Eisprinzessin - Teil 1
von Janka Katharina Hardenacke
Da stand ich nun. Es war ein beeindruckend hässliches Tor, durch das lauter Rucksäcke glitten. In Wahrheit waren es nicht nur Rucksäcke, natürlich gehörten dazu auch noch Köpfe, Beine und Arme, Haare und Gesichter. Aber ich wollte das alles gar nicht sehen, denn ich wusste genau, dass keiner diese Schüler ein Vergleich für mich war und ich hier niemals in Augen wie die meinen blicken würde.
Ich krallte meine Fingernägel in die Ärmelsäume meiner Jacke. Alles sah verschwommen aus und mir war furchtbar schlecht. Von hinten legte sich eine trockene, etwas rissige Hand auf meine Schulter. Sie gehörte meiner Mutter, die mich zu sich umdrehte. Ich schaute in ihre hell-grünen Augen, unter denen graue Schatten lagen. „Komm schon Elsa“, sagte sie mit ihrer klaren, melodischen Stimme. „Du weißt doch, dass wir vor Unterrichtsbeginn noch zum Direktor gehen müssen.“ Meine Mutter redete langsam und leise, so, als würde mich jedes laute Geräusch verschrecken und abhauen lassen. Doch verschreckt war ich ja schon. Sie ließ ihre Hand über mein helles Haar gleiten.
Hell, nicht blond.
Hell. Weiss. Farblos.
Die Graffitis auf dem Schultor waren bunt, wild und sorglos aufgesprüht worden. Ein grünhaariges Manga-Mädchen schien mich von ihrer Ecke aus hämisch anzugrinsen. Sie starrte mich aus ihren schwarzen Augenhöhlen an und flüsterte im Vorbeigehen. „Ratte. Schneemann. Schimmelkäse.“ Ich wollte nicht hinein. Doch hatte ich eine Wahl? Nein. Wann hat man die schon!?
Die Eingangshalle war menschenleer. Nur der Hausmeister stand beim Kaffeeautomaten, fluchte und trat dagegen. Was für Probleme manche Leute doch hatten. Ich folgte meiner Mutter die Treppe mit dem roten Geländer hinauf bis zum Direktorat. Dort biss ich mir auf meine vollen Lippen. Voll, aber nicht rot. Wir warteten einen Augenblick vor der Tür und ich machte mir Hoffnung, dass der Direktor heute verhindert sein könnte und ich vielleicht in sechs Jahren oder so wiederkommen sollte. Dann hörten wir ein gedämpftes Räuspern und ein kühles „Herein!“.
Meine Mutter öffnete die Tür und gab mir einen kleinen Schubs. An einem Eichenschreibtisch saß ein Mann mit struppigem Vollbart und kleinen Augen hinter einer runden Brille. Ein weißes Hemd war über seinen Bauch gespannt, eine Krawatte schnürte in den geschwollenen Hals. In der wulstigen Faust hielt er einen roten Marker, mit dem er unablässig auf den Tisch klopfte. Tock. Tock. Tock.
Immer lauter tönte es, je näher ich zur Henkerbank geführt wurde. Er stand auf und reichte mir schlaff seine Hand, seine Augen guckten mich dafür umso härter an. „Du bist also Elsa.“ Ohne ein freundliches Wort fuhr er fort: „Du wirst in die Klasse 10b zu Herrn Gärtner kommen, dein Deutschlehrer. Er wird dir auch die Bücherliste aushändigen. Ich werde dich hinbringen. Bei mir wirst du Mathe haben.“ Wie betäubt starrte ich auf den ewig wandernden Rotstift in seiner Hand. Rot wie das Blut, das am Beil des Henkers klebt.
Ich folgte ihm durch die Kölner Gesamtschule, die es auf zweitausendfünfhundert Schüler brachte. Bisher war ich auf die einzige Realschule in Wiesenhof gegangen, die, außer mir, rund dreihundert andere Schüler besuchten. Dort war ich bekannt wie ein bunter Hund. Oder besser gesagt wie ein weißer. Und ich befürchtete, dass es selbst hier nicht lange dauern würde, bis jeder meinen Namen kannte.
Wir machten vor einer braunen Pressspantür Halt.„Ich hoffe, dass du dich schnell einleben wirst und viele gute Freunde findest.“ Das war ein typischer Direktorensatz. Bei ihm blieb das falsche Lachen, das die meisten dahinter hängen, weg. „Abhauen“, dachte ich, „jetzt einfach abhauen.“ Seit dem Umzug nach Köln hatte sich eine Angst in mir aufgestaut. Schwarz und namenlos. Doch als ich vor dieser Klassentür stand, nahm sie Konturen an. Ich wollte nicht mehr ausgelacht werden. Wie ein Elefant im Zoo angestarrt werden. Ich wollte nicht mehr Ratte genannt werden. Schneemann. Schimmelkäse.
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Autorin / Autor: Janka Katharina Hardenacke - Stand: 3. Februar 2009