Interview - Teil 3
Der Typ Charlotte
*Graw*: Du hast einen Typ – den Typ Charlotte entwickelt, den du sorgfältig inszenierst. Mir fiel zum Beispiel auf, dass du in fast jedem Take etwas anderes trägst – dein derzeitiger Look läßt sich als Mix aus Vintage und High Fashion beschreiben und er ist ziemlich up to date, da eigenwillig und modisch zugleich. Außerdem trägst du durchaus körperbetonte Kleidung, ohne damit allerdings in Klischees von “Sexyness” zu verfallen, etwa mit kurzen Tops.
*Roche*: Genau. Ich verbiete mir, Haut zu zeigen. Damit habe ich zwar grundsätzlich kein Problem, aber das Bauchfreie ist durch so viele Männer und Frauen in der Vergangenheit versaut worden, daß ich mich davon nicht mehr freimachen kann. Es ist mir nicht möglich, in einem bauchfreien, ärmellosen T-Shirt herumzuhampeln, ohne dabei genau zu merken, was ich tue. Deshalb achte ich bei meiner Kleidung darauf, dass alles komplett - also vom Hals bis zu den Schuhen - bedeckt ist.
*Graw*: Das bauchfreie Top ist ja in der Tat überdeterminiert - ein Signal, dass sofort bestimmte Bilder aufruft, denen man nicht unbedingt entsprechen will. Es wäre demnach völlig falsch, deine Verweigerung des Tops mit Prüderie zu verwechseln.
*Roche*: Sobald ich anfange, darüber nachzudenken, dass ich eine Frau bin und im Fernsehen auftrete, kann ich die Kleiderfrage nicht neutral in Angriff nehmen. Ich schmeiße die Sachen für eine Aufzeichnung in die Tasche und bin mir natürlich über den Effekt einer bestimmten Aufmachung im Klaren. Davon kann man sich nicht freisprechen, denn man ist zu sehr verdorben worden, als dass man noch unbefangen sein könnte. Außerdem rede ich, wie gesagt, sehr schnell - und viel - und es gibt Kamera-Umschnitte, wo ich ab und zu nicht im Bild bin. Es ist jedoch schwierig für die Leute zuzuhören, wenn sie meine Augen nicht sehen. Deshalb halte ich es für wichtig, von den Augen nicht abzulenken.
*Graw*: Ich habe den Eindruck, dass du auch Wert darauf legst, in Interviews eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre herzustellen. Du sitzt mit den Leuten am Tisch, statt dich wie auf MTV üblich mit ihnen ins Sofa fallen zu lassen.
*Roche*: In dieser Hinsicht hat sich das Konzept der Sendung auch verändert. Früher wollten wir parallel andere Dinge machen, etwa Boccia spielen auf dem Dach, Golfen gehen, oder Würstchen grillen während des Interviews. Doch ich habe mehr und mehr festgestellt, dass das einfach nicht geht. Das Gespräch leidet darunter.
*Graw*: Ich wollte auch auf deine Sendung mit Alice Schwarzer zu sprechen kommen, mit der du eine Art Kleidertausch veranstaltet hast. Das hat mir gut gefallen, weil du auf sehr spielerische Art das alte Klischee der unmodischen Emanze, ausser Kraft gesetzt hast. Schwarzer outete sich sozusagen als extrem modebewußt.
*Roche*: Sie ist viel modebewusster als ich!
*Graw*: Und du hast ihre alte Garderobe aus den 70er Jahren vorgeführt. Letztlich hat es mich aber doch gewundert, wie sehr du Einverständnis mit ihr demonstriert hast. Man könnte doch auch ein paar Einwände gegen Schwarzers Definition von Feminismus erheben wie auch gegen ihre Neigung zu polarisieren, unzulässig zu verallgemeinern und für “alle” Frauen sprechen zu wollen.
*Roche*: Wir haben ja nicht nur die Sendung über den Klamottentausch gemacht, sondern auch 50 Minuten Interview. Das war ein sehr langes Gespräch über ihr neues Buch, über die Pornographiedebatte und alle möglichen Fragen. Wir haben auch all das behandelt, was ich persönlich immer schon mal von ihr wissen wollte. Ich denke jedoch zu politisch, als dass ich glauben würde, dass diese kurze Zeit noch für “kritische Einwände” reichen würde. Denn es ist nicht möglich, in diesem Rahmen zu sagen, dass ich ein großes Problem mit ihrem Feminismus habe. Mir ging es vorrangig darum, dass die Leute, die ein ganz schreckliches Bild von Alice Schwarzer haben, diese Sendung sehen. Und bei denen will ich nicht auch noch Öl ins Feuer gießen. Natürlich hab ich auch Einwände zu Alice Schwarzer und bin nicht mit allem einverstanden, was sie gemacht hat. Doch wenn man das gängige Bild von Alice Schwarzer abbauen will, muss man Verständnis demonstrieren. Wir haben es im Anschluß an die Sendung “Schulterschluss” genannt. Vielleicht klingt dies ein wenig zu hochtrabend und Musikfernsehen ist natürlich keine Kundgebung. Wir wollten jedoch Folgendes demonstrieren: Hier ist der junge Freak oder wie auch immer die Leute mich sehen, und diese alte Männerpenis-abschneidende Emanze, die viele Leute nicht leiden können, und die beiden verstehen sich total gut. Das war mir erst einmal wichtiger, als Alice Schwarzer vor der Kamera zu sagen, welche Bedenken ich habe.
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Autorin / Autor: Isabelle Graw - Stand: 18. Juli 2001