Das Leben hinter den Lichtern
Wieder einmal war es soweit. Wieder einmal standen die Weihnachtstage bevor. Ich versuchte jedes Jahr auf's neue, auch für mich ein Fest der Liebe daraus zu machen. War jedoch jedes Mal vergeblich daran gescheitert. Vermutlich auch der Grund, warum ich hoffte, dass diese Tage schnell vorübergingen und ich diesen kitschig geschmückten Tannenbaum zum Müll runter tragen könnte. Den ich gar nicht wollte. Naivität. Der einzige Grund, warum er in meiner Wohnung überhaupt stand.
Nun lebte ich schon so viele Jahre in dieser Stadt. In einem dieser großen grauen Hochhäuser. Tot sehen sie aus. Einfach nur tot. Egal zu welcher Zeit ich aus dem Fenster sah, immer das gleiche. Grau in grau, in einigen Fenstern blieb die Weihnachtsdeko das ganze Jahr über hängen. Es waren leere tote Fenster. Nichts zu sehen von Leben. Und genau das würden die auf der anderen Seite sicher auch denken. Doch hier war Leben. Hier war meines.
Oft saß ich hier und starrte die anderen Häuser an. Am liebsten bei Dunkelheit. Denn Licht bedeutete Leben. Dort drüben war ein Leben. Vielleicht auch mehr als nur eines.
Es wurde früh dunkel zu dieser Jahreszeit, und es war kalt. Ich machte mir wie jeden Abend einen heißen Kakao und setzte mich ans Fenster. Ich verbrannte mir die Zunge am heißen Kakao und stellte ihn zur Seite. Ich griff nach meiner Gitarre und spielte ein trauriges Lied. Und sang mit. Ich liebte solche ruhigen Abende. Auch wenn ich alleine war. Ich spielte und ich sang. Während dessen sah ich auf die grauen Häuser, die in diesem Abendlicht bläulich schimmerten. Und ich beobachtete die Lichter. Alle dort drüben lebten im Alltag. Ich hab so oft gesehen, zu welcher Zeit die Lichter an und aus gehen, sie kamen mir vertraut vor.
Nun war mein Kakao abgekühlt und ich legte die Gitarre zur Seite. Draußen begann schon die Nacht. Ich saß im Dunkeln meiner Wohnung. Und dann sah ich es. Das Licht.
Es kam aus einer der Wohnungen im Haus gegenüber. Aber es war neu. Es war anders. Es störte mein gewohntes Bild. Ein neues Leben wohl, hatte auch den Weg in eines dieser toten Häuser gefunden. Einige Zeit saß ich nur so dort und beobachtete dieses Licht. Es flackerte. Es war klein. Eine Kerze. „Eine Kerze“, dachte ich.
So tat ich es die darauf folgenden Abende. Trank Kakao. Spielte Gitarre. Sah zu, wie jeden Abend eine Kerze angezündet wurde. Ich malte mir Geschichten. Vielleicht war dieses Leben so eines, wie meines. Eines das noch nicht den richtigen Platz gefunden hatte. Eines, das ständig auf der Suche war, nach nur einem kleinen bisschen mehr. Die Zeit verging schnell und nun stand Heiligabend vor der Tür. Es war sogar Schnee gefallen. Doch davon war nichts mehr zu sehen. Auf den Straßen waren zu viele Autos. Die letzten Geschenke mussten wohl noch gekauft werden. Wie jedes Jahr verbrachte ich nun also auch dieses Weihnachten alleine. Ich schaute aus dem Fenster und sah „es“ nicht. Dort brannte keine Kerze. Nichts. Das Fenster war leer. Kein Licht. Doch weiter dachte ich nicht drüber nach. Immerhin war Weihnachten eine fröhliche Zeit. Eigentlich. Und dann klingelte es an der Tür.
Verwundert darüber, das jemand am 24.12. an meiner Tür klingelte, öffnete ich sie. Ein großer junger Mann stand vor meiner Tür. Etwas schüchtern lächelte er mich an. Dann stellte er sich vor. Er sagte er würde im Haus gegenüber wohnen und ihm seien ausgerechnet an diesem Abend die Kerzen ausgegangen. Doch keiner im ganzen Haus hatte Kerzen. Niemand. Er verdrehte die Augen. Er war von Wohnung zu Wohnung gegangen und habe nach Kerzen gefragt. Ich bat ihn in meine Wohnung. Könnte er wirklich das Leben sein, das ich beobachtet hatte? Ich versuchte es herauszufinden indem ich ihn ansah. Doch so langsam stieg meine Neugierde. Ich machte uns Kakao. Dann fragte ich ihn. Er lächelte. Er lächelte so warm. Er erzählte mir, dass seine Eltern vor langer Zeit verstorben waren. An Weihnachten. Er war noch jung gewesen und könne sich kaum an sie erinnern fügte er hinzu. Doch um ihnen einen Gruß in den Himmel zu schicken, zündete er jeden Tag, bis Weihnachten eine Kerze für sie an. Ich wurde sprachlos. Dann beschlossen wir, dieses Weihnachten zusammen zu verbringen. Und wir zündeten eine Kerze für alle anderen Menschen an. Für alle. Denn keiner ist an diesem Abend wirklich alleine.
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Autorin / Autor: badmoonlight - Stand: 14. November 2008