Eine haarige Angelegenheit - Teil 3

Im Reich der Wissenschaft und Märchen

Haare gut , alles gut

Haare verraten nicht nur etwas über unsere Art, unsere Einstellung oder gesellschaftliche Position, sondern auch über unseren gesundheitlichen Zustand. Mattes, schlaffes, glanzloses, struppiges und brüchiges Haar zeigt an: mir geht’s nicht gut. Unterernährung – etwa bei Magersucht - und der Konsum harter Drogen machen sich an den Haaren genauso bemerkbar wie Infektionskrankheiten und psychischer Stress. Jeder kann sich denken: wem die Haare büschelweise ausfallen, mit dem ist was nicht in Ordnung. Und jeder hat schon die Erfahrung gemacht, wenn die Haare nicht gut aussehen, sieht der Rest meist auch nicht gut aus. Mittlerweile wollen Wissenschaftler auch aus der Zusammensetzung der Haare ablesen können, ob jemand an Mangelerscheinungen oder ernsthaften Erkrankungen leidet. Umgekehrt lässt sich sagen: Haare gut, alles gut! Glänzendes, kräftiges Haar, dass auch ohne Wundershampoos voller Spannkraft und Vitalität steckt, zeugt von Gesundheit und Wohlbefinden.

*Haare haben ein laaaaanges Gedächtnis*
Die Haarwurzeln stehen in Kontakt mit den Blutgefäßen, die die lebenden Haarzellen mit wichtigen Nährstoffen versorgen. Aber neben Mineralien und Spurenelementen bringen sie auch alle anderen Stoffe in die Haare, die im Blut so herumschwimmen: Nikotin, Drogen, Medikamente, Gifte, alles womit man halt freiwillig oder unfreiwillig in Kontakt kommt. In einem 10 cm langen Haar, kann man Substanzen nachweisen, die vor einem Jahr in den Körper gelangt sind. Im Urin und Blut sind Drogen nur wenige Tage nachweisbar, in den Haaren je nach Länge bis zu mehreren Jahren. In den USA ist es mittlerweile gang und gäbe, dass BewerberInnen für Jobs einen Haar-Drogentest über sich ergehen lassen müssen. Haare haben also ein Langzeitgedächtnis. Und so konnte beispielweise erst mit modernen Haaranalyse nachgewiesen werden, dass Napoleon allen Gerüchten zum Trotz nicht mit Arsen vergiftet wurde. Haare spielen also häufig in Strafprozessen als Beweismittel eine tragende Rolle: sei es als Langzeitspeicher für Drogen und Gifte, sei es als Träger des Erbgutes – schließlich hängt die Wurzel an ausgerissenen Haaren meist noch dran und in ihr sind alle Erbinformationen gespeichert.

Haare ab? Ein Alptraum!

Jemanden die Haare gegen seinen Willen zu nehmen, ist eine besonders starke Form der Demütigung und sie ist schon Jahrtausende alt. Im antiken Griechenland wurden Sklavinnen die Köpfe kahl geschoren, die Römer fertigten sich sogar Perücken aus den abgeschnittenen blonden Haaren ihrer germanischen Sklavinnen. Die alten Germanen schnitten ehebrecherischen Frauen zur Strafe und zur Kenntlichmachung der Schande die Haare ab. Manche Indianerstämme skalpierten ihre Feinde bei rituellen Zeremonien, dieser sehr seltene Brauch fand aber erst durch die weißen Eroberer Verbreitung, denn sie boten Geld für den Skalp eines Indianers - sogenannte Skalpprämien. Für den Skalp eines kleinen Mädchens wurden zum Beispiel 50$ geboten.
Ob in den Konzentrationslagern der Nazis oder in amerikanischen Gefängnissen und Militärcamps unserer Zeit - überall werden und wurden Haare geschoren, wo man Menschen demütigen und degradieren, gleichmachen und ihrer Identität und Einzigartigkeit berauben will. Haare zu haben und das Recht, über sie zu verfügen ist eben auch Ausdruck von Freiheit und Menschenwürde. Auch Menschen, denen die Haare zwar nicht gewaltsam genommen werden, denen sie aber alters- oder krankheitsbedingt einfach ausfallen, leiden besonders. Davon sind Männer natürlich weitaus häufiger betroffen, unter den Haarausfallgeplagten Fast-Glatzköpfen boomen daher Haarwässerchen und Selbsthilfegruppen.
Viele PsychologInnen deuten den traumatischen Traum vom Haarverlust u.a. als Traum von besonders schlimmen Kummer, von Sorgen und Verlust und bei Männern als Kastrationsangst!

Haarsträubend!

Die Bedeutung, die Haare haben, schlägt sich natürlich auch in der Literatur, in der Sprache und in der Kunst nieder. In Märchen und ihren Illustrationen tummeln sich haarige Wesen und langhaarige Schöne, denen nicht selten das Haar zum Schicksal wird.
Sei es, dass sie wie die langen Haare der Loreley Unheil bringen, wie bei Rapunzel die einzige Verbindung zur Außenwelt sind oder – wie die drei goldenen Haare des Teufels – zu einer besonderen Prüfung gehören. Auch in „Schneeweißchen und Rosenrot“ hat der böse Zwerg einen magischen Bart, mit dessen Verlust er auch seine Zauberkraft verliert. Man denke auch an den Struwwelpeter, der sich partout nicht kämmen will. Tststs... Oder an die furchterregende Medusa mit ihren schrecklichen Schlangenhaaren. In Japan existierte übrigens auch lange Zeit die Vorstellung, dass sich die Haare eifersüchtiger Frauen in der Nacht in Schlangen verwandeln können.
Künstler wie Botticelli und Renoir waren echte Haarfans und verewigten so manche Langhaarige in einem unsterblichen Gemälde.
Und in der Sprache - es ist wirklich haarsträubend - sind Haare allgegenwärtig: man liegt sich in den Haaren, sucht das Haar in der Suppe, hat Haare auf den Zähnen und findet, dass das eine haarige Angelegenheit ist. Einfach zum Haare raufen! Manchmal lässt man an jemanden kein gutes Haar und muss am Ende selbst Haare lassen – natürlich ist das alles jetzt an den Haaren herbeigezogen und soll nur haargenau zeigen, wie haarspalterisch die deutsche Sprache ist. Darüber müssen wir uns keine grauen Haare wachsen lassen, bestenfalls stehen einem die Haare zu Berge, aber man kann dem haarigen Thema in der Tat mit Haut und Haaren verfallen.

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Autorin / Autor: Sabine Melchior - Stand: 5. Februar 2004