Spieglein, Spieglein an der Wand... - Teil 2
Schön reich, schön gesund oder einfach nur schön blöd?
Schön reich?
Schönheit, oder was gesellschaftlich als solche angesehen wird, hat auch immer etwas mit Wohlstand zu tun. Das heißt natürlich keineswegs, dass reiche Menschen eher schön gefunden werden, aber gesellschaftliche Schönheitsideale sind häufig auch Wohlstandsideale. In vielen afrikanischen Ländern ist Leibesfülle ein Merkmal von Schönheit und Attraktivität. Der Speck zeigt an: wir haben genug zu essen. Auch bei den Matsigenka-Indianern in Peru ist eine schlanke Taille verpönt, deutet sie doch auf Unterernährung hin. Hier ist es natürlich andersrum: wer Zeit hat, ständig ins Fitnessstudio zu gehen, wer die Muße hat, sich mit seiner Ernährung zu beschäftigen, hat die Figur, die hier als attraktiv vorgegeben wird. Früher galt blasse, ungebräunte Haut als schön, denn das bedeutete: seht her, ich muss nicht (z.B. auf dem Feld) arbeiten. In der Antike sollten Frauen idealerweise sogar Haut haben, die "weißer als Elfenbein" (Homer) ist, während die Männer ruhig sonnengebräunt sein durften, um ihr aktives Leben zu demonstrieren. Man sieht also, dass zu ein und derselben Zeit zwei unterschiedliche Ideale galten, die in beiden Fällen etwas mit dem Status zu tun haben. Dass bei uns heute Bräune als attraktiv empfunden wird, kann man in ähnlicher Weise interpretieren: Seht her, ich muss nicht arbeiten, ich habe genug Zeit und Geld, um mich in der Sonne zu aalen (oder ins Sonnenstudio zu gehen).
Schön gesund?
Für die auf Fortpflanzung bedachte Spezies Mensch spielt "sichtbare" Gesundheit bei der Begutachtung potentieller PartnerInnen sicher eine Rolle. Man könnte also vermuten, dass man schön findet, was "gesund" aussieht: Gepflegte Zähne, gesunde Fingernägel, glänzende Haare, rote Wangen – all das gilt als schön. Gleichzeitig sind es Merkmale von guter Ernährung und Gesundheit. So weit, so gut. Meistens haben Schönheitsideale aber rein gar nichts mit Gesundheit zu tun. Knackebraun zu sein ist schließlich ebenso ungesund, wie sich auf eine Barbiepuppenfigur zu hungern (welche ja, wie wir alle wissen, nicht stehen könnte, wenn es sie denn gäbe **g**). Brustimplantate und aufgespritzte Lippen sehen bestenfalls gesund aus, haben ansonsten aber mit Gesundheit so viel zu tun wie eine Brusthaartoupet mit Intelligenz.
Wer schön sein will...
Das ist allerdings keine neue Entwicklung, denn zu allen Zeiten und in allen Kulturen hatten Schönheitsideale auch was mit Schmerzen, Leid und Gesundheitsgefährdung zu tun. Sei es, dass man sich im Barock mit bleihaltigem und darum giftigen Puder einen schön blassen Teint bescherte oder sich mit dem hochgiftigen Nachtschattengewächs Belladonna (Atropin) die Pupillen vergrößerte, damit die Augen schön dunkel, glänzend und abgründig wirkten. Der Spruch "wer schön sein will, muss leiden" kommt eben nicht von ungefähr. Natürlich distanzieren wir uns heute von enggeschnürten Miedern, die dazu führten, dass Frauen alle 5 Minuten wegen akuten Sauerstoffmangels in Ohnmacht fielen. Wir distanzieren uns erst recht von barbarischen Bräuchen wie das Einbinden von Füßen im alten China oder die Verlängerung von Hälsen mit Hilfe von Ringen wie bei den Pradong (Thailand). Dafür gehen wir auf Absätzen, mit denen man sich fast die Beine bricht, epilieren unsere Beine und zupfen Augenbrauen. Alles sehr schmerzhafte Angelegenheiten. Wir haben den Angstschweiß auf der Stirn stehen, wenn das Wort Zahnarzt fällt, finden es aber schon normal, wenn Frauen sich in einer blutigen Prozedur aufschlitzen und Implantate einsetzen lassen oder ältere Frauen sich wegen Falten auf der Stirn selbige mit Nervengift lähmen lassen. Finden es plausibel, wenn eine 18-Jährige den unverzichtbaren Wunsch nach einer neuen Nase hegt und die Eltern den Wunsch mit einer geschenkten Schönheitsoperation erfüllen.
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Autorin / Autor: Sabine Melchior - Stand: 22. Mai 2003