Wettbewerbsbeitrag von N. Abou Shady, 19 Jahre
Ich erzähle euch eine Geschichte. Eine Geschichte von einem Mädchen, das stark und mutig ist und sich von nichts und niemandem aufhalten lässt. Sie kann jedes Problem lösen und ist immer bereit, ihren Mitmenschen zu helfen. Sie macht sehr viel an einem Tag und ist erfolgreich. Das sind typische Heldengeschichten, in denen sie viel auf einmal machen und die Kraft haben, sich allem und jedem entgegenzustellen. Aber genau wie jeder Held, ist auch das Mädchen gefallen und hat ihren Glauben verloren. Das Mädchen heißt Leila und ist in der Oberstufe. Bevor die Oberstufe anfing, kam Corona.
Leila saß am Schreibtisch, als sie die Information über das online Portal der Schule erhalten hat, dass die Schule ausfällt. Sie war gerade dabei, ihren Aufsatz für Politik fertig zu schreiben und jubelte. Aufgeregt schrieb sie mit ihren Freundinnen und erkundigte sich nach ihnen. Was tun in der Zeit, in der es nichts gibt außer zu Hause zu sein? Die ersten Tage waren gut. Es waren die Tage, die sich gut anfühlten, wenn jeder beisammen ist, man zusammen kocht, isst und über gesellschaftskritische Themen spricht. Nach einigen Tagen aber wird es langweilig und niemand möchte den anderen sehen. So gut wie jeder fühlte sich gefangen. Gefangen in seinem eigenen zu Hause. Nicht die Freiheit zu haben, selbst zu entscheiden, wann man raus geht und wann nicht, ist erschreckend. Und zum ersten Mal Zeit. Was fange ich an mit der Zeit? Produktiv sein, ich muss produktiv sein. Lies etwas, schreib etwas, koche, treib Sport, puzzle. Mach alles, alles nur ja nicht nichts tun. Die Corona Situation entwickelte sich zum Besseren, so dachten alle. Die Schulen öffneten wieder, die Menschen trafen sich in der Stadt und der Sommer kam. Und ich, ich kann endlich wieder etwas tun.
Leila konnte wieder trainieren. Es war zwar Einzeltraining, aber sie konnte immerhin wieder ins Gym. Und das war 2020 fast undenkbar wegen den Kontaktbeschränkungen. Alles schien gut zu laufen und sich auch gut anzufühlen. Aber Leila vergaß, dass sie Traumata und schlechte Situationen verdrängte, und dass es Auswirkungen auf ihr Empfinden hat.
12.Klasse in Zeiten von Corona. Niemand konnte mir die Motivation nehmen, die Oberstufe zu bestehen. Als wäre ich unaufhaltsam. Jeder, der mich gesehen hat, hat sich immer gewundert, warum ich voller Energie war und zugleich voller Hoffnung. Aber für mich war es nicht verwunderlich, denn ich habe an mich geglaubt.
An meinem ersten Tag sah ich meine Mitschüler und meine Freunde und schenkte jedem von ihm ein Lächeln. Ich kam schwungvoll und mit voller Energie auf eine Gruppe meiner Mitschüler zu. „Seid ihr bereit für die Oberstufe?“.
„Nein“. Es hat mich immer Pessimismus umgeben. Durch Corona war der Druck noch höher. Ich bin jeden Tag mit positiven Gedanken aufgestanden, die mir Energie für den Tag schenken sollten. Jeden Morgen nach dem anderen. Ich grüßte meine Mitschüler, meine Freunde und bekam ein Gruß und ein Lächeln zurück, aber negative Kommentare. „Ich schaffe das nicht“, sagte meine Freundin. „Klar schaffst du das. Du hast es doch noch gar nicht ausprobiert. Ich denke immer an das Beste, ohne irgendwelche Erwartungen zu haben. Und die Note, die kommt, kommt“ erwiderte ich. „Ja, aber es ist eben nicht egal. Ich darf keinen Unterkurs kriegen“. „Das wird nicht passieren und auch wenn, was passiert dann? Mach dein Selbstwertgefühl niemals von deinen Noten abhängig. Es ist nicht die Welt“.
Und so war das jeden Tag. Ich sprach positives und versuchte jeden aufzumuntern und bekam immer dieselben pessimistischen Antworten. Solange bis ich merkte, dass ich kraftlos war. Antriebslos. Ich habe mich vergessen und dabei meine Motivation verloren. Ich habe mich selbst belogen. Mir gesagt, dass es mir gut geht, obwohl ich in den ungelegensten Momenten Flashbacks von den Schlägen meines Vaters hatte. Aber ich machte weiter. Alles positiv, alles gut. Denk an Positives und du kriegst Positives. Ich habe mich immer gefragt wie es ein Mensch schaffen kann, in dieser negativen Blase zu leben. Vor allem dann, wenn nichts passiert ist und das größte Problem ist, dass man nicht weiß, was man zum Abi Ball anziehen soll. Aber vielleicht bin ich ja auch diejenige, die nur die Dinge von der Oberfläche mitbekommt. Es ist schließlich das, was man von den Mitschülern hört. Aber es geht nie in die Tiefe. Wieso? Wieso ist das Wichtigste das Äußere und nicht das Innere? Ich habe mir immer wieder gesagt: Mach weiter, lass dich nicht aufhalten. Lass diese negativen Dinge nicht an dich ran. Doch ich bin selbst in den dunklen Kreisel der negativen Gedanken gefallen. Nach den Weihnachtsferien stiegen die Corona Fall Zahlen und alles hat wieder dicht gemacht, sodass Homeschooling angesagt wurde. Alles Gute für das Jahr 2021. Diese Zeit bestand nur aus Schule. Nur am Computer. Tag für Tag. Ich habe gesehen, wie die Freunde von meiner Schwester immer zusammenhalten und sich so gut es geht sehen. Ich habe gesehen, dass sie zusammenhalten, in den schwierigsten Situationen. Und das hat mir noch mehr das Gefühl der Einsamkeit gegeben. Und diese innere Leere? Woher kam sie? Was habe ich getan, dass ich innerlich so leer bin? So depressiv? Einer der Gründe, warum ich so oft krank wurde und mich von der Schule abmeldete, war mein emotionaler Zustand. Aber ich wusste noch nicht, dass mich die komplette Situation so sehr belastet und unter Druck setzt.
Genau diese Fragen stellte sich Leila immer und immer wieder. Sie dachte viel nach und versuchte für alles und jeden eine Lösung zu finden und es jedem recht zu machen. Doch spätestens Ende der Oberstufe realisierte sie, dass das so nicht mehr funktionieren kann. Das sie so nicht mehr funktionieren kann.
Nach der langen Zeit zu Hause, ging es im März wieder zurück zur Schule. Ich habe viel geweint, mich jeden Tag an meinem Schreibtisch geschleppt aber mich gezwungen aus dieser negativen Blase rauszukommen. Denn meine Schwester heiratet. Aushalten, geradestehen und glücklich sein. Es ist egal, dass du drei Klausuren schreibst und Abgaben hast. Deine Schwester würde für dich dasselbe tun. Alles vorbei. Juni 2021. Stillstand. Ich wollte nichts mehr, kein Sport viermal die Woche, keine Schule, keinen Menschen helfen, keine Termine, keine Freunde. Ich war das erste Mal ausgelastet. Genau ab dem Zeitpunkt, als ich in der Schule eine Panikattacke bekommen habe, realisierte ich, dass ich innerlich leer war. Ich realisierte den Schmerz, die schwierigen Situationen, mein Trauma und mein mir selbst auferlegter Druck. Denn ich habe zu allem und jedem immer ja gesagt, aber zu mir nein.
Da beschloss ich, dass ich mich ändern kann.
Da beschloss ich, dass es okay ist, mit Angstzuständen zu leben.
Da wusste ich, dass ich innerlich zerbrochen war.
Und da wusste ich, dass ich Zeit brauche, um zu heilen.
Autorin / Autor: N. Abou Shady, 19 Jahre