Einsendungen zum Schreib- und Bilderwettbewerb im Wissenschaftsjahr 2012 - Zukunftsprojekt Erde
Hypnotisch.
Das Meer lebt. Es ist aufgebracht, aufbrausend. Will nehmen, Opfer fordern und für immer
verschlingen. Es ist wild, unkontrollierbar, und hat doch etwas faszinierendes. Ich weiß, das Meer will mich, doch es wird mich nicht so schnell bekommen, vielleicht niemals. Vielleicht aber auch schon morgen. Ich weiß es nicht. Wenn ich das nächste Mal schwach werde, dann wird es soweit sein. Das Wasser schimmert, tief in meinem Innern weiß ich, dass unter der Oberfläche, die scheinbar so ruhig daliegt, mehr sein muss.
Hypnotisch.
Glitzernd, verführerisch. Es ruft mich.
Das Meer, der letzte Ort, der mir noch geblieben ist. So wütend, so schäumend, als wäre es empört
darüber, was wir ihm angetan haben. Was wir ihm angetan haben, was wir der Natur angetan haben,
was wir uns selbst damit angetan haben.
Jemand hätte es wissen müssen. Jemand hätte die Verantwortung übernehmen müssen.
Irgendjemand. Es gab Stimmen, die davor gewarnt haben. Münder, die gestopft werden mussten.
2054 war in gewisser Weise das Ende der Welt. Wieder mal. Nur diesmal wirklich. All mein Wissen
von der Zeit davor basiert auf alten Schriften meines Großvaters. Soweit ich weiß, hat die
Zerstörung der Erde damit begonnen, dass unsere Vorfahren auf Kosten der Nachwelt gelebt
haben. Sie benutzten Kernenergie, ohne zu wissen, wohin mit dem Müll. Sie machten sich keine
Gedanken darüber, was kommen würde, waren engstirnig, haben nicht zur Seite geblickt und auch
nicht nach vorne. Ich wünschte, ich könnte in der Zeit reisen und alles verhindern. Verhindern, dass
die Erde grau wurde, vom Beton der überall ist. Verhindern, dass Menschenleben so wertlos geworden sind. Verhindern, dass die Erde trostlos und tot geworden ist. Doch es geht nicht. Nie wieder wird diese Erde sich erholen von dem, was unsere Vorfahren ihr angetan haben.
In einer der Schriften meines Großvaters heißt es:
Zukunft?
Grau in grau
Der Himmel nicht blau
Die Zukunft ist jetzt
Wir haben verletzt,
was einst uns erschuf,
jetzt fordert sie Blut:
Unsere Erde
die sich nie wehrte
Erst müssen wir
alles zerstören
was uns gegeben
damit hier
auf dieser Erde
uns Menschen klar werde:
Alles vergeht
da die Zeit nicht steht.
Irgendwie muss er vorausgesehen haben, was kommt. Er versuchte, die Menschen zu warnen. Dafür musste er sterben. Offiziell an Altersschwäche, doch er war zu jung und in zu guter Verfassung dafür. Meine ganze Familie musste sterben, aus Rache, als Strafe, ich weiß es nicht genau. Wer kennt schon die Beweggründe unserer unerbittlichen Regierung? Nur ich bin durch einen Zufall entkommen. Jetzt werde ich gesucht, da ich undercover gegen die Regierung kämpfe. Ich versuche, die Leute zu Protest zu animieren. Nicht mit großem Erfolg, doch meine Möglichkeiten sind begrenzt. Und ich setze mein Leben aufs Spiel.
Jetzt, im Jahr 2077 ist kaum ein Fleck auf der Erde noch grün. Alles ist grau, trostlos. Die Tage der Menschheit sind gezählt. Und ich sehe keinen Ausweg mehr.
Sie haben mich in die Enge getrieben, die Ordnungshüter der Regierung. Ich renne, hetze, flüchte.
Nur weg von den schwarzen Gestalten, die vom Schatten zu leben scheinen. Keuchend stolpere ich über ein Feld, in Richtung Klippen. Noch sind sie etwa fünfzig Meter entfernt von mir, die schwarzen Gestalten. Da ist schon der Abgrund, ruckartig muss ich in vollem Lauf stoppen und die Arme ausbreiten, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Unter mir brodelt das Meer hasserfüllt.
Hypnotisch.
Ein letztes mal drehe ich mich um, werfe einen letzten Blick auf das Feld, auf diese elende, zum Tode verdammte, niedergebrannte Welt. Doch anstatt Mitleid zu empfinden spüre ich nur Verachtung und lodernden Hass.
Mein Entschluss steht bereits fest, das stand er bereits, als die Truppen am späten Nachmittag an meine Tür geklopft haben und ich wusste: Ich kann nicht mehr, kann nicht mehr länger flüchten, ich bin zu schwach, zu erschöpft. Nur noch eine letzte Flucht musste sein. Die Flucht hierher.
Jetzt wende ich mein Gesicht wieder dem Meer zu. Der salzige Wind schlägt mir ins Gesicht, und ich kann die Schritte meiner Verfolger schon hören. Ein Ausweg bleibt, zumindest mir. Ich kann es nicht mehr ertragen, zu wissen, wie unsere Lebensgrundlage mit Füßen getreten wird, wie sie Stück für Stück abstirbt, das halte ich nicht mehr aus.
Ich breite die Arme aus und stoße mich kraftvoll vom Boden ab, hoffe, dass ich dadurch in eine bessere Welt gelange, irgendwie. Wie ein schwarzer Schatten, an den sich keiner mehr erinnern wird, gleite ich in Richtung der schwarzen Brandung durch die kühle Nachtluft. Es ist geschehen, mein Schicksal ist besiegelt, ich bin schwach geworden. Im Fallen beobachte ich das Meer, wie es auf und ab wogt und wie sich weiße Schaumkronen bilden, wenn es auf die Felsen trifft. Die Zeit, in der ich falle, fühlt sich ewig an. Ich denke darüber nach, dass ich mir keinen schöneren Tod wünschen könnte. Dann kommt der Aufprall auf dem Wasser, ein letzter Atemzug, dann werde ich von einem Strudel in die Tiefe gezogen. Die Luft wird aus meinen Lungen gepresst. Im letzten Moment meines Lebens, bevor das Wasser in mich hineinströmt, erlange ich die Erkenntnis: Alles ist besser. Alles ist besser als diese Erde, diese Menschen ohne Gefühle. Egal, was kommen mag, egal, ob überhaupt noch etwas kommt nachdem ich diese Erde, dieses Drecksloch verlassen habe, ich bin für alles gewappnet, für alles bereit. Denn ich habe die Hölle bereits gesehen.
Dann wird alles schwarz.
Doch ich bin glücklich mit meinem letzten Gedanken.