Ein hartes Leben
Das Leben auf der Straße fordert von den Mädchen sehr viel Mut, Kreativität und Menschenkenntniss.
Wie finden die Mädchen das TrebeCafé?
*Maria*: Kontakt bekommen wir zu den Mädchen einmal über die Streetworkarbeit, wo wir u.a. unsere Visitenkarten verteilen. Ein weiterer Punkt ist die Mund-zu-Mund Propaganda. Die Mädchen erzählen einander vom TrebeCafé und machen sich Mut zu kommen, weil wir "voll OK" sind. Oder sie werden von den Mädchen einfach gebracht, wenn sie auf der Straße ankommen. Auch andere Einrichtungen machen die Frauen auf uns aufmerksam. Mittlerweile finden uns auch eine Reihe von Mädchen über unsere Internetseite www.trebecafe.de
Wie könnt ihr ihnen helfen, bzw. was wollen die Mädchen von euch?
*Maria*: Die Mädchen, die die Anlaufstelle besuchen, wollen von uns erstmal Kontakt, einen sicheren Ort (bei uns dürfen keine Männer in die Einrichtung), in dem sie sich aufhalten können und in dem sie sich versorgen können. Ebenso wichtig sind Gespräche mit den Mitarbeiterinnen und mit anderen jungen Frauen über "Dies und Das". Nach einer Weile vertrauen sich die Frauen uns an und bitten um Hilfe bei Ämtergängen, bei Problemen mit Eltern, bei der Suche nach einem Entgiftungsplatz oder einer eigenen Wohnung. Wir versuchen dann mit den Mädchen zu überlegen, welche Perspektiven sie sich vorstellen, ob sie eine eigene Wohnung möchten, oder lieber einen Platz in einer Betreuungseinrichtung, ob sie Kontakt zu den Eltern möchten oder mit dem Jugendamt verhandeln wollen wegen Betreuung.
Streetwork und Beratung über ICQ
*Maria:* Neben der Anlaufstelle macht das TrebeCafé auch Streetwork auf der Straße: Die Pädagoginnen suchen dort Mädchen und junge Frauen, geben ihnen etwas zu essen und zu trinken, Taschentücher und saubere Spritzen, machen "Werbung" für das TrebeCafé und helfen bei Bedarf auch sofort (Begleitung zu Ämtern, ins Krankenhaus, u.ä.).
Außerdem machen wir Präventionsarbeit in Schulen, in Jugendclubs, bei Kirchengemeinden. Dort sprechen wir mit den Mädchen über das Thema "von zu Hause weglaufen", ob sie sich das schon mal überlegt haben, ob sie Freunde haben, die weggelaufen sind und was das bedeutet auf der Straße zu sein.
Ein "Anschlußangebot" für die Präventionsveranstaltung ist auch die Online Beratung. Dort wird entweder über E-Mail oder über Chat (MSN und ICQ) beraten. Man kann auch mit mir als "Einzelfallhelferin" (wenn die Frauen das wünschen) Termine ausmachen und sich mit mir treffen und Gespräche führen. Bei Bedarf vermitteln wir auch bei Gesprächen mit Eltern, Lehrer o.ä.
Was geschieht in der Online-Beratung?
*Maria*: In der Online Beratung wenden sich Mädchen und junge Frauen an uns, die die Adressen über die Präventionsarbeit bekommen haben. Diese Mädchen wohnen in der Regel noch zu Hause und besuchen mehr oder weniger regelmäßig die Schule. Im Gegensatz zu den Mädchen, die bereits auf der Straße sind, haben sie noch einen geregelten Tagesablauf und können Termine wahrnehmen. Bei der Online Beratung schreiben die Mädchen ihre Anliegen und ich versuche (per Chat oder Mail) mit ihnen eine Lösung zu finden. Entweder gebe ich Informationen weiter (wo ist ein Jugendclub, gibt es eine Beratungsstelle oder eine Selbsthilfegruppe?) oder wir unterhalten uns über das Problem und versuchen gemeinsam eine Idee zu entwickeln, wie es anders werden kann. Dabei können die Mädchen sich auch mit mir verabreden zum Telefonieren oder zum Treffen, da sich einige Dinge besser persönlich klären lassen. Ich bin auch bereit, wenn die Mädchen das wollen, mit ihnen und ihren Eltern oder Lehrern Gespräche zu führen.
Was ist dir persönlich wichtig in der Arbeit?
In der Arbeit ist mir wichtig, dass wir den Mädchen die Entscheidungen überlassen, welche Schritte sie gehen wollen. Wir nehmen die Mädchen und jungen Frauen ernst mit ihren Wünschen und Bedürfnissen und entscheiden nichts ohne Absprache mit ihnen. Wir arbeiten parteiisch für die Mädchen, d.h. wir setzen uns für ihre Interessen ein. Bei Begleitungen zu Ämtern oder Ärzten verstehen wir uns als ihre Anwältinnen. Erstmal ist es wichtig, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen und den Mädchen zu vermitteln, dass wir auf ihrer Seite stehen. Die Mädchen sind in der Regel (durch ihre bisherigen Erfahrungen) misstrauisch Erwachsenen gegenüber und dieses Misstrauen abzubauen ist eine der ersten Aufgaben. Wenn wir eine vertrauensvolle Beziehung aufgebaut haben, sind die nächsten Schritte (mit den Mädchen gemeinsam zu überlegen, wie das weitere Leben aussehen kann) nur noch halb so schwer.
Was kannst du von den Mädchen auf der Straße lernen?
*Maria* Das Leben auf der Straße fordert von den Mädchen sehr viel Mut, Kreativität und Menschenkenntnis. Die Mädchen sind in der Lage, sich schnell auf neue Situationen einzustellen, Menschen schnell zu beurteilen und sich jeden Tag neu Geld, einen Schlafplatz, etwas zu Essen oder eine ruhige Ecke zu organisieren. Bewundernswert ist, wie sie es schaffen, trotz des Straßenlebens "völlig normal" auszusehen.
Es ist ihnen nicht anzumerken, dass sie keine Wohnung haben oder nächtelang unterwegs waren. Sie sind sehr kreativ im Gestalten ihrer Kleidung und können sich in kürzester Zeit von einer müden, dreckigen, heruntergekommenen Person zu einem schönen, gut aussehenden und gut gekleidetem jungen Mädchen verwandeln. Sie schaffen es häufig, ihre Interessen durchzusetzen, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt haben und halten die Mitarbeiterinnen häufig "auf Trab" mit Wünschen und Diskussionen, wie und warum diese Wünsche umgesetzt werden müssen. Dabei können sie sehr gut auf die Unterschiedlichkeit der einzelnen Mitarbeiterinnen eingehen. Und uns fällt immer wieder auf, wie gut sie uns kennen und einschätzen können. Diese Fähigkeiten sind wichtig, um auf der Straße zurecht zu kommen. Die Mädchen müssen auf der Straße schnell Menschen einschätzen können, um in verschiedenen Situationen richtig reagieren zu können (welcher Polizist wird mich ansprechen, weil ich noch unterwegs bin? Von welchem Ordnungsamtsmitarbeiter werde ich einen Platzverweis bekommen? Welcher Passant wird mir Geld geben, wenn ich ihn anschnorre? Welcher "Kollege" wird mir gefährlich, wenn er bemerkt, dass ich Geld habe? Wen kann ich um eine Schlafgelegenheit bitten? Wo kann ich mich draußen hinlegen, ohne Gefahr zu laufen ausgeraubt zu werden?).
Ein hartes Leben
Insgesamt ist festzustellen, dass die Mädchen, die den Weg auf die Straße gefunden haben, ein härteres Leben haben, als sie es sich vorgestellt haben. Meist laufen die Mädchen von zu Hause weg und erwarten auf der Straße etwas Freiheit und Abenteuer. Keine Gewalt mehr, selber entscheiden, was zu tun ist. Nicht mehr bevormundet zu werden. Sie bekommen auf der Straße viel Gewalt mit, z.T. von anderen Obdachlosen, Verfolgung durch Polizei und Ordnungsamt (vor allem Minderjährige, deren Eltern eine Vermisstenanzeige gestellt haben), kein Geld oder nur schwer zu beschaffen, kein Schlafplatz oder (fast) nur durch sexuelle Dienstleistungen zu bekommen. Sich den Schlafplatz sonst fast täglich neu organisieren, etc. Meist bedeutet das Leben auf der Straße nach einer Weile Drogenkonsum (um es aushalten zu können).
*Vielen Dank für das Interview!*
Autorin / Autor: Rosi Stolz/ Maria Peixoto vom TrebeCafé - Stand: 4. August 2009