Früher war alles besser?!

Von Oma's Postkarten und Fotoalben zu Enkelinnen's E-Mails und Bildergalerien

Was machst du da eigentlich wieder?

„Früher war alles besser“. Oma sitzt an unserem neuen IKEA-Küchentisch und isst einen Keks. „Da waren wenigstens noch nicht alle Kinder gleich. Wir sind mit dem Fahrrad picknicken gefahren oder haben uns nachmittags getroffen. Und zwar in der realen Welt, nicht nur in diesem Internet. Was machst du da eigentlich wieder? Schreibst du schon wieder so eine MS?“ Verwirrt gucke ich von meinem Laptop auf. „Ne, ich chatte!“, antworte ich. Brummelnd steht sie auf und geht ins Wohnzimmer.

Nervig, diese Gespräche

Mich nerven diese Gespräche. Früher war alles besser. Früher haben die Kinder noch auf ihre Eltern gehört. Früher hat eine Kugel Eis noch 10 Pfennig gekostet, heute kostet das ja mindestens eine Mark! Das wir seit zehn Jahren eine neue Währung haben, scheint an der älteren Generation irgendwie vorbeigegangen zu sein. In manchen Punkten hat Oma ja recht. Was ist mit uns Jugendlichen eigentlich passiert? Wir sind uncool, wenn wir weniger als hundert Freunde bei SchülerVZ haben. Die Hälfte der „Freunde“ gar nicht zu kennen, ist nicht weiter schlimm, hauptsache die anderen sehen, dass man cool ist. Das kann man auch mit seinen Fotos beweisen, die man für alle sichtbar ins Netz stellt. So kann man sich auf der letzten Party sehen oder im Bikini am Strand. Schade eigentlich, dass es heute kaum noch Fotoalben gibt. Wenn Oma mir ihr Album zeigt und ich meinen Papa auf einem verblichenen Schwarzweißfoto erkenne, lächle ich immer und denke, irgendwann zeigst du deinen Enkeln auch so ein Fotoalbum von deiner Jugend. Werde ich jedoch nie tun, meine Kinderbilder sind schließlich alle auf kleinen Scheiben vorhanden, die vielleicht dann gar nicht mehr lesbar sind. Wahrscheinlich mache ich von meinen Kindern schon Fotos mit meiner 100Megapixel-Kamera, die in meinem wasserdichten Solarhandy enthalten ist. Man weiß ja nie, wie die Welt sich morgen schon verändert hat.

Feiern bei LAN und McDonalds

Mein Bruder kommt um die Ecke. „Mama, heute Abend kommen ja Sven und Mark zu der Lan! Dann können wir doch was von McDonalds holen, oder?“
Oma guckt wieder um die Ecke. „Sie kommen zur Lahn? Die Lahn ist doch ein Fluss, was wollen die denn da?“ Mein Bruder seufzt genervt. „Oma, Lan heißt, meine Freunde kommen und bringen ihren Computer mit und dann zocken wir zusammen CounterStrike.“ Oma versteht natürlich nicht viel und murmelt nur wieder: „Früher war alles besser. Früher haben wir noch richtige Spiele gespielt. Früher hätten wir dieses Fast-Food von McDonalds nicht mal angerührt.“
Es stand letztens noch in der Zeitung, 68% der 3-jährigen Kinder in Deutschland kennen das große M der Fastfood-Kette McDonalds, die Hälfte der vierjährigen kennen nicht mal ihren eigenen Namen. Dabei schmeckt das Zeug nicht mal richtig gut, Mama kocht tausendmal besser.
Ich schreibe schnell eine Email an meine beste Freundin und klappe den Laptop zu. Als ich Oma das mit den Emails heutzutage erklärt habe, hat sie natürlich auch wieder nur den Kopf geschüttelt. „Früher haben wir uns noch richtige Briefe geschrieben“, hat sie gesagt.
Als kleines Kind habe ich es immer geliebt, einen Brief oder eine Urlaubskarte von meinen Grundschulfreunden zu bekommen. Dem Briefträger bin ich entgegengelaufen und war enttäuscht, wenn er nichts für mich dabeihatte. Heute schickt man aus dem Urlaub einfach schnell eine E-Card aus einem Internetcafé.

War es wirklich besser?

Ich trauere den lieben alten Postkarten noch hinterher, als ich in mein Zimmer hinauf gehe. Es stimmt schon, früher hatten die Menschen mehr Zeit. Sie machten eine Ausbildung oder lernten das Handwerk des Vaters. Klar, es gab auch viel Schlechtes. Trotzdem hat das Internet, das Fernsehen und das Telefon vielleicht alles verändert. Zeiten ändern sich und das ist gut so. Manches war vielleicht damals besser, vieles jedoch ist heute in einem besseren Zustand. Die Welt ändert sich jeden Tag aufs Neue und ich sollte meinen Postkarten nicht länger nachtrauern und mich mit ihr verändern. Sonst bleibe ich vielleicht irgendwo stehen, so wie Oma.

In was?

Die sitzt gerade im Wohnzimmer, wo sie an einem Pullover strickt. „Du brauchst endlich mal wieder neue Sachen. Was hast du denn da wieder für eine Hose an? Die ist ja unten total eng an den Beinen!“ „Das ist eine Röhrenjeans, Oma! Das ist gerade total in!“ „In was?“ Oma ist verwirrt. „Jedenfalls dachte ich mir, ich stricke dir einen Pullover. Dieses Muster war zu meiner Zeit der letzte Schrei. Er wird dir gefallen, warte ab!“
Ich werfe einen vorischtigen Blick auf das Meisterwerk. Der Pullover ist weiß-rot gestreift, in der Mitte prangt ein Eishörnchen mit drei roten Kugeln. Okay, hier ist die Bestätigung. Früher war nicht alles besser.

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Autorin / Autor: Wibke - Stand: 20. Oktober 2009