Medien schüren Terrorismus-Ängste

RTL-SeherInnen fühlen sich stärker bedroht

Wenn die Weihnachtsmärkte durch Terroranschläge bedroht werden und so etwas geschieht wie am Samstag in Stockholm, wo tatsächlich Bomben hochgingen, dann verwundert es niemanden, dass die Medien täglich über Terrorismus berichten. Doch selbst in relativ sicheren Zeiten, als Terrorismus für Deutsche fast ausschließlich mit dem Schreckensszenario des 11. September 2001 verbunden schien – und räumlich wie zeitlich weit entfernt war – hat das Fernsehen in Deutschland im Schnitt zwei Mal in drei Tagen über Terrorismus berichtet. Ein Teil dieser Berichterstattung hat eine Wirkung gezeigt, die vordergründig in den Sendungen gar nicht angelegt ist: Die Angst vor Muslimen steigt. Dies ist ein Ergebnis einer Studie von Kommunikationswissenschaftlern der Universität Jena, die jetzt unter dem Titel „Inszenierter Terrorismus“ erschienen ist.

Das Team um Prof. Dr. Wolfgang Frindte und Nicole Haußecker hat von August 2007 bis Februar 2009 die Hauptnachrichtensendungen der Fernsehsender ARD, ZDF, RTL und SAT1 zum Thema Terrorismus aufgezeichnet und nach einem umfassenden Raster analysiert. Ergänzend sind mit 100 Personen dreimal Interviews geführt worden.

„Diese Studie beschäftigt sich nicht mit Motiven, Opfern und politischen Zielen“, stellt Frindte klar, „sondern mit dem Zusammenhang zwischen Medien und Bevölkerung“. Und dass dieser Zusammenhang aus der Analyse der Fernseh-Berichte ziemlich eindeutig hervorgeht, war selbst für die Forscher überraschend.

„Terrorismusgefahr in Deutschland ist ein Risiko“, fasst Frindte ein Ergebnis der Fernsehanalyse zusammen. „Zukünftige Ereignisse werden interpretiert als gegenwärtige Gefahren – und damit wird der Terror inszeniert“. Deutschland steht laut der Fernsehbeiträge im Fokus der Terrorbedrohung – was auf Grund der Tatsache, dass es deutsche Sender sind zwar normal ist. Dies führt aber dazu, dass die Zuschauer permanent eine unspezifische Bedrohung empfinden. Und je bedrohter sich Menschen fühlen, umso ängstlicher werden sie.

Überraschend war für die Jenaer Forscher allerdings, dass die befragten Zuschauer trotzdem nicht verstärkt nach Anti-Terrormaßnahmen riefen. Dies werde vor allem von Personen gefordert, die bereits vorher "den Kampf gegen den Terrorismus" unterstützen.

Privatsender dramatisieren stärker

Rund 80 Prozent der Berichterstattung aller untersuchten Sender beleuchten die Taten und nur ein Fünftel – etwas mehr bei ARD und ZDF – die Ursachen des Terrorismus. Dabei hat die Jenaer Langzeitstudie gezeigt, „dass die Privatsender stärker dramatisieren und visualisieren“, sagt Haußecker. Allerdings hat sich das ZDF bei seiner Terrorberichterstattung den Privaten inzwischen stark angenähert. „Gucken Sie ,Tagesschau‘, da wird immer noch Qualitätsjournalismus geliefert“, rät Prof. Frindte. Andererseits fühlen sich die RTL-Seher stärker bedroht, fanden die Jenaer Forscher heraus, was an der Machart der Beiträge liegt, die die Wirkung auf Zuschauer extrem lenkt. Wenn in einem Beitrag erst brückenbauende Soldaten und dann Opfer von Anschlägen gezeigt werden, reagieren die Zuschauer viel wütender, als wenn der Beitrag erst die Opfer und dann die Brückenbauer zeigt, macht Frindte den Wirkungszusammenhang an einem Beispiel deutlich. Auf der anderen Seite haben die Jenaer Forscher auch klar erfahren, dass die Zuschauer sich die Nachrichten holen, die sie erwarten.

Doch die Berichterstattung in allen Sendern setzt ihren Schwerpunkt darauf, dass „die größte Gefahr vom islamischen Terrorismus ausgeht“, hat Prof. Frindte ermittelt, wenngleich dies vor allem von den Zuschauern der Privatsender so gesehen wird. Verbunden wird diese unterschwellige Nachricht mit der Botschaft, nur eine Verstärkung der militärischen und Sicherheitsmaßnahmen würde dagegen helfen. Damit verknüpften die Medien das Thema Terrorismus und Muslime und schürten so die Angst vor Muslimen.

„Wir zweifeln nicht an der Terrorismusbedrohung“, betont Prof. Frindte, „aber sie geht immer von kleinen Gruppen aus“. Und daher rät der erfahrene Kommunikationspsychologe den Medien auch: „Wenn es um solche Risikokommunikation geht: Den Ball flachhalten!“.

Die Forscher der Universität Jena wollen ihre Studien nun um andere Sender und spezifische Zielgruppen erweitern, sobald sie die notwendigen Mittel eingeworben haben.

Quelle:

Autorin / Autor: Redaktion - Stand: 13. Dezember 2010