kaltherz - Teil 8

von Moira Frank

Er nahm Laures Pass und das Handy und wankte zurück in den Flur. Seine Hände brannten. Panik ergriff ihn. Überall waren schwarze Flecken auf dem Parkett. Er riss sich zusammen und ging zu Laure, nahm seine Jacke und zog sie an, obwohl sie blutig war und stank. Dann hob er Laure hoch in seine Arme, sie kam ihm gar nicht schwer vor und ging mit lahmen Schritten den Flur hinab.
Ihr Kopf sank zur Seite. Blut sickerte in seinen Pullover. Seine Ärmel waren vollgesogen mit Blut. Stechende Kälte empfing ihn im Treppenhaus. Es zog. Das Geländer vermoderte. Die Stufen waren fleckig. Sein Herzschlag hetzte wie ein Tier. Er vergrub das Gesicht in Laures Haar und ging weiter, ohne hinzusehen, stieg die Stufen hinab, er kannte den Weg, er musste ihn nicht sehen. Er war wie benebelt von Glück und Schmerz. Er würde alles wieder gutmachen. Laure würde ihm verzeihen. Laure würde sehen, dass er es immer nur gut gemeint hatte.
„Ich wollte nicht, dass du stirbst, Laure“, murmelte er. Regen. Regen rauschte. Er trat in die Kälte und hob den Blick, die Straßen waren ausgestorben, der Fluss tobte, das Wasser wühlte auf, grau und kalt. „Es ist meine Schuld, dass du gestorben bist. Das habe ich nie gewollt, Laure. Ich mache es wieder gut.“
Sein Herz zerriss vor Glück. Wind zerrte an seiner Jacke. Regen lief ihm übers Gesicht. Laures Atemzüge wurden immer schwächer. Er hörte die Sirenen nicht. Er sah die peitschenden Lichter nicht.
Die Häuser blieben wie im Nebel zurück. Die Welt verschluckte der Regen und Dred ging weiter und der Regen stand in den Straßen, Regen trieb über den donnernden, tosenden, grauen Fluss. Er erreichte die verlassene Brücke und es war, als ginge er entlang rostender Eisengeländer über tosenden Fluten in ein gleißendes Licht.

Regen peitschte ihr ins Gesicht. Sie warf die Tür zu. Blaulicht blitzte. Sie hatten Hunde dabei. Fox winkte sie zu sich auf die andere Straßenseite, er musste gegen den Regen und das Rauschen des aufwühlenden Flusses regelrecht anschreien: „Sie kommen mit mir!“
Es war ein trostloses, heruntergekommenes Viertel, in dem der Wagen gefunden worden war. Weit schlimmer als das letzte, aber immerhin bewohnte Viertel, das Dred sich als Versteck gesucht hatte. Die Häuser waren fast alle verlassen und baufällig. An einigen standen wie vergessen scheinende Gerüste von Baufirmen, die Wände waren beschmiert mit Graffiti und sämtliche Fenster eingeschlagen. In den Schlaglöchern der Straßen stand das Wasser. Jelen und Fox kamen an anderen Wagen vorbei. Es sah aus, als wären sie mit einem Großaufgebot unterwegs.
„Die Spezialeinheit ist bereits oben.“ Fox zog seine Waffe und schob sich mit Jelen durch die herumstehenden Kollegen. Sie sah Fox mit zwei Männern reden und schließlich durch die Absperrung zurückgekommen. Dutzende leere Fenster über ihnen. Die Tür stand offen. Wo einst die Briefkästen der Wohnungen gewesen waren, klafften Löcher in der Wand.
Jelen starrte mit wild rasendem Herzschlag hinauf zu den zerschlagenen Fenstern. Hatten die Hunde hier angeschlagen? Wo zum Teufel war Dred? Die Spezialeinheit war weit vor ihnen da gewesen. Warum hatten sie ihn nicht längst?
„Die Straßen sind abgeriegelt. Er kommt nicht raus.“ Fox tauchte neben ihr auf. „Sie haben Blutspuren gefunden. Im Wagen ist alles voller Blut, Jelen.“
Irgendjemand rief etwas. Fox drehte sich um, aber Jelen hörte kaum hin. Sie bemerkte, dass der Regen ihr in den Kragen lief und versuchte, ihn mit steifen Fingern zuzuknöpfen, aber es gelang ihr nicht. Ihr war schwindelig vor Angst.
Jelen zog ihre Waffe. Bevor irgendjemand sie aufhalten konnte, duckte sie sich unter der Absperrung hinweg. Erst glaubte sie, er würde sie packen und zurückzerren, als sie Fox aus den Augenwinkeln hinter sich auftauchen sah, aber er hielt sie lediglich einen Moment fest. „Sie bleiben hinter mir. Ich habe mich lang genug von diesem Irren als unfähiger Idiot bloßstellen lassen.“

Im Treppenhaus war es kalt und zugig und es stank. Zwei Bewaffnete kamen ihnen entgegen. Fox blieb stehen, aber Jelen drängte sich an ihnen vorbei, bis der Schwindel in ihrem Kopf so heftig wurde, dass sie gezwungen war, einen Moment stehen zu bleiben und sich an der Wand abzustützen.
„Jelen! Jelen, da oben ist niemand!“, rief ihr irgendjemand nach. Ihr Blick verschleierte. Sie stolperte weiter die Stufen hinauf. Andere Männer kamen ihr entgegen, einer versuchte sie aufzuhalten, aber sie schlug seine Hand weg und stürzte beinahe. Alles drehte sich. Im vierten Stock stand die Tür zum Flur offen. Einer der Kollegen von der Spezialeinheit stieß beinahe mit ihr zusammen. Er fing sie auf, als sie das Gleichgewicht verlor und half ihr hoch. Ihr Blick fiel auf den aufgequollenen Parkettboden. Es sah aus, als hätte jemand ein Tier im Flur geschlachtet.
Die Wohnung war leer und verlassen. Dred war verschwunden.
Jelen war nah dran, sich zu übergeben...

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Autorin / Autor: Moira Frank - Stand: 1. Juli 2010