Interview mit Aateffa
"Während der Talibanzeit, als es den Mädchen verboten war, zur Schule zu gehen, traf ich mich regelmäßig mit meinen Freundinnen zu Hause, um dort gemeinsam zu lesen."
Rebecca Rashid, geboren 1969 in Köln, Mutter Deutsche, Vater Afghane, lernte Aateffa während eines Aufenthalts in Kabul im Juni 2006 kennen und hat sie für euch interviewt.
*Aateffa, du studierst seit eineinhalb Jahren an der Universität Kabul Germanistik. Wie kam es zu dieser Wahl?*
Ich habe zuerst Englisch studiert, aber ich merkte bald, dass ich dafür nicht das nötige Interesse aufbrachte. Mein Bruder studierte damals schon Deutsch und diese Sprache fesselte mich geradezu, ich fühlte mich auch intuitiv vertraut mit der deutschen Kultur, insbesondere der Literatur. So entschied ich mich also, umzusatteln.
Was bedeutet Literatur im Allgemeinen für dich?
Sie spielt in meinem Leben eine große Rolle. Während der Talibanzeit, als es den Mädchen verboten war, zur Schule zu gehen, traf ich mich regelmäßig mit meinen Freundinnen zu Hause, um dort gemeinsam zu lesen. Abgesehen von iranischen Zeitungen lasen wir am liebsten Romane wie zum Beispiel „Les Misérables“ von Victor Hugo, aber auch andere große Klassiker wie Jack London, Jules Verne oder Agatha Christie. Diese Bücher gab es noch aus früheren Zeiten als Übersetzungen.
*Wann hast du dann angefangen, selbst zu schreiben?*
Ich war damals 18. Es gab einen Tag, an dem ich mich schrecklich fühlte, wie gefangen… Ich nahm einen Kugelschreiber und schrieb über dieses innere Gefängnis. Als ich das am nächsten Tag in der Schule vorlas, war meine Lehrerin sehr angetan und förderte von da an meine Bemühungen.
*Deine Gedichte sind alle ziemlich traurig…*
Ich bin ein trauriger Mensch. Das liegt daran, dass ich lange Zeit nichts anderes kannte als Krieg, aber auch an meiner familiären Situation. Meine Eltern sind geschieden, und mein Bruder, mit dem ich mich wirklich gut verstehe, und ich leben jetzt getrennt, jeder bei einem Elternteil.
*Du schreibst besonders viel über die Liebe, die immer ohne Hoffnung zu sein scheint.*
Ja, wie es in „Ich lebe in einer Stadt“ heißt: Die Liebe hat bei uns einen schlechten Ruf. Bei uns entscheiden die Eltern, wen man heiratet, das gilt für die Jungen wie für die Mädchen. Die Mädchen müssen aber ganz besonders auf ihren Ruf achten, und der kann schon ruiniert sein, wenn nur herauskommt, dass man sich für jemanden interessiert. Wenn jemand sich hier verliebt, tut er den anderen Leid. Es ist besser, sich nicht zu verlieben, denn es ist ganz hoffnungslos.
*Dürft ihr denn euren Eltern nicht zumindest jemanden vorschlagen?* Nein, das ist meistens unmöglich. Das würden wir kaum wagen. Manche Eltern, wie mein Vater, erlauben ihren Kindern, den Vorschlag der Eltern gegebenenfalls abzulehnen. Das ist alles.
*Schreibst du deine Gedichte direkt auf Deutsch oder übersetzt du sie aus dem Persischen?*
Nein, ich schreibe sie gleich auf Deutsch. Es fällt mir nicht schwer, auf Deutsch zu schreiben. Außerdem kann man viel freier schreiben als auf Persisch, wo bei Gedichten die Form ganz streng eingehalten werden muss.
*Hast du Vorbilder?*
Nicht direkt- ich habe viele Gedichte in unseren Lehrbüchern gelesen. Besonders gut haben mir Brecht und Marie-Luise Kaschnitz gefallen.
*Was sind deine Pläne für die Zukunft? Was möchtest du werden?* Dichterin oder Deutschdozentin. Am liebsten beides!
*Möchtest du mal nach Deutschland kommen?*
Ja, zum Studium und um das Land und die Menschen besser kennen zu lernen. Aber ich würde nicht dort leben wollen. Ich liebe meine Stadt Kabul.
*Was wünschst du dir für Afghanistan?*
Ich wünsche mir, alle Menschen glücklich zu sehen, besonders die Mütter. Sie mussten während der Zeit des Krieges am meisten ertragen.
Das Interview wurde im Juni 2006 geführt. Mittlerweile ist Aateffa in ihrem letzten Studienjahr und absolviert z.Z. ein Praktikum am Goethe- Institut in Pune, Indien.
Autorin / Autor: Rebecca Rashid und Aateffa Ghafari - Stand: 6. März 2008