Ein Weg, bewusst Mensch zu werden
Interview mit der Mystikerin Annette Kaiser
Annette Kaiser kam 1948 in Zürich zu Welt und begann schon im Alter von 14 Jahren sich mit spirituellen Fragen zu beschäftigen. Sie war 17 Jahre Schülerin der russisch-englischen Sufilehrerin Irina Tweedie und wurde von ihr autorisiert, den Sufipfad der Naqshbandiyya-Mujaddidyya-Linie weiterzuführen. Sie arbeitet als spirituelle Lehrerin vor allem in der schweizerischen Villa Unspunnen in Wilderswil, doch sie lehrt auch außerhalb der Schweiz. Annette Kaiser hat Volkswirtschaft studiert, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Ihr erstes Buch ‚Der Weg hat keinen Namen' erschien im Jahr 2002. Ihre Arbeit besteht darin, Meditationen zu vermitteln und mit Träumen zu arbeiten. Sie hält Vorträge und unterrichtet außerdem T’ai Ji und Qigong.
*Was bedeutet für dich Mystik?*
Im Lexikon steht: Sich versenken. Für mich bedeutet Mystik, so tief in sich selbst hineinzuschauen, bis wir den Urgrund dessen, was wir sind erkennen.
*Was ist Sufismus?*
Eine Lebensweise, keine Philosophie, keine Religion. Ich bezeichne den namenlosen Weg heute nicht mehr als Sufismus, sondern einfach als einen Weg, bewusst Mensch zu werden.
*Kann man Sufi sein auch wenn man ChristIn ist oder eine andere oder auch keine Religion hat?*
Ja, diesen Weg, den ich durch Frau Tweedie kennenlernen durfte, kann jeder Mensch gehen, unabhängig von seiner Religionszugehörigkeit. Ich komme aus einem katholischen Haus, Frau Tweedie ist christlich-orthodox aufgewachsen, ihr Lehrer war Hindu, der Lehrer vom Lehrer war wiederum Muslim. Frau Tweedie sagte mir, dass diese Art von innerer Schulung so alt ist, wie die Menschheit selbst. Menschen gaben ihm immer wieder andere Namen, wie Kamal Posh oder Saffa, zuletzt wurde dieser Pfad den Sufis zugeordnet. In Essenz ist er namenlos.
*Wie bist du zur Meditation gekommen? Was passiert in einer Meditation?*
Ich habe schon vor über 30 Jahren mit dem Meditieren begonnen. In der Meditation, die ich von Frau Tweedie lernte, sitzt der Mensch einfach nur still. Er wendet sich dabei nach innen und taucht in das Gefühl der Liebe ein, er versinkt darin ganz mit Haut und Haar. Nach einer Weile werden Gedanken auftauchen. Diese nimmt man wahr und lässt sie in der Liebe versinken. Die Liebe ist die größte Kraft im ganzen Universum. Ja und dabei erlebt man so manches. Es ist eine Reise zu sich selbst. Heute erfahre ich die Meditation als etwas, das einfach ganz still und friedlich ist. Manchmal kommen auch Gedanken, die sind dann wie Wellen, eine Bewegung; etwas ist Meer, tief, ruhig und vollkommen aufgehoben in sich selbst. Es ist auch eine Heiterkeit da. All das ist jeder Mensch essentiell. Stell dir das einmal vor: Jeder Mensch ist im Innersten Innern einfach Liebe, Frieden, Stille! Ist das nicht toll?
*An was glaubst du?*
Ich glaube, dass jeder Mensch göttlich ist. Ich erfahre, dass jeder Augenblick das Jetzt, die Ewigkeit berührt. Alles ist in Essenz heilig.
*Was bedeutet Religiösität für dich?*
Das Wort Religion bedeutet "Zurückkehren zu den Wurzeln". Eine Religion versuchte genau dies ursprünglich den Menschen aufzuzeigen.
*Wie definierst du Esoterik?*
Das Wort steht in Bezug zur Exoterik, die äußere Lehre. Esoterik meint ursprünglich die innere Lehre, das innere Verstehen, einen innneren Weg zur Selbsterkenntnis, ein Erkennen, dass das Göttliche im Menschen selbst zu finden ist.
*Denkst du, dass Religionen für Menschen notwendig sind?*
Ja und nein, je nach Bewusstseinsstand. Für einige Menschen ist eine Religion sehr hilfreich. Es gibt Orientierung, Wegweisung usw. Für wenige Menschen ist eine Religion nicht mehr notwendig, da jeder Augenblick in voller Präsenz Rückbindung an die Wurzel ist.
*Wie kann man spirituell sein und trotzdem mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen?*
Wirkliche Spiritualität ist nicht abgehoben. Mitten im Leben stehend, so habe ich gelernt bei Frau Tweedie, ist es möglich, das Spirituelle als Brennpunkt zu haben.
*Was ist dein persönliches Lebensmotto?*
Liebe fließen zu lassen, zu Sein, Jetzt.
*Was machst du am allerliebsten in deinen Ferien?*
Sein, jetzt!
*Was ist dein Lieblingsgericht?*
Spaghetti :-)
*Welches sind deine persönlichen Stärken und Schwächen?*
Stärken: klare Sicht, tiefe Liebe für alle Menschen
Schwächen: unklare Sicht, zu wenig Liebe für alle Wesen.
*Worüber lachst du gerne?*
Über alles, das einfach lustig ist.
*Vielen Dank für das Interview!*
Ihr zweites Buch kommt im September 2004 im Theseus-Verlag heraus mit dem Titel: Jenseits aller Pfade - Visionen einer neuen Spiritualität von Annette Kaiser in Zusammenarbeit mit Anna Platsch.
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Autorin / Autor: Annette Kaiser/ ~rosi~ - Stand: 7. September 2004