Mädchensache - Teil 6

Von Marianna Glanovitis

5.  Eine böse Überraschung

Sie verabschiedeten sich und nachdem Thomas weggefahren war, setzten sich die drei Freundinnen in ihr Versteck und berieten, was zu tun sei. Doch so lange sie auch auf Geistesblitze hofften, sie hatten einfach keine neuen Ideen.
„In meinem Kopf ist nur noch ein großes Loch“, stöhnte Sara. „Ich…“
„Loch? Moment mal“, rief Sabine. „Die Höhle am Meer! Was, wenn dort die Beute versteckt ist! Hast du nicht etwas von einer Eisentruhe gesagt, Lea?“
„Die Höhle mit der Schlange?“, stöhnte Lea. „Da bringen mich keine zehn Pferde mehr hinein!“
„Aber das wäre doch ein prima Versteck, es könnte schon sein“, meinte Sara nachdenklich.
„Vielleicht war es ja gar keine Seeschlange...“, warf Sabine ein.
„Aber ich habe sie genau gesehen!“, beteuerte Lea.
„Genau gesehen, was heißt das schon! Genauso gut könnte es eine Alge gewesen sein.“ Sara blickte die beiden Schwestern eindringlich an. „Und schließlich geht es ja jetzt auch noch um die Anlage von eurem Vater, oder?“
Sie schwiegen. Schließlich sprang Sabine auf.
„Was sitzen wir hier eigentlich noch herum?“, fragte sie. „Wenn die Beute wirklich in der Höhle versteckt ist, sollten wir das so schnell wie möglich herausfinden, bevor sich der Dieb damit davon macht!“
So rannten sie also zu ihren Stellplätzen, zogen sich Badesachen an und schnappten sich die Paddel.



Lea sah beunruhigt aus. „Seht ihr die dunklen Wolken dahinten?“ Sie waren in die Bucht hinabgeklettert, in der das Surfbrett an der Boje lag. Lea zeigte auf eine Gewitterwand, die am Horizont aufzog. „Und seht mal, heute gibt es richtig große Wellen. Ich glaube, es gibt ein Gewitter!“
Und richtig, der Wind hatte deutlich aufgefrischt und das Surfbrett tanzte fröhlich auf dem Wasser.
„Ach, das dauert sicher noch ein paar Stunden, bis das Wetter hierher kommt“, beruhigte sie Sabine. „Und schließlich haben wir keine Zeit zu verlieren!“
Also schwammen sie zum Surfbrett und paddelten los. Schnell merkten sie, dass es heute kein Kinderspiel war – immer höhere Wellen rollten heran.
„He, Sabine, paddle du doch mal“, rief Sara von vorne. „Mir tun schon die Arme weh“. Also wechselten sie sich ab, und erst nach einer Viertelstunde hatten sie den Höhleneingang erreicht. Zum Glück war das Wasser vor der Höhle etwas ruhiger, sodass sie ohne größere Schwierigkeiten in die Höhle hinein manövrieren konnten. Gerade zogen sie das Surfbrett auf den kleineren der beiden Kiesstrände, als sie eine Bewegung hinter einem Felsen wahrnahmen.
„Da ist jemand an dieser Kiste“, zischte Lea und nun konnten sie es alle drei sehen: Über die Eisenkiste gebeugt stand ein Mann, der gerade Perlenketten, Armbänder und anderen Schmuck in einen Rucksack verlud. Da rutschte Lea plötzlich aus und fiel mit lautem Platschen ins Wasser. Die Gestalt fuhr herum und Sabine blieb fast das Herz stehen. Es war nicht Lukas. Es war Thomas.



„So, so!“, sagte Thomas und seine grünen Augen funkelten.
Grüne Augen!, dachte Lea, er hat auch grüne Augen!
„So, so!“, sagte Thomas noch einmal. Seine Stimme hallte in der Höhle wider. „Sind mir die kleinen Schnüfflerinnen doch tatsächlich auf die Schliche gekommen. Hat ja lange genug gedauert.“
Die Mädchen starrten ihn an wie ein Kaninchen die Schlange.
Lea konnte es nicht fassen. Thomas, der nette Mann, der Mann, der sie vor Lukas gerettet hatte, der Mann, der ihnen immer geholfen hatte, er war der Dieb? Niemals! Sie konnte es einfach nicht glauben.
Aber dies war nicht der nette Thomas, der ihr Freund war. All die Süßigkeiten, jede Freundlichkeit war nur zur Ablenkung gewesen.
Zu Leas Entsetzen packte Thomas sie blitzschnell am Handgelenk und zog eine Pistole aus dem Gürtel. Damit zielte er auf Sabine und Sara.
„Wehe, ihr rührt euch auch nur einen Millimeter von der Stelle“.
Nacheinander fesselte er die drei Mädchen an den Eisenring, der aus dem Felsen ragte.
„Da oben wartet die Polizei auf dich!“, schrie Sabine und wies mit der Hand zu dem Spalt in der Decke der Höhle. Einen Versuch war es ja wert…
„Verdammt“, fluchte Thomas leise. Dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.
„Aber zum Glück...“, sagte er leise. „Habt ihr mir ja einen anderen Fluchtweg ermöglicht. Das Surfbrett tut es doch auch! Und was euch betrifft… keine Angst. Ich brauche euch nicht zu knebeln, hier hört euch sowieso keiner. Und wenn die Polizei dort oben schon wartet, dann wird es ja nicht so lange dauern, bis irgendjemand kommt und euch holt. Ein Glück für euch, denn sonst würdet ihr bei Flut ertrinken. Das wird euch eine Lehre sein, nie wieder die Nasen in Dinge zu stecken, die euch nichts angehen!“
Und damit warf er sich den Rucksack über den Rücken, schnappte sich das Paddel und verschwand lachend auf dem Surfbrett aus der Höhle.
„Super!“, sagte Sara. „Echt super! Und was machen wir jetzt?“
Lea weinte die ganze Zeit über. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie sich aus dieser misslichen Lage befreien sollten.
„He, nicht weinen, Schwesterlein“, versuchte Sabine sie zu trösten. „Wir kommen hier schon wieder raus.“
Doch in ihrem Innersten war auch sie nicht so sicher, wie sie vorgab. Schließlich wusste niemand außer Thomas, dass sie hier waren. Ob außer ihnen überhaupt noch jemand von der Höhle wusste? Vielleicht kannte ja jemand den zweiten Eingang… zweiter Eingang? In dem Moment, als Sabine an den Eingang in der Höhlendecke dachte, hörte sie von oben ein Geräusch! Jemand kam die Eisensprossen herabgeklettert!
Sabine konnte ihr Glück kaum fassen, doch der Jubelschrei blieb ihr im Hals stecken, als sie die Gestalt erkannte, die sich dort an der Felswand hinunterhangelte. Es war niemand anderes als … Lukas!

Autorin / Autor: Marianna Glanovitis - Stand: 20. Juli 2010