sophie lächelte still und schaute an sich hinab. Kurze, braune Haare, ein rosa T-Shirt und eine ausgewaschene Jeans. Nein, eine Prinzessin war sie nun wirklich nicht. Sie lehnte ihre Umhängetasche gegen die Wand neben dem Eingang und sah sich um. Sie hätte nach oben, in den ersten Stock gehen können, aber sie wollte den Garten sehen und außerdem konnte man sich nie sicher sein wie morsch diese Treppen tatsächlich waren. Der Flur führte um eine Ecke und endete nach wenigen Metern in einem langgezogenen Raum mit einer hohen Decke. Er sah fast aus wie ein kleiner Tanzsaal. Durch die hohen Fenster stachen einem die unzähligen Rosenbüsche rund um das Haus ins Auge. Sie blühten, aber die Farben wirkten ausgewaschen und ihre Köpfe hingen schlaff hinunter. Es fehlte eindeutig die aufopfernde Hand eines Blumenliebhabers. Die Dielen knarrten laut unter jedem ihrer Schritte. Sie betrachtete die Einzelheiten genauer, wünschte sich, sie wäre schon früher hier her gekommen und wunderte sich über die schmucklose Eleganz mancher Dinge. Erst zuletzt fiel ihr die unscheinbare Tür hinaus in den Garten auf. Sie war nur angelehnt und bewegte sich leicht im Wind. Bunt bemalte Blumenranken kletterten an ihr empor. Als Sophie nach dem rostigen Knauf griff, war ihr ein wenig unbehaglich zu mute. Sie sehnte sich auf erschreckende Weise danach, in den Garten hinaus zu treten und einfach nur die Pracht des Augenblicks zu genießen. Doch etwas störte sie. Warum war diese Tür nicht abgeschlossen? Musste nicht irgendjemand dafür gesorgt haben, dass alles unbeschädigt blieb? Was, wenn Landstreicher sich hier niederließen? Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Auch die Vordertür hatte offen gestanden. Auf dem Weg nach Hause hatte Sophie nur einen kleinen Abstecher gemacht. Sie wollte sich nur kurz auf dem Anwesen umsehen, niemals hatte sie damit gerechnet bis ins Haus selber zu gelangen. Doch es war so verlockend gewesen. Nur ein kurzer Blick, niemand würde sich daran stören. Schließlich wohnte dort ja niemand... Panisch wich sie vor der Tür zurück. Der süßliche Geruch nach Flieder strömte hinein und sie hörte den Wind in den Blättern rauschen. Regungslos stand sie dort, inmitten des verlassenen Zimmers. Immer schneller pochte ihr Herz. Was war nur los? Ein leeres Haus, na und? Vor so etwas Banalem brauchte man doch keine Angst zu haben. Trotzdem begannen ihre Hände leicht zu zittern. Sah sie dort aus den Augenwinkel nicht eine Person stehen? Schnell schaute sie weg. Nein, das konnte nicht sein! Ein hysterisches Lachen drang aus ihrer Kehle. Es hallte von den Wänden wieder, schrill und hoch. Was war nur mit ihr los? Sie musste sofort raus, weg von diesem Ort. Grauen stieg in ihr auf. Der Flur. Sie stürzte hinaus, die Augen weit aufgerissen. Konnte dort vorne hinter der Ecke jemand sein? Sie prallte beinahe gegen die Wand. Da lag ihre Tasche, unberührt, genauso wie es sein sollte. Im Vorbeilaufen griff sie nach ihr und drückte sie fest an sich. Es kam ihr beinahe so vor als griff eine Hand nach ihrer Schulter. Sophie rannte noch schneller, zertrat einige Tulpen auf ihrem Weg über die hohe Wiese. Das Eiserne Tor schwang mit einem leichten Quietschen auf. Sie lief die leere Straße entlang, immer noch zitterte sie am ganzen Leib. Kein Mal drehte sie sich um, bevor sie in einer anderen, belebteren Straße verschwand. Sie wusste nicht wovor sie wegrannte, doch eins stand fest. Niemals wieder wurde Sophie her kommen.
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Autorin / Autor: Magali, 16 Jahre - Stand: 15. Juni 2010