Liebeslinien

Autorin: Marjaleena Lembcke
„Vielleicht sucht man auch, ohne zu wissen, dass man sucht.“

Die 17jährige Aulikki bricht die Schule ab. Seit dem Tod ihrer Mutter versteht sie sich nicht mehr mit ihrem Vater, und auch mit ihrer Stiefmutter kommt sie nicht klar. Aulikki macht sich aus einem kleinen Dorf in Finnland auf nach Helsinki. Sie will bei ihrer Tante Tiina leben. Dort beginnt sie sich ein eigenes Leben aufzubauen. Durch kleine Nebenjobs, wie Hilfen im Haushalt, verdient sie sicht etwas Geld nebenbei. Sie besucht die Abendschule und möchte ihr Abitur nachmachen. Doch auch die Männer zeigen Interesse an der schüchternen und verschlossenen Aulikki. So etwa der russische Emigrant, ein reicher, älterer Mann, dem sie die Zeitung vorliest und der ihr als Gegenleistung Englisch beibringt. Oder auch der Koch Babu, dessen einziger Traum es ist, ein eigenes Restaurant zu eröffnen. Und auch Veli, ein Mann der Aulikki oft zur Seite steht, ihr aber auch ein großes Geheimnis anvertraut.

Aulikki macht ihre Erfahrungen, doch was Liebe ist, erfährt sie nie. Vielmehr wird sie von den meisten Männern nur ausgenutzt und hinterher bittet man sie über das Geschehene zu schweigen. Aulikki kommt nicht raus aus ihrer eigenen Welt. Sie bleibt alleine mit ihren Ängsten und leidet auch noch Jahre später an dem Tod ihrer Mutter. Fast erscheint sie überfordert mit der Aufgabe, sich ein eigenständiges Leben aufzubauen. Sie kann nicht verstehen, warum sich alles immer um Liebe dreht. Sie kann nicht verstehen, warum alle Menschen um sie herum sich ihrer Gefühle und Gedanken immer so sicher sind. Haben die Menschen im Laufe der Zeit nicht gelernt, das zu sagen, was sie nicht fühlen oder das zu sagen was sie gar nicht meinen, um sich und andere zu schützen?

Etwas naiv wirkt ihre Einstellung zum Leben, was wohl auch damit zusammenhängt, dass es meist ältere Menschen sind, denen sie im Leben begegnet. Doch dann trifft Aulikki Sauli. Einen jungen Fotografen und Jazzbegeisterten, mit dem sie offen über ihre Gefühle reden kann. Sie ist fasziniert von Saulis Einstellung zum Leben, von seinen Gedanken und Aussagen. Sie verliebt sich in ihn und lernt endlich zu verstehen, warum man sich seiner Gefühle so sicher sein kann.

Doch ihre Vergangenheit holt sie ein. Ihr Vater erleidet einen Schlaganfall. Als Aulikki nach dem Krankenbesuch nach Helsinki zurückkehrt, hat sich zwar das Verhältnis zu ihrem Vater und ihrer Stiefmutter deutlich verbessert, doch ihre erste Liebe ist wie vom Erdboden verschwunden. Sich ihrer Gefühle sehr sicher beschließt Aulikki lieber ihr Leben zu beenden, als Sauli hinterher zu trauern. Doch die erste Liebe ist selten die letzte und der Mensch sucht, auch wenn er es selbst nicht weiß.

Fazit:

Ein so simpel wirkendes Buch über das Leben und die Liebe, dem es auf den zweiten Blick keineswegs an Tiefgang mangelt. Wirken auch die ersten Seiten durch häufige Rückblicke etwas verwirrend, so sind die nächsten 190 Seiten fesselnd bis zum Schluss. Sehr einfach geschrieben, nimmt man Teil an der Entwicklung eines Mädchens, das gekennzeichnet ist von einer schweren Kindheit und doch den Willen besitzt, für sich ein besseres Leben zu finden. Mal schwebend, mal mit viel Gewicht beschwert, nimmt sich Aulikki der Aufgabe an, ihre eigene Liebeslinie zu finden und den Wert ihrer selbst schätzen zu lernen. Unterstützt durch die verschiedensten Menschen meistert sie diese Aufgabe und erlangt die Erkenntnis, dass sie nicht alleine ist und Freunde besitzt.

Ein Roman, der schnell zu lesen ist und doch lange zum Nachdenken anregt. Der Leser schwankt zwischen Identifikation mit Aulikki, die sowohl das Leben als auch die Liebe zu verstehen versucht und Distanz mit dem Mädchen, dass immer wieder mit Männern schläft, ohne je etwas zu empfinden, alleine aus dem Grund, dass es die Männer wollen. Trotz anfänglicher Skepsis ein absolut lesenwertes Buch.

Das Buch ist bei dtv junior erschienen.

Autorin / Autor: anacotica - Stand: 13. Mai 2008