Leben in Stille - Teil 2

"Ich lernte, dass vieles schön ist und gleichzeitig weh tun kann, und dass das in Ordnung ist."

Ein Sprung ins kalte Wasser

Das alles ging sehr schnell, drei Wochen nach dem ersten Brief kam ich in Thailand an. Es war also ein Sprung ins kalte Wasser, so dass ich unvorbereitet aber auch unvoreingenommen im Ashram ankam. Die Vorbereitung, so dachte ich mir, kommt dann dort, was dann auch so war. Für mich hat das gut funktioniert, aber es war auch nicht leicht. Ich kam in ein völlig fremdes Land, fern von großen Städten und Touristen, in ungewohntes Klima. Dazu kam das Leben im Ashram, was mir wahrscheinlich auch in Deutschland nicht leicht gefallen wäre. Morgens um fünf standen wir auf. Zunächst wurde eine Stunde meditiert, dann gab es Frühstück. Danach kümmerte sich jeder um seine Aufgaben. Ich fegte jeden Tag die Meditationshalle und half in der Küche, schippelte und stampfte viele essbare Dinge, von denen ich keine Ahnung hatte, was sie sein könnten. In den ersten Wochen versuchte ich auch, im Garten zu arbeiten, aber die körperliche Arbeit draußen bei tropischem Klima war mir zu anstrengend. Also arbeitete ich mehr im Büro, um bei der Organisation der Seminare zu helfen. Wenn Seminare waren, betreute ich die Gäste, nahm an den Veranstaltungen teil, schrieb kleine Artikel darüber und übersetzte für andere. Mittags wurde wieder gemeinsam gegessen, danach gearbeitet, abends wieder essen. Sobald es dunkel wurde, musste man sich drinnen aufhalten, weil dann die Mücken kamen. Ich habe dann viel geschrieben, Tagebuch und Briefe an die Außenwelt, denn es gab kein Telefon. Natürlich auch kein Fernsehen, Musik oder Parties. Dafür gab es eine wunderschöne Natur, Teiche mit Lotusblüten, Hunde, Katzen, Ameisen in allen Varianten, Termiten, Geckos, Warane, tausende von unbekannten Geräuschen, Mücken, Schlangen und was ich alles nicht gesehen habe, wird wahrscheinlich noch viel mehr sein.

*Kontrastprogramm*
All dies hat mich sehr beeindruckt. Die ersten Nächte konnte ich nicht schlafen. Auch später noch bin ich oft aufgewacht und habe nicht gewusst, wo ich bin. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich mich emotional eingefunden hatte. So kam es auch, dass ich nach sechs Monaten, die ich geplant hatte zu bleiben, den Eindruck hatte, ich sei noch nicht genug angekommen, um jetzt wieder zu fahren. So blieb ich weitere sechs Monate in Thailand, allerdings nicht in dem Ashram, sondern im absoluten Kontrast dazu: in Bangkok. Ich habe in dem Jahr viele Menschen kennen gelernt, und es war interessant zu erleben, dass die meisten Menschen sehr ähnlich sind, völlig unabhängig davon, woher sie kommen. Und es gibt woanders auch nicht mehr besondere Menschen für einen als zu Hause und sie sind genauso schwer zu finden. Ich habe wenige, für mich sehr wertvolle Menschen kennengelernt in diesem Jahr und diese Freundschaften haben sich trotz der großen Entfernungen bis heute, acht Jahre später, gehalten.

*Was wirklich glücklich macht...*
Die ersten Monate war ich sehr einsam, was mir gut tat und worunter ich trotzdem litt. So ging es mir mit vielen Erlebnissen und Situationen. Ich lernte, dass Vieles schön ist und gleichzeitig weh tun kann, und dass das in Ordnung ist. Eine der wichtigsten Erfahrungen überhaupt war für mich, plötzlich feststellen zu müssen, dass mein Maßstab, meine Ideale, meine Weltanschauung und meine Regeln nicht absolut sind, sondern im Gegenteil, nur für mich gelten, sich ändern durch Erfahrung und im Laufe der Zeit. Dass ich ohne viele Dinge, Fernseher, Kleider, Hobbies und ständig Menschen um mich herum genauso glücklich sein kann. Dass es aber auch Dinge gibt, auf die ich nicht verzichten könnte, wie Bücher, schreiben, kommunizieren, kochen und gutes Essen und noch viel mehr. Auch war es wichtig für mich, zu merken, dass ich nicht bestimmte Dinge tun muss, um anderen zu gefallen, sondern dass es reicht, das zu tun, was für mich selbst gerade das Richtige ist. Ich bin gelassener geworden und nach Thailand muss schon einiges mehr passieren als vorher, um mich zu verunsichern.

*Ein Stück Herz ist dort geblieben...*
Um ein solches Lebensexperiment zu wagen, muss man keiner bestimmten Religion angehören. Ich selber bin evangelisch getauft und würde mich als religiös bezeichnen. Allerdings halte ich die Form, in der man seinen Glauben lebt, für nicht so wichtig. Ich bin auch stark von buddhistischen Vorstellungen angezogen. Sehr beeindruckt hat mich ein Mönch bei einem der Seminare im Ashram zu Thema religiöse Vielfalt, der erzählte: „Als Buddha gefragt wurde, ob ein Leben nach dem Tod gibt, sagte er:  Wir werden es schon früh genug erfahren.“ Vielleicht ist diese Haltung eine gute Vorraussetzung, um in ein Ashram zu gehen. Offen sein und annehmen, dass man nicht alles weiß. Ansonsten gibt es keine festen Voraussetzungen, die man erfüllen muss. Ich denke mein Alter 19-20, war vielleicht ein bisschen jung, aber da ist jeder anders. Noch jünger sollte man aber nicht sein. Letztlich kann man solche Entscheidungen nur alleine treffen und manchmal sind die Dinge, die eher zufällig passieren auch die richtigen. Ich hätte dieses Jahr so nicht planen können, es war wunderschön, gar nicht einfach und ich habe ein Stück meines Herzens dort gelassen, dass manchmal besucht werden muss.

Zur Person

Zineb Miriam Nouns lebt in Berlin und ist 27 Jahre alt. Sie hat Medizin studiert und befindet sich gerade im letzten Semester, dem Praktischen Jahr, das sie zur Zeit in einer Kinderklinik auf einer allgemeinen Kinderstation und auf einer Station für Frühgeborene verbringt. Nebenbei arbeitet sie an ihrer Doktorarbeit. Sie hat zwar nicht sehr viel Freizeit, was aber nichts macht, sagt sie, weil ihr ihre Arbeit sehr viel Spaß macht. Dennoch muss sie sich natürlich erholen in der wenigen Zeit, die bleibt. Sie liest dann viel und macht Karate zum Ausgleich. Außerdem beschäftigt sie sich mit Pflanzen (z.B. Bonsai Bäumen), kocht sehr gerne, geht ins Kino oder in die Oper und reist sehr gerne.