Eine angelehnte Tür
Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet
Der Wind strich sanft über das wogende Meer aus unzähligen langen Grashalmen.
Fasziniert sah ich auf dieses Naturschauspiel um mich herum, das so wunderbar zu dem Bild direkt vor mir passte. Ein riesiges, majestätisch wirkendes Haus aus der Renessaince ragte ein paar Meter von mir entfernt in den Himmel hinauf. Wie in einem magischem Bann , willenlos, lief ich darauf zu. Trotz der eingeschlagenen Fenster und der fast zu gewucherten Terrasse konnte ich die elektrische Spannung die von diesem Haus ausging beinahe auf der Haut spüren. Mein Herz pochte immer schneller, je näher ich der Tür kam.
Irgendetwas in mir, zwang mich dieses Haus von innen zu betrachten. Und dann war es soweit. Ich stand vor der Tür. Sie war das Einzige, was an diesem Haus nicht beschädigt war. Das Teakholz aus dem die Tür angefertigt worden war, verlief ebenmäßig bis zum oberen Rand des Rahmens und ließ keinen einzigen Makel erkennen. Langsam streckten meine Finger sich nach der Klinke aus und ich drückte sie herunter.
Ich war überrascht, als die Tür sich sofort zur ein Stück zur Seite bewegte.
Sie war nur angelehnt gewesen. Durch den kleinen Spalt den ich geschaffen hatte, quoll augenblicklich grauer Nebel hindurch.
Das machte die ganze Sache noch reizvoller.
Andächtig öffnete ich die Tür einen Spalt breiter, in der Hoffnung etwas Außergewöhnliches zu sehen, wie etwa Graf Dracula der mir an die Kehle springen würde.
Doch ich sah nur die zersplitterten Holzdielen und einen winzigen Tisch der im Flur stand.
Jetzt konnte ich sorgenfrei das Haus erkunden.
Vorsichtshalber prüfte ich jedoch den Boden bevor ich fester auftrat. Man konnte ja nie wissen.
Als ich ein paar Schritte gegangen war, schlug die Tür hinter mir zu und ich drehte mich erschrocken um.
Das war nicht nur der Wind gewesen, da war ich mir sicher.
Doch während meine Füße ein paar Schritte nach vorne stolperten, fiel ich.
Schwarze Dunkelheit umgab mich und ich fiel und fiel, immer weiter. Bis ich nichts mehr wahrnahm.
Mein Kopf brummte als ich versuchte mich aufzurichten.
Was war passiert? Wo war ich?
Stück für Stück kamen jedoch all die Erinnerungen zurück und ich konnte mich orientieren.
Dort war der Tisch, den ich gesehen hatte kurz bevor ich hinabgestürzt war.
Aber irgendwie war er verändert. Der ganze Flur hatte sich verwandelt.
Die alten Holzdielen hatten sich vollständig erneuert. Man konnte nicht einen Riss oder eine Spalte sehen und der Abstelltisch war in einem tiefen Marineblau angestrichen das im Kerzenlicht sanft schimmerte.
Ja, Kerzenlicht. Vorher war der Flur trostlos und dunkel gewesen. Jetzt erstrahlte er in warmen und satten Farben.
Verwundert rieb ich mir die Augen. Träumte ich, oder war das hier alles real?
Ich richtete mich auf und sah mir alles genauer an.
Am Tisch konnte ich nun auch die winzigen, fein eingearbeiteten Intarsien und Ornamente erkennen, die sich um den Rand schlängelten.
Beeindruckt lief ich auf eine der vier Türen zu, um zu sehen ob sich dort auch dieselbe Einrichtung wie hier befand.
Der Knauf an dieser Tür war vergoldet und lief in einem runden Bogen nach unten.
Als ich die Tür öffnete wehte mir ein warmer Hauch direkt ins Gesicht.
Und dann sah ich sie.
Es waren zwei Männer und eine Frau.
In ein leises Gespräch vertieft, saßen sie um einen niedrigen Couchtisch herum.
Hinter ihnen flackerte ein kleines Feuer im Kamin und verlieh dem Raum eine ruhige Atmosphäre.
Die Frau trug einen weiten Rock aus Seide, der bis zum Boden reichte und dort leichte Falten schlug.
Ihr Korsett schmiegte sich eng an den Körper und betonte damit großartig ihre sehr femininen Kurven.
Die beiden Männer hingegen hatten jeweils eine weite Hose an und ein Hemd deren Manschetten eine wunderbare Baumwollspitze zierte.
Versehentlich stieß ich jedoch mit meinen Bein an eine kunstvoll verzierte Vase, die mit einem lauten Geräusch umkippte und in tausend Scherben zerbrach.
Ertappt hielt ich die Luft an, als sich drei Augenpaare neugierig auf mich richteten.
´Beweg dich nicht vom Fleck`, befahl ich mir im Stillen, musste mich aber sehr zusammen reißen um nicht doch gegen den Vorsatz zu verstoßen.
Einer der Männer erhob sich und kam dann langsam auf mich zu.
Seine Mimik hatte an sich nichts bedrohliches, doch der Blick den er mir zuwarf war kalt.
Augenblicklich bildete sich auf meinen Armen Gänsehaut.
„Wer bist du?“, fragte er mich mit klarer, tiefer Stimme.
Ich konnte nur fassungslos in seine Augen schauen und vergas dabei fast zu antworten.
„Ich bin Emma.“, flüsterte ich.
„Schön dich kennenzulernen, Emma. Ich bin Antoine. Dies ist meine Schwester Georgia und ihr Verlobter John. Sag mir, was hat dich in diese entlegene Gegend getrieben?“
Lange dachte ich nach. Wieso war ich denn hierher gekommen?
Mein Gedächtnis schien wie ausgelöscht.
Ich- ich weiß es ehrlich gesagt nicht mehr. Ich kann mich nur noch erinnern das ich plötzlich hier bei ihnen im Flur stand.“
Antoine machte eine einladende Handbewegung in Richtung der Couch.
„Nun gut. Was immer dich hierher verschlagen hat. Du sollst unser Gast sein. Mach es dir bequem. Meine Schwester wird dir sogleich eine passendere Kleidung geben.“
Verwirrt sah ich an mir herab und merkte, dass meine Kleidung dreckig und verschmutzt an meinem Körper klebte. Ich hatte in all der Aufregung gar nicht bemerkt wie ich aussah.
Eigentlich war es mir unangenehm fremde Kleidung zu tragen, doch die Verlockung war zu groß in ein paar saubere und warme Kleidungsstücke zu schlüpfen.
Also ließ ich mich an den Tisch führen, auf dem bereits vier Tassen mit Tee dampften.
Schon nach ein paar Minuten brachte mir Georgia ein weinrotes Wollkleid mit einem goldenen Kamm für die Haare. Sie führte mich in ihr Zimmer damit ich mich in Ruhe umziehen konnte und ließ mich alleine.
Anfangs hatte ich noch ein schlechtes Gewissen gehabt wegen meiner Eltern, doch jetzt konnte ich mich nur noch schemenhaft daran erinnern, weshalb ich überhaupt noch von hier weg wollte. In diesem Haus hatte ich doch alles was ich wollte.
Schon nach ein paar Minuten, konnte ich mich an nichts anderes erinnern, als das ich schon seit meiner Geburt hier in Frieden und Ruhe lebte.
Ein paar Tage später berichtete die Zeitung über ein merkwürdiges Geschehen.
Der Hund eines Förster habe in einem alten Haus aus der Renessaince ein totes Mädchen gefunden.
Doch es sah eher so aus, als ob es schliefe:
In seinem weinroten Wollkleid mit dem goldenen Kamm in den Händen.
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Autorin / Autor: Kira, 14 Jahre - Stand: 15. Juni 2010