Der Glaube an ein Wunder

Einsendung zum Wettbewerb U 20 - Ü 60

*12.06.2011*
Lieber Finder,
der Brief, den du gerade erhalten hast, wurde am 12.06.2011 von Melanie Ritter in Ystad (Schweden) ins Meer geworfen. Ich bin 67 Jahre alt und wohne eigentlich in Hamburg (Deutschland). Diese Flaschenpost habe ich geschickt, weil ich ein Wunder erleben möchte und für mich wär es ein Wunder, wenn ich eine Antwort bekommen würde. Aus diesem Grund bitte ich dich, lieben Finder, mir zu antworten, egal wann und wo du diesen Brief liest. 
Liebe Grüße Melanie Ritter
PS.: Badestraße 17 20148 Hamburg ‎


Noch ein letztes Mal las sie den Text durch, bevor sie das Papier rollte, es in die Weinflasche steckte und sie mit dem Korken verschloss. Mit kleinen Schritten kam sie dem rauschenden Meer immer näher. Sie spürte die Sandkörner unter ihr und ihn ihr wurde alles ruhig. Aber doch war da diese Leere. Eine Leere, die sie seit langem spürte. Die Leere war gemeinsam mit dem Tod von ihrem verstorbenen Ehemann gekommen. Damals die erste Begegnung mit ihm war nämlich ein Wunder. Sie hätte nie gedacht, dass die Liebe auf den ersten Blick existiert. Doch sie wurde damals, am Tag ihres Treffens, anders belehrt. Sie hatten in ihren gemeinsamen Jahren sehr viel erlebt. Erlebnisse bei denen sie viel gelacht, geredet und manchmal auch geweint hat. Doch mit seinem plötzlichen Tod kam auch wieder die Unsicherheit zurück in ihr Leben. Sie glaubte nicht mehr an Wunder. Deshalb auch die Flaschenpost. Als kleines Kind hatte sie oft mit ihrem Vater Briefe geschrieben und sie auf die gleiche Weise verschickt. Doch damals hatte sie nie eine Antwort bekommen. Noch ein letztes Mal sah sie die Flasche an und warf sie dann in das Meer. Sie beobachtete die Flasche noch lange und als sie endgültig verschwunden war, ging sie zurück dorthin, wo sie hergekommen war.

*4 Monate später*
Die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster in ihr Gesicht schienen, weckten sie wie jeden Tag um dieselbe Uhrzeit. Es war 7:52 Uhr. Langsam stand sie auf und wie auch jeden Tag davor, ging sie in die kleine Küche und machte sich einen Kaffee. Danach zog sie sich um, ging ins Bad und öffnete alle Vorhänge, um die ersten Sonnenstrahlen in ihr Haus zu lassen. Als sie den Postboten draußen auf der Straße entdeckte, bewegte sie sich in langsam Richtig Haustür. „Guten Morgen, Melanie. Ist es nicht ein schönes Wetter? Ich fand den Herbst noch nie so schön! Hier ist übrigens ihre Post.“, hörte sie den Postboten wie jeden Tag sagen. Mit einem freundlichen „Hallo“ und „Danke“ nahm sie die Post entgegen und ging wieder zurück in das kleine Haus, welches an diesem Morgen wirklich hübsch aussah. Denn die Laubbäume um das Haus herum, hatten alle wunderschöne rote Blätter, die heute allerdings aussahen als wären sie von Gold ummantelt. Denn dieser Tag war nicht wie die Tage davor. Nein, im Gegenteil er war vollkommen anders. Zusammen mit der Post und einer Tasse Kaffee setzte sie sich an den Küchentisch und fing an die Zeitung zu lesen. Sie las Berichte über Feste, Unfälle, Politik, Kunst und viele andere Dinge. Doch unter der Zeitung versteckte sich noch ein Brief.  Es war ein weißer Umschlag und darauf standen in einer gut leserlichen Schrift ihr Name und ihre Adresse. Voller Spannung öffnete sie den Umschlag und heraus kam ein beigefarbenes Briefpapier ebenfalls mit der schönen Schrift von dem Umschlag.

Liebe Melanie,
ich habe deine Flaschenpost am 10. Oktober 2011 in Kołobrzeg (Polen) am Meer gefunden. Da habe ich gerade meinen Opa besucht. Er hat mir erzählt, dass er auch manchmal mit seinem Vater Flaschenpost in das Meer geworfen hat und er meinte ich sollte dir unbedingt zurück schreiben, weil man das so machen würde. Um ehrlich zu sein, hätte ich nie im Leben gedacht, dass ich einmal eine Flaschenpost finde, weil das heute niemand mehr macht. Das hat auch mein Opa gemeint. Er sagt immer, dass wir irgendwann nur noch von Roboters gesteuert werden. So wie mein Bruder Florian jetzt schon, weil er die ganze Zeit das Handy in der Hand hält. Mein Opa meint auch, dass Flo irgendwann ganz bestimmt viereckige Augen bekommt. Mir fällt gerade auf, dass ich noch gar nichts über mich selbst gesagt habe. Also ich bin Julia Duhme, ich bin 15 Jahre alt und komme eigentlich aus Schlieben, dass liegt irgendwo zwischen Berlin und Leipzig. Jedenfalls finde ich, hast du keinen Grund dazu, nicht an Wunder zu glauben. Warum auch immer du das so siehst, ich bin der Meinung, dass unser ganzes Leben aus Wundern besteht, sogar jeder einzelne Tag. Denn wenn Flo mich heute früh nicht geärgert hätte, dann wäre ich nicht an den Strand gegangen und hätte die Flasche gefunden. Selbst wenn es nur ganz keine Dinge sind, ist es doch ein Wunder, dass sie wirklich geschehen. Weil wenn Florian mich heute nicht geärgert hätte, dann würde ich dir jetzt wahrscheinlich diesen Brief nicht schreiben. Es war ein Wunder!
Liebe Grüße Julia
PS.: Wenn du möchtest kannst du mir gerne antworten. Mich würde es sehr freuen.
        Bahnhofstraße 5
        04936 Schlieben


Nachdem sie den Brief gelesen hatte, trocknete sie ihre Tränen, atmete sie ein paar Mal tief durch und dachte nach. Das Mädchen hatte Recht, jeder Tag war wirklich ein Wunder. Sie hatte keinen Grund diese Leere in sich zu haben. Zwar hatte sie ihre große Liebe verloren, aber sie durfte sich selbst nicht in der Trauer um ihn verlieren, dass hätte er nicht gewollt. Damals ihre Begegnung war ein großes Wunder und sie war sich jetzt sicher, dass sie in ihrem Leben noch viele weitere erleben würde, ob alleine oder gemeinsam war egal. Mit Mühe erhob sie sich von ihrem Stuhl, ging zu dem Schrank mit dem Briefpapier und fing an dem jungen Mädchen, welche ihr den Antrieb gegeben hatte, wieder richtig zu leben, zu antworten. Ab diesem Tag war keiner wie davor, zwar trank sie immer noch den gleichen Kaffee aus derselben Kaffeemaschine wie davor, aber trotzdem war jeder Tag etwas ganz besonders auf seiner eigenen Art und Weise.

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