LadyJanna hat einen Artikel zum Tod der kleinen Yue Yue aus China verfasst und fragt sich, ob es "diese dunkle Seite" nur in China gibt, sondern auch hier. Ihre Aufforderung: Hinsehen und solidarisch sein!
Die Gesellschaft und ihre Werte haben sich im Laufe der letzten Jahre deutlich gewandelt. Nicht nur in Deutschland, oder Europa sondern eigentlich in der gesamten Welt. Bedeutete früher die Familie alles, waren Gemeinschaft und Solidarität ebenso wichtig. So ist statistisch nachgewiesen, dass das Individuum immer egoistischer wird und sich vermehrt nur für sich selbst und seinen eigenen Wirkungskreis interessiert. Der Tellerrand schließt sich immer enger zusammen, und der Blick geht nicht mal annähernd darüber hinaus. Die Taten, die nicht direkt als Nutzen, z.B. in Form von Geld oder Macht, verbucht werden können, werden weniger häufig ausgeführt und geschätzt. So arbeiten immer weniger Leute z.B. ehrenamtlich oder zeigen Zivilcourage. Dies liegt zwar nicht nur daran, dass die Menschen immer weniger Mut besitzen, sondern auch dass die Täter immer skrupelloser werden. Es handelt sich hierbei um einen Teufelskreis: Die Gesellschaft wirkt Druck auf das Individuum aus, indem immer höhere Leistungen und Statussymbole gefordert werden, und das Individuum reagiert mit einer stärkeren Fixierung auf sich selbst. Das äußert sich dann eben durch Angriffe oder unterlassene Hilfeleistungen. Doch dies sollte nicht als Entschuldigung für mangelnde Zivilcourage dienen!
So ist jeder Mensch, unabhängig von seiner persönlichen Motivation, Einstellung und Lage, mindestens moralisch dazu verpflichtet, Hilfe zu leisten, wo sie angebracht und benötigt wird. Das impliziert nicht direkte Hilfe unter Einsatz seines eigenen Lebens, doch sekundäre Hilfe in Form von z.B. eines Anrufs bei der Polizei oder Notarzt kann immer (!) erwartet werden.
Jedoch ist es immer häufiger der Fall, dass diese Hilfe, aus den oben genannten Gründen, nicht stattfindet. Die Menschen befürchten einen persönlichen Nachteil, oder erwarten keinen Vorteil, haben Angst aus der Menge herauszustechen, indem sie den Mut aufbringen zu helfen.
*Nichts sehen, nichts hören, nichts wissen*
Wenn man von nichts weiß, wenn man nichts gesehen und nichts gehört hat, kann man nicht zur Verantwortung gezogen werden. Doch wie kann man mit der Schuld weiter leben, nicht geholfen zu haben, als es mehr als nur notwendig war? Dies war eine der ersten Fragen, die ich mir stellte, als ich den Artikel über die kleine Yue Yue las und anschließend das Video dazu sah. Doch wir alle sollten uns eigentlich die gleiche Frage stellen, wie der Vater des kleinen unschuldigen Mädchens: "Was ist mit den Menschen heutzutage los? Die Gesellschaft ist so gleichgültig, so herzlos." Am 13. Oktober 2011 entwischt die erst zweijährige Yue Yue ihren Eltern. Mit unsicheren Schrittchen überquert sie eine Straße, schaut nach rechts, wendet den Kopf nach links und wird von einem weißen Lieferwagen erfasst. Sie gerät unter die Vorderräder. Der Fahrer fährt weiter, hält kurz an, als die Hinterräder das Kind erreichen, scheint fast sogar noch Gas zu geben, um das Hindernis überwinden zu können und fährt weg. Fahrerflucht. Schlimm genug ist es! Wie könnte er es nicht gemerkt haben? Wieso ist es ihm egal? Doch damit endet das Grauen nicht. Es wird nicht sofort ein Notarzt verständigt, oder das Mädchen ins Krankenhaus gebracht. Das kleine Mädchen liegt dort in ihrem eigenen Blut, verkrümmt, fast mitten auf der Straße. Der erste Passant geht an ihr vorbei, ohne das Mädchen auch nur eines Blickes zu würdigen, der Fahrradfahrer schaut kurz hin und ohne seine Fahrt zu unterbrechen, verschwindet er. Sie gehen und fahren Bogen um dieses Mädchen, lassen sie einfach dort liegen! Nur kurze Zeit später kommt erneut ein weißer Lieferwagen, er weicht nicht aus, er fährt erneut über das Kind. Wie schwer waren ihre Verletzungen zu diesem Zeitpunkt. Hätte sie gerettet werden können, wenn dieser zweite Fahrer nicht gewesen wäre? Wenn einer der Passanten vorher Hilfe geholt hätte? Wir werden es nicht erfahren!
*Eine Müllsammlerin versucht Yue Yue zu retten*
Insgesamt passierten 18 Leute die Unfallstelle und ignorierten das schwerverletzte Mädchen. Erst nach 7 unendlich langen Minuten zeigt eine Müllsammlerin die Zivilcourage, die von jedem einzelnen, der vorbeigehenden Passanten hätte gezeigt werden müssen! Sie hebt das Mädchen von der Straße, sucht die Eltern, sodass diese sie ins Krankenhaus bringen können. Doch es ist umsonst. 8 Tage ringen die Ärzte um das Leben des Mädchens. Am 21.10.2011 erliegt sie ihren Verletzungen. Mitleiderregend sind die Bilder der Mutter, die zusammenbricht. Schockierend, die des Vaters, wie er gelähmt vor Schmerz in die Kamera blickt. Ergreifend die Bilder der Retterin, als sie hektisch berichtet, wie sie Menschen um Hilfe bat, auf der Suche nach den Eltern. Dort, dort und dort sprach sie Leute an. Doch was mich wirklich betroffen macht, was mich wirklich zu tiefst erschüttert, was einen Schmerz und eine Trauer in mir auslöst sind die Aufnahmen der ausweichenden und wegschauenden Menschen. Der Autos, die sie einfach überfahren, als wäre sie ein Müllsack und dann weiterfahren, als sei nichts gewesen.
Wieso? Was ist aus der Gesellschaft geworden, dass so etwas möglich ist? Wann haben wir aufgehört an das Wohl anderer zu denken, genauso wie an das eigene? Wann aufgehört Courage zu beweisen, anstatt sich aus allem heraus zu halten?
> Ich habe das Mädchen und die Blutlache nicht gesehen; Ich hatte Angst und meine kleine Tochter weinte; Es war zu dunkel; <
Auch wird als Motiv für diese absolute Ignoranz, die besondere Situation in China angesehen, da schon mehr als einmal ein Retter verklagt, Schadensersatz gefordert wurde.
Aber ist das verdammt nochmal der Grund dafür, warum ein zweijähriges, kleines Mädchen sterben musste? Angst vor der Klage? Ist das ein Grund, einen Menschen sterben zu lassen? Geldverlust, Wohlstandssicherung sind wichtiger als das Leben eines Menschen? Status vor Mitgefühl? Alle moralischen Werte, alles, was eine humane Gesellschaft ausmachen sollte, wird durch so einen Vorfall mit Füßen getreten!
*Wir müssen im Kleinen beginnen, wenn wir das Große verändern wollen*
In Artikeln wird von der „dunklen Seite Chinas“ gesprochen. Doch gibt es diese dunkle Seite nur in China? Oder betrifft der moralische Verfall nicht auch Europa? Die ganze Welt? Es beginnt schon, wenn Mobbingangriffe an Schulen ausgeblendet und vergessen werden. Wenn Missbrauch fast schon toleriert wird, aus Angst vor dem Skandal. Wenn die Prügelei in der U-Bahn nicht unterbunden wird, aus Angst selbst zur Zielscheibe zu werden. Doch es nützt nichts, die Gesellschaft verändern zu wollen. Das hat noch nie funktioniert. Wir müssen im Kleinen beginnen, wenn wir das Große verändern wollen. Also denkt an die kleine Yue Yue, wenn ihr das nächste Mal zur Seite schaut, wenn auf dem Schulhof jemand herumgeschubst wird. Denkt an Yue, wenn ihr eure Schritte beschleunigt, um ja nicht in den Streit zwischen dem großen Mann und der alten Dame mit reingezogen zu werden. Denkt an das kleine Mädchen, wenn ihr die blauen Flecken am Körper eurer Nachbarin bemerkt! Denkt an Yue in jeder Situation, die Zivilcourage erfordert. Die kleine Yue hat es nicht verdient zu sterben, als Kollateralschaden des Egoismus und der Ignoranz. Und so trauere ich um die kleine Yue, sowie man um jedes Opfer sinnloser Gewalt und sinnlosem Egoismus trauern sollte!
Autorin / Autor: LadyJanna - Stand: 24. Oktober 2011