„Viel Erfolg, dir und deiner Freundin.“
Sie nickte, ehe ihre Freundin etwas sagen konnte, und zog sie vom Pulk weg. Sie errötete und starrte nach vorne.
„Auf zum Pinienhain“, sagte sie, um das Schweigen zu brechen.
Sie schaute in Richtung des Waldes. Das olivgrüne Kleid ihrer Freundin verschmolz mit der Umgebung.
„Du könntest eine Fee sein, die im Wald lebt und mit allen Tieren befreundet ist“, meinte sie.
„Ach, Marika“, lächelte ihre Freundin.
Die Sonne schien ihnen warm ins Gesicht. Sie waren einige Kilometer vom Meer entfernt, das hinter den Pinien lag. Die wenigen Gräser waren von den Schafen gefressen, die im Dorf frei herum liefen.
Marika fühlte Schweißtropfen über ihre Stirn perlen. Sie freute sich auf die Kühle der Zweige, die vor ihnen raschelten.
„Du wärst wohl ein Paradiesvogel“, lachte Samira.
Marika drehte sich und ihre bunten Tücher wirbelten im Wind. Sie stellte sich feines Geigenspiel in Paris vor.
„Wie der Vogel, den wir suchen sollen?“
Samira verdrehte die Augen.
„Wir suchen gar nichts. Nico hat ihn sich eingebildet. Ein Papageitaucher? Hier ist es viel zu warm.“
„Wahrscheinlich ist er deswegen geflohen.“
„Ach, es gab nie einen Vogel. Und jetzt versucht Nico, da rauszukommen.“
„Sei nicht immer so negativ. Er ist wirklich geknickt.“
„Schon gut, ich helfe ja mit.“
Die Blätter verschluckten die Sonne über ihnen.
„Aber ich glaube nicht, dass wir etwas finden werden“, fügte Samira hinzu.
Marika lächelte still.
Sie sahen sich um. Der Vogel sollte ein silbriges Gefieder und einen bunten Schnabel haben.
Marika verließ den Pfad und stieß tiefer in den Hain vor.
Ein leises Plätschern kam von vorne.
Und die Dienerin sitzt im Innenhof des Palastes. Eine einsame Zypresse spendet Schatten. Sie wäscht die Decken der Fürstin, auf denen diese sich niederzulassen pflegt. Der Duft von Orangen liegt in der Luft.
„Orangen? Gerade stand nur eine Zypresse im Hof“, erklang Samiras Stimme.
Marikas Blick verlor den träumerischen Ausdruck. Sie stand aus dem Bach auf, in dem sie hockte.
„Du nimmst das Leben zu ernst. Vielleicht erscheint im nächsten Moment ein Drache, der in der Dienerin die Heldin erkennt, die das Reich retten soll.“
„Wenn hier etwas erscheint, dann eine Amsel oder ein Pirol.“
„Und ein Papageitaucher.“
„Bestimmt nicht“, grinste Samira kopfschüttelnd.
Die beiden streiften weiter.
Marikas Gedanken wanderten zurück zu Nicos Worten.
Deiner Freundin.
Samira war ihre Freundin, ja, aber Nico hatte nicht bloß eine Freundin gemeint, sondern die eine. Eine Beziehung.
Sie dachte über ihr Verhältnis nach, in dem so viel unausgesprochen war. Aber sie hatte Angst und sie genoss auch so jeden Moment mit Samira.
„Nico hatte einen merkwürdigen Tonfall“, sagte da Samira.
Marika stolperte fast über einen Ast.
„Schon“, antwortete sie.
Ein unangenehmes Schweigen breitete sich aus.
Marika wich Samiras Blicken aus.
„Papageitaucher leben an Klippen. Lass uns dort suchen.“
Samira sah sie durchdringend an. Marika atmete leise, damit Samira nicht merkte, wie sich ihr Puls beschleunigt hatte.
Sie stob an Samira vorbei.
„Auf durch die Palasttore, hinaus auf die Ebene, die sich über sich selbst wölbt.“
„Oha. Wir befinden uns nun in einer Höhle?“
„Ich dachte eher an eine Ringwelt.“
„Cool.“
Sie folgten dem Pfad. Das leise Rauschen des Meeres, wie es am Strand brandete, verstärkte sich. Möwenschreie lagen in der Luft und der Wind frischte auf. Der Weg endete oberhalb der Klippen.
Samira ging näher an die Kante. Marika schaute ihr mit sorgenvollem Blick zu.
„Pass auf, dass du nicht abrutschst.“
Samira lachte bloß: „Ich habe keine Angst. Hier kenne ich jeden Stein.“
Die Sonne senkte sich und aus der Hitze wurde eine angenehme Wärme, die ihre Gesichter umspielte.
Der Papageitaucher war nicht in Sicht. Marika gesellte sich zu Samira, die ihre Beine über die Klippe schaukeln und die tiefe Sonne auf sich scheinen ließ.
„Wie fühlst du dich?“, fragte Marika Samira.
„Ich bin genau da, wo ich sein möchte. Nicht übermütig, aber wer ist das je.“
„Kein Papageitaucher“, sagte Marika.
„Nein.“
Marika lächelte leicht: „Aber vielleicht kommt bald der Drache und holt uns.“
„Du und deine Träume. Geh es langsam an.“
Marika blickte in den Himmel und hing ihre Gedanken in die Wolken.
„Das versuche ich“, murmelte sie.
Samira wandte sich zu ihr um. Marika knetete ihre Hände.
„Nico hatte recht“, sagte Marika.
„Womit?“
„Dass du meine Freundin bist. Also, klar. Aber.“
Sie verstummte und errötete. Samiras Blick wanderte über ihr Gesicht.
„Zusammen. Sind wir nicht, aber hat er gemeint. Und ich wünschte, wir wären es.“
Marika stützte ihre Hände nach hinten und starrte aufs Meer. Sie wünschte sich weit weg und doch nirgendwo sonst hin.
Die Sonne wurde zu einem orangenen Feuerball. Bald schon würde sie den Horizont küssen und dann langsam verschwinden. Was für eine traurige Liebesgeschichte, dachte sich Marika.
Auf einmal zuckte sie zusammen. Sie spürte eine warme Hand auf ihrer eigenen, die überraschend kalt war.
„Ich habe mich schon gefragt, ob du jemals fragen würdest“, sagte Samira.
Marika sog die Berührung in sich auf. Sie fühlte sich taub.
„Wäre ich nicht so feige. Warum hast du nie etwas gesagt, wenn du nur darauf gewartet hast?“, erwiderte sie.
„Weil ich nicht wollte.“
Marikas Herz sank tief und folgte der Sonne auf ihrem Weg.
„Tut mir leid“, ergänzte Samira.
„Was heißt das?“
Samira nahm ihre Hand weg.
Nach einer Weile sagte sie: „Wir passen nicht zusammen. Du baust Luftschlösser. Das ist nichts für mich. Ich möchte in dieser Welt sein. Unsere Wege laufen nicht parallel. Zumindest nicht als Paar, als Freundin bist du mir sehr wichtig.“
Marika schloss die Augen.
„Ok“, sagte sie dann leise.
Ihre Gedanken flogen durch all die Szenarien, die sie sich ausgemalt hatte. Sie lief alle Verästelungen nach und kam an diesem Punkt an.
Samira versuchte, noch etwas zu sagen: „Ich. Du.“
Sie stockte. Ihre Stimme klang rau.
„Irgendwie wünschen wir uns doch alle, dass das Leben eine französische Komödie ist. Charmant, zart“, sagte sie. „Vor allem weiß da jeder, wie man eine Beziehung führt. Ich, na ja. Ich nicht. Ich habe Angst.“
Marika versuchte, die Ohren zu verschließen.
„Schon gut“, sagte sie.
Sie hörte neben sich das Rascheln von Gras, als Samira aufstand.
„Wir sehen uns“, sagte Samira.
Das Streifen eines Kleides über Wildblumen entfernte sich.
Marika aber blieb sitzen und beobachtete, wie die Sonne unterging. Ein rotes Leuchten flutete den Himmel und ging in violette Schlieren über, die im Wald verschwanden. Sie schluchzte leise.
Dann stand sie auf und suchte die Treppe, die hinab in die Bucht führte, während das Meer in ihren Ohren tönte. Am Strand zog sie die Sandalen aus. Sie grub ihre Zehen tief in den Sand.
Da sah sie vor sich eine Figur stehen, die Klippe hinaufschauend. Das letzte Licht des Tages ergoss sich über Samira.
Marika sah ihre Fußspuren und ging parallel zu ihnen.
Als Samira bemerkte, dass sich jemand näherte, wandte sie sich zu Marika um. Ihr Gesicht zeigte Erstaunen.
Sie sagte: „Ich habe den Papageitaucher gefunden.“
Samira wies auf die Schatten. Und Marika lachte warm.