Mut und Hilfe

"Wir machen das, weil wir hier in Wurzen leben wollen, weil wir unsere Heimatstadt nicht den Rechten überlassen wollen."

*Rosi* Woher nehmt ihr - oder du persönlich - den Mut, euch gegen so viele Rechte zu engagieren?

*Melanie* Mmh, „Mut“, das klingt so heroisch. Ich glaube, so hoch sollte man das nicht hängen. Wir machen das, weil wir hier in Wurzen leben wollen, weil wir unsere Heimatstadt nicht den Rechten überlassen wollen. Und 11,4 Prozent sind schließlich eine Minderheit. Zwar gibt es auch eine Mehrheit, die einfach nur ihre Ruhe haben will und lieber den Mund hält, aber durch unsere Arbeit schaffen wir es, immer mehr Menschen dazu zu ermutigen, aktiv zu werden.

*Rosi* Wer hilft euch und wer hilft euch nicht?

*Melanie* Vor allem seit dem Bombenanschlag hat sich einiges getan. Mit der Polizei ist die Zusammenarbeit eigentlich gut und unproblematisch, vor allem zum Leiter der Polizeidirektion Westsachsen haben wir einen guten Draht. Das Problem ist eher der Oberbürgermeister. Wie auch sein Vorgänger, würde er das Problem von rechts vermutlich lieber totschweigen. Nur in mühevoller Kleinarbeit kommen wir einer Verständigung näher. Man braucht viel Geduld. Von vielen Unternehmen und Einzelhändlern in Wurzen bekommen wir Unterstützung – sei es Rabatt beim Bäcker für Veranstaltungen, kostenlose Übernachtungsmöglichkeiten für Jugendbegegnungen oder auch Sach- und Geldspenden. Nach dem Anschlag gab es eine Unterschriftenaktion, in deren Rahmen 1300 BürgerInnen sich mit uns solidarisiert haben. Mit vielen Vereinen und Institutionen in Wurzen und Umgebung arbeiten wir eng zusammen. Ich habe schon das Gefühl, dass wir eine immer breitere Anerkennung bei der Bevölkerung finden. Aber das ist ein mühsamer Prozess, der nicht von heute auf morgen abgeschlossen sein wird.

Hintergründe?

*Rosi* Was glaubst du, warum die Jugendlichen in Wurzen so auf die Nazipropaganda reinfallen und nicht z.B. links werden? Meinst du das ist erst mit der Wende gekommen oder gab es dieses Gedankengut auch schon vorher?

*Melanie* Ich denke, es ist hier nicht viel anders als anderswo in Sachsen, wo die NPD stark ist. Nur hier konnte sie sich seit 1991 fast unbehelligt von Politik und Behörden etablieren, Strukturen und Zentren aufbauen, Jugendarbeit betreiben und ein rechtsextremes Kulturgut erschaffen werden. Zudem kommen natürlich die soziale und wirtschaftliche Situation der Region und die Hilflosigkeit von Kommunalpolitik, Schule und Jugendarbeit bzw. deren Unvermögen, sich richtigerweise mit den Problemen – und eben auch mit dem Rechtsextremismus – auseinanderzusetzen. Rechtsextreme Jugendkultur hat immer auch noch den Hauch von Illegalität und Subkultur, obwohl sie das hier mittlerweile nicht mehr ist, der spannend für junge Menschen scheint. Vieles beginnt mit der ersten Nazi-CD, dem ersten Rechtsrockkonzert und ähnlichen niedrigschwelligen Angeboten. Das politisiert und ideologisiert natürlich. Zusammen mit dem Frust schafft das eine Szene, die sich erhoben fühlt, Ordnungsmacht zu sein, Schuldige sucht und findet: Punks, sozial benachteiligte, Aussiedler, Juden, MigrantInnen, Linke, Obdachlose, Skater. Und wenn spätestens dann nicht Eltern, Pädagogen oder Freunde eingreifen, kann es zu einer rechten Dominanz führen, die schwer wieder aufzulösen ist.
Wurzen hatte auch schon zu DDR-Zeiten einen Ruf als „braune Stadt“. Trotzdem konnte die rechte Szene nur mit ideologischen und strategischen Know-How der Westnazis so stark werden. Die bis heute aktiven Naziprotagonisten haben sich dieses 1990 geholt und hier angewandt. Erfolgreich leider.

*Rosi* Bist du der Meinung, dass es in Ostdeutschland mehr Neonazis gibt als im Westen oder denkst du, dass die Medien hier ein falsches Bild vermitteln?

*Melanie* Es gibt m.E. nach in Ostdeutschland mehr gewaltbereite Neonazis als im Westen. In Westdeutschland sitzt die NPD (noch) nicht bzw. nicht mehr in Landtagen und kaum in den Kreis-/ Gemeinderäten. Dafür aber Republikaner bspw. Das sollte aber nicht darüber hinweg täuschen, dass es auch im Westen zunehmend mehr radikalere Neonazis gibt, wie Mölln und Solingen zeigen oder die Wahlen im Saarland z.B. gezeigt haben. Außerdem lässt sich das ja nicht nur am Zulauf der NPD fest machen. Es gibt immens viele freie Kameradschaften, die partei-unabhängig organisiert sind. Auch im Westen. Trotzdem haben die Medien in der Art ihrer Berichterstattung natürlich großen Einfluss darauf, wie etwas wahrgenommen wird. Ich halte es für ausgesprochen gefährlich, wenn Westdeutsche das Problem Rechtsextremismus auf den Osten abwälzen und sich tatenlos zurücklehnen.

*Rosi* Was wünschst du dir am dringendsten für Wurzen?

*Melanie* Ich wünsche mir, dass endlich alle wichtigen Organe der Stadt anerkennen, dass das Problem in Wurzen Rechtsextremismus heißt und dass man sich dagegen engagieren muss, bevor es zu spät ist. Dass der Oberbürgermeister öffentlich bekennt, dass es das Problem gibt und dass er etwas dagegen tut, und zwar ganz viele konkrete Dinge, die er z.B mit uns als Experten auf diesem Gebiet entwickeln kann. Und dass es den Neonazis dann in Wurzen so ungemütlich wird, dass sie verschwinden.

*Rosi* Und was für deine Arbeit beim NDK?

*Melanie* Dass wir endlich das fehlende Geld zusammenbekommen, um unser BürgerInnen- und Kulturzentrum D5 fertig zu stellen, und dass das dann ein offenes, belebtes Haus mit vielfältigen Aktivitäten wird, das viele Jahre bestehen bleiben kann, ohne von ständigen Fördermittelkürzungen bedroht zu sein. Ich wünsch mir, dass die engagierten Menschen der Stadt nicht eines Tages die Nerven verlieren und wegziehen.

Infos über den Verein

Der Verein wurde im Dezember 1999 durch eine Reihe Wurzener BürgerInnen gegründet und wird hauptsächlich vom Bundesministerium für Jugend durch das Programm „civitas – Initiativ gegen Rechtsextremismus in den Neuen Bundesländern“ sowie durch verschiedene Stiftungen, Vereinigungen und Einzelpersonen unterstützt. Unser Leitbild: Das NDK fördert eine aktive, demokratische Zivilgesellschaft und verbessert die Lebensqualität in der Region; das NDK unterstützt Bürgerbeteiligung, organisiert Veranstaltungen und Projekte. Dazu bietet es Infrastruktur, Beratung, Information und ein offenes Netzwerk für alle, die sich den Menschenrechten verpflichtet fühlen und sich im Sinne einer demokratischen Kultur engagieren wollen.

Im NDK kann man sich in folgenden Bereichen engagieren:
- Kulturwerkstatt (z.B. Theateraufführungen, Lesungen, Konzerte, Kleinkunst...)
- Geschichtswerkstatt (z.B. Bildungsreisen, Ausstellungen, Gedenkmarsch für die Opfer der Todesmärsche 1945)
- Jugendbegegnung/Workcamps (z.B. Auschwitzbegegnungsprojekt, deutsch-polnisch-österreichisch-tschechisches „Campanella“)
- Medienwerkstatt (Unterstützung beim Filmemachen, Dokumentation )
- Kino (Filmfestivals, Wanderkino, Mondscheinkino...)
- Fahrradselbsthilfewerkstatt

Im Jahr setzen wir ca. 30 Projekte um, hauptsächlich ehrenamtlich. Ich habe zwar als Projekt- und Vereinsmanagerin eine Vollzeitstelle, aber zudem gibt es noch einen Mitarbeiter mit einer halben Stelle, eine Mitarbeiterin mit 10 Stunden in der Woche und natürlich unsere beiden Europäischen Freiwilligen, die aus immer anderen Ländern kommen und ein Jahr im NDK verbringen. Da ist es sehr gut, dass sich etwa 25 Leute regelmäßig ehrenamtlich engagieren, sonst wäre die ganze Arbeit gar nicht zu bewältigen.

Außerdem konnten wir dank einer Spendenaktion des "Stern", der "Zeit" und der Amadeu Antonio Stiftung ein mittelalterliches Haus am Domplatz 5 kaufen, das wir gerade zum Kultur- und BürgerInnenzentrum "D5" umbauen. Da es mit dem Geld immer schwierig ist, machen wir möglichst viel in Eigenarbeit. Bisher sind schon über 5000 ehrenamtliche Stunden geleistet worden und wir hoffen, das Haus im Herbst zumindest teilweise in Betrieb nehmen zu können, wenigstens den Kulturkeller, damit wir einen Veranstaltungsraum haben. Aber dazu fehlen uns momentan noch 50.000 Euro für Heizung, Elektroinstallationen, brandschutzsichere Treppe usw.. Im D5 sollen dann weitere Vereine unter einem Dach angesiedelt werden, damit sich das Netzwerk ständig vergrößert. Zurzeit haben wir eine Bürogemeinschaft mit AMAL e.V., die Opfer rechter Gewalt beraten, und mit dem Mobilen Beratungsteam, das Institutionen und Kommunen berät, wenn diese Probleme mit Rechtsextremen haben.

Zum Themenspecial Rechtsradikalismus

  • Die Bilder wurden uns zur Verfügung gestellt vom NDK.
Autorin / Autor: ~rosi~, Melanie - Stand: 24. März 2005