Der Garten war hell erleuchtet und im Himmel tat sich ein Loch zwischen den Wolken auf. Ein goldenes Licht fiel auf Jo und mich und so standen wir da und waren fasziniert von diesem goldenen Schein.
Jonathan blickte mit seinen großen, fast goldenen Augen zu mir hinauf und wieder einmal fiel es mir schwer, diesen kleinen Kerl nicht einfach in den Arm zu nehmen. Ich wusste, wenn ich anfangen würde zu weinen, würden seine Augen nur noch größer werden und helfen würde es auch nicht. In jedem Zug seines runden Gesichtes erkannte ich meinen großen Bruder und manchmal schien es mir, als sei ich wieder klein und nicht Jo, sondern er würde mich auffordern, mit ihm zu spielen. Wie damals, als noch alles wunderbar war, wir Kinder waren, das Böse nur in Büchern gesehen hatten und nie daran gedacht hätten, voneinander getrennt zu werden. Doch das geschah schneller als geplant, in einer klitzekleinen Sekunde, die sich nie mehr zurückdrehen lassen würde, auch wenn ich es mir noch so sehr wünschte.
Jo, mein Neffe, war bei mir, als mein Bruder und seine Frau von der Arbeit nach Hause kamen, müde aber glücklich, um ihren kleinen Sohn abzuholen. Dabei wurden sie in einen schrecklichen Autounfall verwickelt. Die Hoffnung stirbt zuletzt, so sagt man, doch es gab von Anfang an keine Hoffnung mehr. Es war für mich selbstverständlich, dass ich Jonathan aufnehmen würde und zusammen mit Tom, meinem Freund, bildeten wir eine kleine Familie.
Von nun an lebte ich den Traum meines verstorbenen Bruders, den Wunsch von einem kleinen Sohn, den man abends ins Bett bringen konnte und dem man erklären konnte, wie der Weihnachtsmann Geschenke bringt. Genau das tat ich heute. „Und er kommt und legt sie unter den Weihnachtsbaum? Er allein? Und die Rentiere, wie sehen sie aus? Rudolf, das kleine Rentier, kommt das mit?“ Die tausend Fragen des dreijährigen Engels brachen alle auf mich ein und ich erzählte munter weiter, um mir nicht anmerken zu lassen, wie traurig ich war.
„Du musst einen Wunschzettel schreiben, Jo, und ihn dem Nikolaus in deinen Stiefel stecken. Der Weihnachtsmann bekommt ihn dann und versucht, dir deine Wünsche zu erfüllen“ „Und was ist mit dir Tante Marie? Schreibst du auch einen Wunschzettel?“ Ich lächelte. „Natürlich Jo, jeder schreibt Wunschzettel.“ Ich hatte nicht vor, einen Wunschzettel zu schreiben, doch Jo brachte mich dazu. Er ließ nicht locker und verlangte hartnäckig, ihn zu sehen. Also setzte ich mich am 5.Dezember an den Küchentisch und schrieb meinen größten Wunsch auf das rote Blatt Papier. „Ich wünsche mir, dass mein Bruder immer bei uns ist und glücklich ist“. Ein einziger Satz stand da und doch brachte er alles, was ich zu sagen hatte, auf den Punkt. Ich verstaute den Zettel in meiner Sockenschublade, ganz unten, um nicht in Versuchung zu kommen, ihn in meine neuen Winterstiefel zu stecken.
Als ich am Nikolaustag meine wärmsten Socken herauskramte, traute ich meinen Augen nicht. Der rote Zettel war verschwunden. Hektisch suchte ich nach ihm, jedoch vergeblich. Nach einiger Zeit dachte ich mir nichts mehr dabei, schließlich musste ich mich um Jo kümmern und das Weihnachtsfest vorbereiten.
Endlich war es Heiligabend und wir gingen das erste Mal ohne meinen Bruder und seine Frau in den Gottesdienst. Der kleine Jonathan sprang aufgeregt um uns herum und als wir nach Hause kamen, schloss Tom auf um alles vorzubereiten, während Jo und ich in den Garten gingen, um zu sehen, ob wir etwas durch das Fenster erkennen konnten. Jonathan rannte voraus und als ich ankam, war alles still. Der Kleine stand mit dem Rücken zum Fenster und blickte in den Himmel. Der Garten war hell erleuchtet und im Himmel tat sich ein Loch zwischen den Wolken auf. Ein goldenes Licht fiel auf Jo und mich und so standen wir da und waren fasziniert von diesem goldenen Schein. Jonathan drückte mein Bein und sagte: „Papa. Zauberlicht“. Mir standen die Tränen in den Augen, und plötzlich fing es an zu schneien. Der Bann war gebrochen und Jo hüpfte um mich herum und schrie: „Schnee, Geschenke, Weihnachten!“ Ich warf einen letzen Blick zum Himmel und lief Jonathan hinterher um die Geschenke auszupacken. Unter meinen war eine winzige, goldene Schneeflocke aus Glas und ich war mir sicher: Mein Wunsch war in Erfüllung gegangen.
Autorin / Autor: schneewibkchen - Stand: 27. November 2008