Von der Kuriosität mancher Momente

Wettbewerbsbeitrag von Janne, 19 Jahre

Die Atmosphäre war von orange-getränkter Leichtigkeit, dem Joint in meinen Fingern entstieg ein Rauchfaden von würzig-riechender Intensität. Die hölzerne Parkbank stand etwas versteckt im Dickicht des angrenzenden Waldgebietes – beinahe hätte ich sie gar nicht entdeckt – und sie wirkte an diesem Ort verlassen, ein kleines bisschen fehl am Platz. Trotzdem versprach sie Ruhe und hatte etwas Uriges an sich, das mich verlockte. In kindlicher Neugier hatte ich Die 13 ½ Leben des Käpt‘n Blaubär aufgeschlagen, bereit, in die mystische Realität Zamoniens einzutauchen. Ich erspähte ein zusammengefaltetes Zettelchen, dass sorgfältig zwischen den ersten Seiten des Romans platziert worden war und dass ich zunächst für ein Lesezeichen gehalten hatte:

Liebe Lou, zum Abschied schenke ich dir das wahrscheinlich beste Buch des Diesseits – es öffnet dir eine große, geschwungene hölzerne Tür in ein anderes Universum, das verspreche ich. Lass dich von deinem (langweiligen) Informatikstudium bitte niemals deiner Faszination für das Unwirkliche berauben, deine Fantasie ist ein hohes Gut. Ich hab dich lieb und du glaubst gar nicht wie sehr ich dich vermissen werde, deine Elif

Ich musste schmunzeln. Die krakelig-verspielte Handschrift meiner Schwester machte mich beinahe sentimental. Schon nach wenigen Sätzen geriet ich in den Sog der Abstrusität, diese erstaunlich kreative Fantasiewelt begeisterte mich in intensiver Tiefe. Und während mir die warme Nachmittagssonne auf die Nase schien, träumte ich insgeheim davon, wie schön es wohl wäre, ein Blaubär zu sein, 27 Leben zu haben. Das erdige Rascheln feinen Laubes fügte sich in wundersamer Weise in die gegenwärtige Atmosphäre, sodass ich erst gar nicht bemerkte, dass diese Geräusche auf Schritten fußten. Sie gehörten einer Frau, die wunderschön war. Ich schätzte sie auf Anfang 30 und ihr Gang strahlte eine ungemeine Eleganz aus. Ihren langen, schlanken Körper umhüllte ein enger Mantel in einem interessanten Dunkelviolett. Wenn sie Haare hatte, dann trug sie sie unter der schwarzen Schirmmütze. Vielleicht war es mein unvermeidliches, beinahe peinliches Grinsen, dass die Frau dazu bewegte, mich nach einem Feuerzeug zu fragen für die Zigarette, die sie bereits im Mundwinkel trug. Noch nie hatte ich eine so tiefe Frauenstimme gehört, die aber keinesfalls rau, sondern von unzweideutiger Klarheit war. Verlegen und stumm reichte ich ihr mein Feuerzeug, mein Herz schlug in unregelmäßiger Schnelle und nach einer kurzen Weile der Stille – es mögen wohl wenige Sekunden gewesen sein – setze sie sich auf den das andere Ende der Bank. Sie hatte die Beine überschlagen und blickte forschend und selbstsicher geradeaus. Dann fiel ihr wohl der halbe Joint auf, den ich neben mich und die gefaltete Notiz meiner Schwester auf die Bank gelegt hatte. Ihre Mundwinkel umspielte ein Schmunzeln, dann zog sie die Augenbrauen hoch und mit spitzen Lippen an ihrer Zigarette. Noch immer verlegen lächelte ich und hatte das Gefühl diese spannungsgeladene Stille nicht länger ertragen zu können. Ein Räuspern entwich mir, ebenso wie die Worte: „Schönes Wetter heute, nicht?“ Die Frau nickte, entgegnete: „Sie lesen wohl gerne“. Ein bisschen verwirrt nickte also ich nun. „Worum geht es in dem Buch?“ Ich begann in überfordertem Tonfall zu erklären, dass der Roman in einer Welt spielt, die ganz und gar anders als das Diesseits ist, die voller Wunder und Fantasie, Unerklärlichem und Kuriosem ist. Und, dass der Protagonist ein Blaubär mit 27 Leben ist, deren Hälfte – 13 ½ – er erzählen will. Meine Wangen waren heiß, ich musste wohl rot angelaufen sein. „Das klingt für Sie vermutlich nach einem Kinderbuch, aber glauben Sie mir, das ist es keinesfalls“, lachte ich. Sie schüttelte den Kopf: „Das denke ich überhaupt nicht. Ihr Buch kommt mir unheimlich interessant vor. Und selbst wenn es ein Buch für Kinder wäre, würde es mich interessieren. Erwachsene verlieren sich häufig in der sogenannten Realität, sie verschließen sich der Magie des Mystischen.“ „Die sogenannte Realität?“, ich blicke die Dame fragend an und beginne, dieses Gespräch zunehmend faszinierend, fesselnd, zu finden.“ „Wissen Sie, wir Menschen nehmen bloß einen Bruchteil dessen wahr, was tatsächlich ist. Unser Universum birgt unendlich viele Geheimnisse, die sich uns niemals offenbaren werden. Warum also bilden wir uns ein, darüber urteilen zu können, was Realität bedeutet?“, erwiderte die mysteriöse Frau und nun erst bemerkte ich, dass ihr Blickkontakt von ungewöhnlicher Intensität, geradezu hypnotisch, war. Ich meinte beinahe in der Klarheit ihrer Augen eine Spiegelung meiner eigenen roten zu erkennen.

Es pfeift, ihre Lippen sind spitz, ich wende mich ab, ich schreie. Lautlos, aufgerissener Mund, Gesicht verzerrt, in überfordertem Erstaunen. Das dunkelgrüne Wesen fliegt friedlich in kreisförmigen Bahnen über das offene Weizenfeld. Trotz seines massiven Körpers – es hat die Größe eines Pferdes – bewegt es sich mit einer nie-gesehenen Eleganz. Die Geschmeidigkeit seiner Flügelschläge versetzt mich in einen tranceähnlichen Zustand, ein kalter Schauer rinnt mir über den Rücken. Was passiert hier gerade? Die Rationalität überrumpelt mich in erbarmungsloser Schlagartigkeit, verwandelt mein Erstaunen in Entsetzen. „Was passiert hier gerade?“, schreie ich, unfähig meine Augen von diesem Wesen in naher Ferne zu lösen, das die unzweideutige Gestalt eines Drachen hat. Der Drache kommt nicht näher, er sieht nicht aggressiv aus. Harmlos und geschmeidig bewegt er sich, als würde er die Schönheit seiner selbst einem wichtigen Publikum präsentieren wollen. Mein Herzschlag beruhigt sich ein wenig, ich beginne in langen und tiefen Zügen ein- und auszuatmen. Das wird mir niemand glauben!

Dann kam mir die Frau in den Sinn, mit der ich mir die Parkbank teilte – sie musste den Drachen auch gesehen haben. Doch als ich mich ihr zuwendete, war sie verschwunden. Die Bank war leer und wirkte auf einmal unwirklich groß. Dann realisierte ich: Auch Die 13 ½ Leben des Käpt‘n Blaubär waren verschwunden.

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Die Über All Lesung

Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen

Die Über All-Preisträger:innen

Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

Die Über All Jury

Teilnahmebedingungen

Preise - Das gibt es zu gewinnen!

Schirmherrin Dr. Suzanna Randall

EINSENDUNGEN

Autorin / Autor: Janne