Ich stecke unauffällig einen Zettel in Nicoles Ranzen. Der Inhalt ist ungefähr so: ~H2~Liebe Nicole, komm heute Abend, um 10 Uhr in den Park. Ich warte auf dich. Dein geheimnisvoller Verehrer~
Also, wenn sie darauf nicht anspringt! Ich hoffe nur, dass sie ihn überhaupt findet. Oh, und da wäre noch ein Problem: Meine Eltern und Lars! Okay, mein Bruder wird da nicht so sein, und er wird auch mal aus Geschwisterliebe die Klappe halten. Aber wie soll ich, bitte, um 10 Uhr nachts unentdeckt die Wohnung verlassen? „Will noch schnell bei Maria vorbeischauen?“ Das nehmen mir meine Alten nicht ab. Und im dritten Stock aus dem Fenster zu springen ist auch nicht die beste Idee. Aber halt, wir haben doch an der Küche einen Balkon. Wenn ich es schaffe mich auf ihn zu schleichen und mich auf den nächst unteren zu hangeln, dürfte das kein Problem werden, denn aus dem zweiten Stock kann ich problemlos springen. Dann sind es nur noch ca. 2 ½ Meter bis zur Straße. Und wenn ich wieder rein will, kann ich bequem hochklettern. Gute Idee. Sicher, das wird für einen Passanten komisch aussehen, aber eine andere Wahl habe ich nicht.
Zu Hause überlege ich, was ich anziehen soll. Am besten eine Lederjacke, die kann keine Fusseln hinterlassen. Lederhandschuhe habe ich auch. Mhm... Welche aus Latex wären natürlich noch besser, aber ich wüsste nicht, dass ich so welche irgendwo liegen habe. Was mache ich mit mei-nen Schuhen? Die würden Abdrücke lassen. Also werde ich mir durchsichtige Plastiktüten drü-berstreifen. Ich hoffe nur, dass dieser Aufzug kein Aufsehen erregt... Anfang Frühling, das Ther-mometer zeigt 11 Grad Celsius an, ein Typ mit Lederjacke, Handschuhen und einer bis über die Augen gezogenen Mütze?! Obwohl, die Nacht soll relativ frisch werden. Ich gehe in den Flur, nehme die Jacke und die Handschuhe vom Haken und hänge sie in meinen Kleiderschrank. Gut, jetzt muss ich in die Küche und die Plastiktüten holen. Gesagt, getan. So, nun das Seil... Och nee, dazu muss ich in den Keller. Der ist immer so dunkel und feucht. Ach, was soll’s. Ich schlüpfe in meine Schuhe und gehe die Treppen bis zur Kellertür runter. Ich mache sie auf und fühle nach dem Lichtschalter. Eine sehr spärliche Beleuchtung. Wenn man diese Krankheit von Lampe „Beleuchtung“ nennen kann. Ich starre ein paar Sekunden auf die flimmernde Glühbirne. Ob die wohl genau dann durchbrennt, wenn ich gerade ganz weit von der Tür entfernt bin? Hilft alles nichts, rein da. Vorsichtig stelle ich meinen Fuß auf die erste Stufe. Los! Ich mache Tempo und fliege zum hundertsten Male diese scheiß glitschige Kellertreppe runter. Eigentlich hätte ich mich gleich hinsetzen und runterrutschen können. Egal. Ich raffe mich hoch und gehe etwas langsamer zu der Werkbank. Irgendwo da muss ein Seil liegen... Ah ja, da ist es. Ich greife zu und schiebe es unter meinen Pullover. Und jetzt nichts wie raus hier! Ich vergesse die glitschigen Kellertreppen und falle abermals hin. Meine Knie reibend komme ich in der Wohnung an. Das Seil lege ich zu den anderen Sachen in meinem Kleiderschrank. Jetzt heißt es: Abwarten und Tee trinken!
Um 21 Uhr gehe ich ins Bett. Meine Eltern sehen fern. Lars hängt auf irgendeiner Party rum. Ich stehe wieder auf und ziehe mich entsprechend an. Vorsichtig stecke ich meinen Kopf zur Tür aus. Die Wohnzimmertür ist geschlossen. Gut, also kann ich doch aus der Wohnungstür raus. Aber wie komme ich wieder rein? Kurze Denkpause. Ich fische den Hausschlüssel unterm Abtreter vor. Leise gehe ich raus. Puh, das wäre geschafft. Nun verschwinde ich so schnell wie möglich aus dem Treppenhaus.
Die kalte Nachtluft schlägt mir entgegen, als ich die schwere Eingangstüre öffne. Ich schaue auf meine Uhr. Die ganze Aktion hat mich eine halbe Stunde gekostet. Nix wie ab in den Park. Eine viertel Stunde später bin ich da. Etwas aufgeregt setze ich mich auf eine Bank. Hoffentlich er-kennt mich die sonst so blöde Nicole nicht schon vom Weiten. Ich habe zwar meine langen Haare unter der Mütze versteckt, aber man kann ja nie wissen. Wenn man vom Teufel spricht... Da kommt sie auch schon. Die Nervosität steigt mir bis in das Mark. Sie kommt näher, ich kann ihr Gesicht erkennen. Sie hat sich noch stärker als sonst geschminkt. Okay, jetzt oder nie... Zugriff! Ich gehe zügig auf sie zu, und dann geht alles ganz schnell. Das Seil habe ich schon in meinem Ärmel gequetscht. Ich tue so, als ob ich sie umarmen wolle, verdrehe ihr aber mit einer schnellen Bewegung einen Arm auf den Rücken. Sie schreit. „Jetzt ist eh alles zu spät, schrei nur! Es wird nicht lange dauern.“, zische ich ihr ins Ohr. Ich verstärke meinen Griff. Sie schreit abermals auf, vor Schmerz. Jetzt drücke ich sie zu Boden. Nicole weint und schreit zugleich. Mit Fußtritten bringe ich sie dazu, dass sie nicht mehr aufsteht. Bestimmt habe ich ihr mehrere Rippen gebrochen, aber das zählt jetzt nicht mehr. Nicole windet sich vor Schmerzen wie ein Wurm vorm Vertrocknen. Ihre Schminke ist verlaufen und ihre Haare zerwühlt. Ich stelle ein Bein auf ihren Brustkorb, ziehe das Seil aus meinem Ärmel und lege es in einer Schlinge um ihren dünnen Hals. Dann ziehe ich es mit aller Kraft zusammen. Sie röchelt, ächzt, weint. Ich ziehe, so gut ich kann. Auf einmal ist sie still. Ich trete ein letztes Mal kräftig gegen ihren Kopf, um sicher zu gehen, dass sie auch wirklich tot ist. An ihren Beinen schleife ich sie zum Fluss, der am Park entlang fließt. Das Ufer ist steinig. Da kommt mir eine Idee: Ich stecke Kiesel in ihren Pullover und ihre Hose, damit die Leiche untergeht. Jetzt zerre ich sie mit letzter Kraft ins Wasser. Mein Plan geht auf, sie sinkt tatsächlich. Ich merke, dass ich zittere. Aber nicht vor Kälte. Mir wird schlecht. Nein, jetzt bloß nicht übergeben, sonst war das mit dem Spurenver-wischen alles umsonst. Ich kann es nicht verhindern. Zumindest habe ich es geschafft, ins Wasser zu kotzen. Erschöpft torkle ich nach Hause.
Autorin / Autor: Anne-Katrin Kreisel - Stand: 4. März 2009