Kein Geld für ein warmes Essen
Die UNICEF-Vergleichsstudie 2012 prangert an: Reiche Länder – arme Kinder
"Was gibts heute zu essen?" Könnt ihr euch vorstellen, dass es im reichen Deutschland Kinder gibt, die auf diese Frage nur ein Achselzucken ernten und statt einer warmen Mahlzeit nur ein Brot auf dem Teller haben? Und es sind nicht wenige, die auf vieles, was selbstverständlich sein sollte, verzichten müssen. Wie die neue UNICEF-Studie „Kinderarmut messen – Neue Ranglisten der Kinderarmut in den reichen Ländern der Welt“ ergab, erhält in Deutschland zum Beispiel eines von 20 Kindern keine tägliche warme Mahlzeit. Und nicht nur daran fehlt es ihnen. An einem Index, den die UNICEF aufgestellt hat, lässt sich ablesen, was eigentlich Standard sein müsste für Kinder und Jugendliche in reichen Ländern. Dazu gehören 14 verschiedene Güter oder Angebote wie zum Beispiel drei Mahlzeiten am Tag, davon eine warme, altersgerechte Bücher, Geld für Schulausflüge, ein ruhiger Platz für Hausaufgaben, zwei Paar Schuhe, die Möglichkeit, Freunde zu sich nach Hause einladen zu können, ein Internetanschluss oder Freizeitaktivitäten zum Beispiel in einem Sportverein.
Eine repräsentative Erhebung der Europäischen Union unter 125.000 Haushalten ergab: Rund 13 Millionen Kinder in 29 Industrieländern entbehren mehr als zwei dieser grundlegenden Dinge. Dies wird als Hinweis auf eine besondere Mangelsituation bewertet. In Deutschland liegt dieser Anteil bei 8,8 Prozent. Beim Ländervergleich belegt Deutschland Platz 15 von 29 Ländern und schneidet deutlich schlechter ab als Dänemark (2,6 Prozent) oder Schweden (1,3 Prozent). Im Vergleich zu Schweden ist die Mangelliste hierzulande sogar fast sieben Mal höher. Besser als in Deutschland geht es auch Kindern in Großbritannien, obwohl dort die Pro-Kopf-Einkommen im Schnitt niedriger liegen als bei uns. Am schlechtesten aber geht es Kindern in ärmeren Staaten Europas wie Rumänien, Bulgarien und Ungarn.
Am häufigsten mangelt es Kindern hierzulande an regelmäßigen Freizeitaktivitäten (6,7 Prozent). Nahezu eins von 20 Kindern muss auf eine tägliche warme Mahlzeit verzichten. 4,4 Prozent der Mädchen und Jungen haben keinen Platz, an dem sie ihre Hausaufgaben machen können. 3,7 Prozent der Kinder besitzen höchstens ein einziges Paar Schuhe. 3,1 Prozent der unter 16-Jährigen erhalten nie neue Kleider und drei Prozent leben in einem Haushalt ohne Internetanschluss. Besonders häufig müssen Kinder in Deutschland auf wichtige Dinge verzichten, wenn die Eltern arbeitslos sind oder wenn sie einen niedrigen Bildungsabschluss haben.
Seit der Vergleichsuntersuchung von 2005 hat sich Deutschland zwar leicht verbessert. Doch andere Länder würden laut UNICEF deutlich mehr dafür tun, um die materielle Situation von Kindern zu verbessern. Aus der jetzt vorgelegten speziellen Studie zur materiellen Situation von Kindern ergeben sich aus Sicht von UNICEF folgende Forderungen:
- Auch in Zeiten der Finanzkrise sollten Kinder Vorrang haben, denn es gebe einen klaren Zusammenhang zwischen Ausgaben für Kinder und positiven Wirkungen einer solchen Politik. Die Einsparungen im Zuge der Finanzkrise dürften nicht dazu führen, dass die Interessen von Kindern hinten angestellt werden.
- Deutschland müsse einen umfassenden Aktionsplan entwickeln, um Kinderarmut zu senken. Die Bundesregierung sollte gemeinsam mit den Ländern genaue Ziele mit Zeitangaben festlegen, um Armut und Ausgrenzung Schritt für Schritt abzubauen. Dabei müssten besonders benachteiligte Kinder an erster Stelle stehen.
- Politik für Kinder brauche genauere und aktuellere Daten und Fakten. Alle untersuchten Länder registrierten zwar vierteljährlich ihr Wirtschaftswachstum, ihre Inflation oder ihre Beschäftigungsraten, aber wichtig sei auch, Daten zur Lage der Kinder und insbesondere zu Kinderarmut regelmäßig und in kurzen Abständen – mindestens einmal pro Jahr – zu erheben.
"Es ist enttäuschend, dass Deutschland es nicht schafft, die materiellen Lebensbedingungen für Kinder entscheidend zu verbessern“, sagte Christian Schneider, Geschäftsführer von UNICEF Deutschland. "In reichen Industrieländern sollte kein Kind notwendige Dinge entbehren müssen.“
Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 31. Mai 2012