Luz blickt auf das Radar, das ihr den nächsten kaputten Satelliten anzeigt. Sie schiebt den Hebel nach vorn und ihr kleines Raumschiff, das mit seiner spitzen Nase an eine Maus erinnert, beschleunigt sofort in seine Richtung.
Schon bald kann sie durch das runde Fenster den silbernen Satellitenbus sehen, an dem nur noch ein Solarflügel hängt. Sie fliegt ein Stück vor, findet mit Hilfe der Kameras am Heck die richtige Position, drückt einen Knopf und lädt langsam den kaputten Satelliten in ihren Transporter. Nachdem die Türen geschlossen sind, düst sie einige zehntausend Kilometer weiter, um den Satelliten in die Weiten des Alls zu entlassen. Jedes Mal, wenn sie die Luke dafür öffnet, kann sie nur den Kopf schütteln. Hat die Welt nichts gelernt? Wie viel Universum braucht es, damit sich etwas ändert?
Die meisten Mülljäger fliegen vollautomatisch um die Erde und fangen mit Greifarmen und Netzen Weltraumschrott ein, bevor sie dann auf dem Weg zur Erde mit ihm in der Atmosphäre verglühen. Andere computergesteuerte Mülljäger sammeln wie Luz die Trümmer von Raketen und Satelliten ein, um sie in eine andere Umlaufbahn zu bringen. Arbeitsplätze wie von Luz gibt es nur, weil Menschen immer noch schneller die richtige Position ausloten können. Und wenn Weltraummüll vor den gigantischen Fensterfronten der Touri-Raumstationen herumfliegt, muss es schnell gehen. For a clean space and a good view, ist auf großen Bildschirmen an den Seiten ihres Raumschiffs zu lesen. Für den Fall, dass sich die Reichen und Schönen fragen, wer ihnen da gerade die Sicht versperrt. Wenn das Mülleinsammeln etwas länger dauert, wird Werbung eingeblendet.
Luz hat einen Mülljäger entworfen, der nicht den eingesammelten Schrott einfach woanders im All ablädt, sondern um ein Vielfaches verkleinert. In einer speziellen Kammer im Inneren des Raumschiffs würden die Trümmer unter enormem Druck zusammengepresst werden. Abgeworfene leere Treibstofftanks würden so auf die Größe einer Münze schrumpfen und könnten anderweitig verwendet werden. Alle Pläne hat Luz auf ihrem Tablet. Alles ist bis ins kleinste Detail berechnet.
So, you are an expert on space debris, hatte die KI im Bewerbungsgespräch gesagt, als Luz anfing, von ihrem Studium der Raumfahrttechnik zu erzählen. Doch bevor sie erklären konnte, dass sie für den Job völlig überqualifiziert war, aber eine Lösung für das Müllproblem im Weltraum hatte, verschwand das animierte Gesicht und ein Arbeitsvertrag erschien. Vollkommen perplex starrte Luz auf das Dokument, dann auf die ablaufende Zeit von einer Minute und drückte auf Accept. Wenn sie erst einmal oben im All war, würde sie schon einen Weg finden, ihre Idee den Verantwortlichen zu präsentieren.
Als sie ihrer Mutter von ihrem neuen Job erzählte, war diese völlig aus dem Häuschen. ¡Una austronauta! hatte sie alle im Dorf wissen lassen. Luz‘ Versuche ihr zu erklären, dass sie de facto nur eine Müllfrau im All war und keine Astronautin, winkte ihre Mutter nur ab. Luz selbst hat sich mit ihrem Raumschiff, genannt mi ratón, angefreundet, ihren Plan hat sie jedoch noch nicht aufgegeben. Wenn sie auf die Erde schaut, hofft sie, vielleicht Argentinien zu sehen, und gleichzeitig spürt sie dann noch mehr den Zeitdruck. Von einem Jahr waren noch vier Monate übrig. Aber wie sollte sie auf sich aufmerksam machen? Wenn sie absichtlich einen Fehler macht, etwa eine Kollision forcierte, würde ihr fristlos gekündigt werden. Sie würde mit der nächsten Rakete zur Erde geschickt werden, ohne je mit einer Person geredet zu haben. Menschlicher Kontakt ist hier oben für Menschen mit Geld.
Als Luz an diesem Abend in ihr Zimmer kommt, sitzt Santa Barbara auf ihrem Bett und zieht ihre Kompressionsstrümpfe aus. „¿Qué te pasa?“, fragt sie Luz mit einem Lächeln. „El día, mi vida me pasa.“ Santa Barbara nickt nur. Eigentlich heißt sie Barbara, aber Luz hat ihr diesen Namen gegeben, weil sie so alt und weise ist. Tatsächlich ist sie nur sechs Jahre älter als Luz, doch weil sie drei Kinder und eine Ehefrau in Chile hat, scheint es Luz als wäre sie ihr um Lichtjahre an Lebenserfahrung voraus.
„Arbeite dich hoch wie Enrique.“, schlägt ihr Santa Barbara im Scherz vor „Ich befürchte dafür habe ich keine Zeit.“, entgegnet Luz. „Und die falsche Ausgangsposition.“ – „Eso es verdad.“, stimmt ihr Santa Barbara zu. „Auf jeden Fall hat mir meine Schwester heute erzählt, dass er jetzt stellvertretender Leiter der Werbeabteilung ist.“
Luz die gerade dabei ist, ihre Schuhe zu öffnen, schaut überrascht nach oben. „Du hast mir nie gesagt, dass dein Cousin dort arbeitet.“ Santa Barbara zuckt die Schultern. „¿Es eso importante?“ Durch Luz‘ Kopf schießen tausend Gedanken. „Absolutamente.“, antwortet sie langsam. „Meinst du, er könnte mir einen Gefallen tun?“ – „Claro. ¿Por qué?“ Luz erzählt Santa Barbara ihre Idee und Santa Barbara gibt ihr anschließend einen Kuss auf die Stirn. „Smart girl.“
Es dauert eine Woche, bis alles fertig und mit Enrique abgesprochen ist. An jenem besonderen Tag beginnt Luz ihre Schicht wie immer um acht Uhr Weltzeit. Kurz vor zehn fliegt sie mit klopfendem Herzen in die unmittelbare Nähe eines der Weltraumhotels. Mi madre me va a matar, geht ihr noch durch ihren Kopf, da springt die Zehntelsekunde von 59 auf null. Luz sprintet mit mi ratón los und positioniert sich direkt vor der größten Fensterfront.
Es piept laut und alles leuchtet rot im Cockpit. Der Computer erkennt, dass sie viel zu nah an der Station ist und versucht die Position ihres Raumschiffs zu korrigieren. Doch Luz hält dagegen. Hoffungsvoll schaut sie aus ihrem Bullauge: die Spiegelung zeigt riesengroß die sich langsam drehende Erde und in roten Lettern leuchtet: Breakthrough in space tech! Ask for Luz Perez.
Der Hebel unter ihrer Hand fängt verdächtig an zu zittern, gleich würde sie weg sein. Da erkennt sie mitten in der Spiegelung des blauen Erdballs ein Gesicht. Die Person muss ganz nah an der Scheibe stehen. Für einen kurzen Moment schaut Luz in zwei weitaufgerissene, grüne Augen, dann wird sie ruckartig in den Sitz gedrückt und ihr Raumschiff wird in All geschleudert. Alles dreht sich, doch Luz ist sich sicher, man wird nach ihr fragen.