Interview mit Frau Bärbel Sommerkamp-Voß, Lehrerin an der Realschule der Stadt Lage
Infos zur Person:
Bärbel Sommerkamp-Voß, 50 Jahre, verheiratet, eine Tochter, Rukaya (14 Jahre). Ihr
Innenarchitekturstudium hat sie 1987 an der FH OWL-Detmold abgeschlossen. Schon während des Studiums besuchte sie Grundlagenvorlesungen des konstruktiven Ingenieurwesens, aller
geodätischen Vorlesungen, einschl. der Übungsseminare, sowie konstruktiven Lehrveranstaltungen im Fachbereich Architektur. Parallel zum Studium übte sie eine Tutorentätigkeit im Vermessungslabor der FH bei Prof. Dr. R. Richter aus und arbeitete mit an seinem Buch über Architekturphotogrammetrie. Von 1987 bis 1998 arbeitete sie in diversen Architekturbüros, ausschließlich im Hochbaubereich. Ab dem 1.4.1998 arbeitete sie als selbstständige Architektin / Innenarchitektin im eigenen Büro.
Qualifikationen, wie z.Bsp. staatlich anerkannte Sachverständige für Schall- u. Wärmeschutz, Gebäudeenergieberaterin der Deutschen Energieagentur, Qualifizierung für Schutz- u. Instandsetzung von Betonoberflächen ermöglichten ihr, den Umdenkungsprozess im energetischen Bauen mit zu gestalten.
Ihr Referendariat für die ihr als erstes Staatsexamen anerkannten Fächer Mathematik und Physik leistete sie von 2007 – 2009 an der Gesamtschule Friedenstal in Herford. Seit Beendigung des Referendariats, mit dem zweiten Staatsexamen, arbeitet sie an der Realschule der Stadt Lage – Freiligrathschule- mit den Fächern Mathe, Physik und Kunst. Ihre Hobbies sind: Sport: Marathon-Laufen, Mountainbike- u. downhill-Fahren, Fotografieren, Nähen, Lesen.
*Sie engagieren sich als Lehrerin für das Projekt MINTrelation und bringen interessierte Schülerinnen dazu, ihr Berufswahlspektrum zu erweitern. Was ist Ihre (auch persönliche) Motivation dabei?*
In erster Linie bin ich durch meine eigenen persönlichen Erfahrungen zu der Überzeugung gelangt, dass es sehr wichtig ist, sich vielschichtig zu bilden, zu informieren und letztlich für ganz viele verschiedene Bereiche offen zu sein. In den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen kann niemand mehr von einem klassischen Werdegang ausgehen (Schule – Ausbildung – Beruf bis zur Rente). Das bedeutet eine breit gefächerte Allgemeinbildung und lebenslange Freude am „Lernen“. Ich versuche immer wieder, alle Schüler dazu zu bewegen, sich auf Neues einzulassen. Meine ganz persönliche Motivation dabei ist, Mädchen in ihren Kompetenzen zu stärken und zu fördern. Besonders Physik bietet gute Möglichkeiten, deutlich zu machen, dass das nicht das ungeliebte Fach der Mama ist, öde, langweilig und nur ein “Abklatsch“ von Mathe bedeutet. Mit viel
Alltagsbezug, in dem bekannte, einfache Maschinen und Gegenstände auftauchen, realisieren
besonders die Mädchen, dass sie selbst auch einen Bezug dazu haben. Mein eigener Lebenslauf bietet immer genug Ansatzpunkte, den SchülerInnen deutlich zu machen,
wie „uneben“ so ein Lebensweg sein kann. 11 Jahre alleinerziehend mit einer Tochter ist
beispielsweise mit Sicherheit nicht so einfach mit einem Gehalt einer Friseurin zu bewältigen, oder ein Umdenken in einer wirtschaftlich veränderten Situation als Selbstständige. In Relation zu den Problemen setzte ich aber auch immer das Neue, Interessante, dass das Leben nie langweilig wird und immer eine Herausforderung darstellt.
*Viele Lehrer/innen mit denen wir während der Akquise sprachen, erklärten, dass sie keine
Technik-interessierten Mädchen in ihren Klassen hätten. Kann es Ihrer Meinung nach auch sein, dass die Lehrer/innen solche Mädchen nicht "entdecken"? Wie haben SIE die Mädchen darüber informiert?War es schwer, die Schülerinnen für das Projekt zu gewinnen?*
Eigentlich war es nicht schwierig Schülerinnen für das Projekt zu begeistern. Ich hatte immer wieder darauf hingewiesen, sich einfach mal auf etwas völlig anderes als geplant, im Kopf, oder von den Eltern erwartetes einzulassen. Bereit zu sein für neue Herausforderungen. Nachdem sich die Schülerinnen auf der MINTrelation-Homepage umgesehen und gemerkt hatten, dass sie nicht alleine sind, war eigentlich der Knoten geplatzt. Die Botschafterinnen und das Arbeiten im Team bei dem Projekt hat viel sicherlich ihre eigenen Hemmungen vergessen lassen.
*Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass MINT-Berufe besonders bei Mädchen, aber auch bei immer mehr Jungs so unbekannt sind und nicht im näheren Berufswahlspektrum liegen?*
Meiner Meinung nach hängt es eventuell mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zusammen. Nach der Emanzipationswelle der 70er und 80er findet jetzt eher eine Art „Rückbesinnung“ statt. Das einstige Revoluzzer-Denken ist doch eher einer „Egal,-“ oder „Die anderen machen schon-Stimmung“ gewichen. In der Schule kann ich nur für mich beobachten, dass sich die Mädchen in zwei Gruppen spalten: Die einen wissen genau was sie wollen, sind ehrgeizig und haben recht hohe Ziele, und die anderen wollen eher den vermeintlich „leichteren“, bekannten Weg gehen. Klassische Frauenberufe wie Arzthelferin, Frisörin, Verkäuferin etc. (das soll aber in keiner Weise diskriminierend klingen!!) haben in den Familien für die eigene Tochter eine Art gesicherte Position. Viele Eltern kennen sich mit technischen Berufen nicht aus und können nicht einschätzen, was das für ein Mädchen, oder auch Jungen, für Chancen bietet. Bei Unsicherheiten wird dann eher der bekannte Weg vorgezogen. Meine Tochter meinte übrigens dazu, dass viele glauben, dass es viel zu schwer und nicht zu schaffen sei. Dann greift man auf alt Bewährtes zurück. Weiterhin glaube ich, dass viele Jugendliche keinen Bezug zu den Verdienstmöglichkeiten haben. Das ist alles noch zu weit weg und egal ob die Eltern viel oder wenig verdienen: Alle haben Smartphone, Wlan, Flats und die neuesten Kleidungstrends -unabhängig vom Verdienst der Eltern.
*Welche Aktivitäten zur Berufswahlorientierung führen Sie in Ihrer Schule durch? Wie sind Ihre Erfahrungen dabei? Wie oft wählen Mädchen dabei technische Berufe? Tragen die Aktionen zum Abbau geschlechtsspezifischer Berufswahlprozesse bei?*
An der Realschule Lage findet in der Klasse 8 ein Berufe-Parcours statt. Dort werden an einem ganzen Vormittag an verschiedenen Ständen die Berufe präsentiert. Die Schüler bekommen eine Art Laufzettel und machen sich Notizen. Parallel werden in den achten Klassen Berufswahlordner geführt, die je nach Berufsvorbereitungsaktion oder persönlichen Vorlieben weiter vervollständigt werden. Weiterhin wird mit allen achten Klassen der Lagenser Schulen ein „Tag der offenen Betriebe“ organisiert. An einem Samstag werden die Schüler in mehrere Betriebe gefahren und erhalten dort einen Einblick in das Arbeitsleben. In der neunten Klasse machen alle Schüler ein dreiwöchiges Schülerbetriebspraktikum mit anschließender Präsentation in der Aula. Der Berufsberater des Arbeitsamtes vergibt Termine zur individuellen Berufsberatung in Verbindung mit einem Eignungstest. Parallel zu den schulischen Aktivitäten engagieren sich die Lehrer in persönlichen Gesprächen oder mit Hinweisen und Vorschlägen.
*Was denken Sie über die Rolle der Medien? Wie könnten sie mehr zur Verbesserung der
Bekanntheitsgrades und des Images dieser Berufe beitragen?*
Generell denke ich, zunächst müssten die einschlägigen Sender das Bild der Frau ins rechte Licht setzen. Bei sogenannten Wissensshows spielen Männer die Hauptrolle als Experten und Frauen die Rolle der Assistentinnen oder als „nettes Beiwerk“. Das ist sicherlich ein Hauptproblem. Den jungen Erwachsenen wird immer wieder suggeriert, dass Frauen nur gut aussehen und lächeln müssen, das „Wissen“ steht den Männern zu. Vielleicht wäre eine Sendereihe über die sogenannten typischen Männerberufe empfehlenswert. Was macht man in den sogenannten Technischen Berufen? Wie kann ich als Frau dort meinen Weg machen? Wäre das etwas für mich? Was für Bedingungen muss ich erfüllen? Muss ich ein Mathe-Genie sein, um in solch einen Beruf zu arbeiten? Sendungen wie „Galileio“, „Wissen macht Ah“, usw. haben vielen Jugendlichen die Abneigung gegen Naturwissenschaften genommen. Das müsste aufgegriffen werden und in die entsprechenden Berufsbilder weitergeleitet werden. Auf der einen Seite die Natur oder Technik, wie funktioniert das und anschließend: Wie kann ich dort mit arbeiten, mit entwickeln, mit forschen und entdecken?
Weiterhin: Anlaufstellen bieten, Materialien an Schulen, Projekttage, die von Radio- oder
Fernsehsendern an Schulen vorbereitet und durchgeführt werden.
*Was müsste sich Ihrer Meinung nach bei Schulen, Lehrer/innen, Eltern und Berufsberater/innen ändern, damit mehr Mädchen einen technischen Beruf wählen?*
Es könnten Projekttage (für Eltern, Schüler und Lehrer) in Verbindung mit den Unternehmen geplant werden. Einzelne Schüler könnten als Besucher einen Tag in einem Unternehmen oder Büro hospitieren. Vertreter, Ausbilder der Firmen könnten in die Klassen gehen. Lehrer müssten mehr und gezielteres Material an die Hand bekommen. Für die „klassischen“ Lehrer ist es selbst schwierig, die einzelnen Berufsbilder zu erarbeiten, da sie in der Regel nie in der freien Wirtschaft gearbeitet haben. Es müssen neben den Unternehmen auch Firmen, Büros und auch Handwerksbetriebe angesprochen werden, die Ingenieurinnen, Statikerinnen, Architektinnen, Konstrukteurinnen, Tischlerinnen etc. beschäftigen. Weiterhin öffentliche Betriebe wie Bau- u. Straßenbauämter. Insgesamt müsste es wahrscheinlich breiter gefächert sein, da nicht jeder in einer großen Firma arbeiten möchte, sich aber schon vorstellen könnte, einen Konstruktionsberuf zu ergreifen.
*Und was müssten Ihrer Meinung nach die Unternehmen verstärkt machen, um mehr junge Frauen anzusprechen?*
Wie vorhin bereits erwähnt: Öffentlichkeitsarbeit: Direkt an die Schulen gehen, Projekttage, Hospitationen etc. anbieten.