Einsendungen zum Schreib- und Bilderwettbewerb im Wissenschaftsjahr 2012 - Zukunftsprojekt Erde
Wild wächst das Gras in die Höhe. Ich lausche. Das Summen und Zirpen von Insekten, das Zwitschern der Vögel. Ich muss lächeln. Wie schön diese Geräusche in meinen Ohren klingen. So wunderschön vielfältig, so fröhlich. Ein Schmetterling fliegt dicht an mir vorbei und lässt sich auf einer bunten Blume nieder. Ich staune darüber, wie sehr die Farben harmonieren. Sonnenstrahlen dringen durch das grüne Dickicht, fallen auf meine Haut. Mir wird warm im Schatten der alten Eiche. Doch ich bleibe liegen. Fühle die weiche und doch feste Erde unter meinem Körper. Rieche den süssen, zarten Duft des Frühlings, genieße die Stille um mich herum. Kein Automotor, kein Rasenmäher, kein bellender Nachbarshund. Nur mein Atem und die Stimme der unberührten Natur.
Langsam schließe ich die Augen, und wie ich da liege auf dieser wilden Wiese, werde ich plötzlich unendlich glücklich. Ich schöpfe Mut und Hoffnung, Glaube und Liebe. Ich spüre, wie mir die Tränen über die Wangen laufen. Freudetränen. Ich horche weiter, und da höre ich ihn plötzlich, stark und gleichmäßig, durch nichts auszulöschen. Der Klang des Lebens: Der Herzschlag der Erde.
Als ich die Augen öffne, weiß ich es sofort. Es war ein Traum, eine Erinnerung an eine längst vergangene Zeit. Ich richte mich auf und schlurfe zum Fenster. Ich schiebe die Vorhänge zur Seite und fühle eine grosse Trauer in mir aufsteigen. Wunder gibt es nicht, denke ich und starre an den grauen, von Wolken überhängten Himmel. Leichter Regen fällt, es ist düster und dunkel. Ich schließe die Augen und versuche mich an das Gefühl von Sonnenstrahlen auf meiner Haut zu erinnern. Erfolglos. Zu viel Zeit ist vergangen, zu viel Schaden angerichtet worden. Ich blicke auf die Strasse unter dem Fenster. Die Menschen drängen sich aneinander vorbei, schubsen sich, schreien sich an. Es herrscht Angst und Hoffnungslosigkeit. Die Gebäude ragen hoch in den Himmel. Graue, viereckige Blöcke, so weit das Auge reicht. Die Stadt hat kein Ende. Ein grüner Fleck ist nirgends zu entdecken. Nachdem durch das Ansteigen des Meeresspiegels große Inseln wie Venedig langsam versunken sind, mussten jede Menge neue Häuser gebaut werden, dort wo sich früher noch grüne Landschaften erstreckten.
Es klopft an der Tür. „Herein,“ rufe ich. Schlurfend kommt er zu mir, stellt sich neben mich ans Fenster. Traurig schaue ich ihn an. Er ist blass und mager, erschöpft. Vor zwei Monaten hat er die Diagnose Leukämie bekommen. Tagelang habe ich geweint, um ihn getrauert. Und dann, plötzlich, bin ich unglaublich zornig geworden. Warum ausgerechnet er? Er, der in früheren Jahren so hartnäckig gegen die Atomkraftwerke gekämpft hat? Warum hat es ausgerechnet ihn so hart getroffen, als das Atomkraftwerk Brokdorf zerfallen ist? „Scheiße,“ murmelt er und seufzt. Dieser dauernd graue Himmel lässt ihn verzweifeln. Wie viel hätte er dafür gegeben, an einem seiner letzten Tage die Sonne zu sehen. Aber die Sonne hat sich schon seit Monaten nicht mehr blicken lassen. Die Luft ist verschmutzt, man kann kaum mehr atmen. Pflanzen können keine mehr wachsen. Immer mehr Menschen sterben durch den rasant ansteigenden Sauerstoffmangel.
Ich denke daran, wie oft ich mit dem Auto zur Arbeit gefahren bin. Ohne Bedenken. Die Ferien, die ich genutzt habe, um überall auf dieser Welt herum zu jetten. Ohne Zweifel. Wie viele Kleider ich gekauft habe, ohne darauf zu achten, woher sie kommen. Das Fleisch, das ich ohne schlechtes Gewissen verspeist habe. Das Leder meiner schicken Stiefel, für welches Tiere getötet wurden. Den Abfall, den ich ohne Nachzudenken auf der Straße habe liegen lassen. Ich denke an das Wasser, das ich verbraucht habe, um meinen Pool zu füllen. Die vielen I-phones, I-pads und I-pods, die ich benutzt habe. Die Abende, die ich bei MacDonalds verbracht habe. Warum habe ich das getan, frage ich mich. Weshalb habe ich es so weit kommen lassen? Und jetzt merke ich, wie einfach es doch gewesen wäre. Zu verzichten. Alternativen und Kompromisse einzugehen. Zu handeln. Reue kommt in mir hoch. Doch die Zeit kann nicht zurückgedreht werden.
Der Lärm von hupenden Autos und schreienden Menschen dringt an mein Ohr. Ich schliesse die Augen und lausche. Ein klingendes Handy, ein weinendes Kind, der Regen, der leicht auf die Strasse unter mir fällt. Und dann, wie ich so lausche, höre ich ihn. Ganz leise und langsam. Nur noch ein schwaches Pochen. Und doch ist er noch da. Schlägt weiter im Rhythmus der Sekunden. Der Herzschlag der Erde.
Dieses leise Hämmern verändert alles. Plötzlich weiss ich, dass noch nichts vorüber ist. Die Erde ist noch lebendig und man kann noch versuchen, sie zu retten. Bevor der Herzschlag aussetzt. Bevor sie stirbt.