Das Wetter ist nicht mehr so kalt, die Bäume bekommen ihre ersten Knospen. Der Winter ist eindeutig nicht meine Jahreszeit. Ich mag lieber den Sommer. Da muss man sich auch nicht so dick anziehen und am laufenden Band klagen, dass man friert, eher, dass man schwitzt. Ich drücke die kalte Messingklingel. Maria macht auf. Sie guckt überrascht, klar, ich habe ja auch mal wieder nicht mit einer Silbe erwähnt, dass ich vorbeischauen werde.
„Hi, haste schon was vor...jetzt?“ Maria glotzt mich weiter an, dann schüttelt sie den Kopf, als würde sie aus einem tiefen Schlaf aufgeschreckt werden: „Was?“ Ich frage sie noch einmal. Wie bringt sie es fertig, die Tür aufzumachen, mich zu sehen, aber mich anscheinen doch nicht zu sehen und mich auch nicht zu hören? Maria überlegt einen Augenblick: „Ja, also bis jetzt habe ich nichts vor...“ Super. „Darf ich reinkommen, oder gehen wir auf den Spielplatz?“ Ich weiß, Spielplatz hört sich so Kleinkind mäßig an, aber einen anderen Treffpunkt hier in der Nähe gibt es nicht.
„Äh... Komm rein“, sie tritt beiseite, sodass ich mich durch den Türspalt schieben kann. Das Haus sieht von innen sehr modern aus, eindeutig keine IKEA-Möbel, aber alles wirkt irgendwie kalt und ungemütlich. Na ja, kein Wunder, bei grauen Möbeln und Wänden. Ihr Zimmmer kann man über eine Metalltreppe erreichen, die ca. 10 Stufen umfasst. Maria öffnet ihre Zimmertür: Eine Flut von Orange kommt mir entgegen, denn ihr Teppichboden, zwei Wände und ihr Bettbezug sind in dieser Farbe. Gemütlicher als im Flur. Ich schaue mich noch ein bisschen genauer in dem Zimmer um: Es ist nicht so klein wie das meinige. Überall stehen Bücherregale herum. Richtig, sie hat mir erzählt, dass sie gerne liest. In einer Ecke steht ein Käfig. Ich gehe zu ihm hin, um den Inhalt zu betrachten: ein putziger Goldhamster, perfekt zu der Wandfarbe und dem Teppich passend.
Das Einzige, was nicht in dieses Zimmer passt, bin ich. Ich in meinem grünen Pullover und der blauen Jeans. In diesem Traum von Orange. Plötzlich komme ich mir etwas fremd vor, aber das bin ich ja eigentlich auch. „Setz dich doch einfach erstmal“, fordert mich meine Freundin auf. Meine Freundin, der Goldfisch, denke ich und setzte mich auf den angebotenen Stuhl, der aus honigfarbenem Holz ist. Der Goldhamster wühlt in seiner Einstreu. Maria steht auf, setzt ihn sich auf den Schoß und nimmt selber auf dem Boden platz. „Wie heißt der denn?“, frage ich. „Max“, lautet die Antwort. Wir schweigen uns erstmal an. Ich strecke einen Finger aus und fahre Max über das Fell. Der Hamster kuschelt sich glücklich an Marias Pullover. „Okay, warum bist du gekommen?“, fragt Maria. Ich grinse: „Mir war langweilig.“ Sie streckt sich auf dem Fußboden aus: „Mir ist auch langweilig. Am Wochenende ist immer so wenig los... Die einzigen Beschäftigungen sind lesen, essen, schlafen, lernen und Max streicheln. Und was machst du immer so an den Wochenenden?“ „Oh, hauptsächlich pennen, dann kommt eine Weile nichts, dann essen und auf Klo gehen. Ach ja, nicht zu vergessen: Manchmal lese oder schreibe ich auch was.“ „Du schreibst? Was denn so?“ „Na ja, Geschichten. wohl. Alles mögliche. Außer Fantasy, das kann ich nicht leiden.“ Maria guckt an die Zimmerdecke: „Und worum geht es in deiner letzten?“ Ich überlege einen Augenblick. Welche war doch gleich die letzte? Ach ja: „Das beste Leben jenseits des Himmels. Eigentlich geht es da um genau das Gegenteil. Es geht um so ein Mädchen, dem wir Meilenweit aus dem Weg gehen würden. Es hat die falschen Freunde und kommt mit seinem Leben nicht mehr klar. Das Ende ist etwas tragisch.“ „Kann ich die mal lesen?“, fragt Maria. „Klar. Ich bringe sie dir am Montag mit in die Schule.“
Das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, jubiliere ich innerlich. Sie möge ewig dauern!
Autorin / Autor: Anne-Katrin Kreisel - Stand: 3. März 2009