Nebel im August
Keine dröge Fallstudie, sondern sehr lesbarer und lesenswerter Roman
"Die Lebensgeschichte des Ernst Lossa" lautet der Untertitel des Buches "Nebel im August" von Robert Domes. Falls es euch genauso geht wie mir, werdet ihr euch jetzt sowas fragen wie "Wer zur Hölle ist Ernst Lossa?". Nun, keine Sorge, genau diese Wissenslücke ist es, die das vorliegende Buch füllen will. Ernst Lossa war ein Opfer der Euthanasie-Politik unter dem Nazi-Regime. Er wurde 1929 als Kind einer Familie von Jenischen geboren, einem fahrenden Volk, das von den Nazis mit den Sinti und Roma in einen Topf geworfen wurde. Im Alter von drei Jahren wurde Ernst in ein Kinderheim eingeliefert, da seine Mutter schwer an Tuberkulose erkrankt war und sich der arbeitslose Vater nicht um vier Kinder kümmern konnte. So begann für ihn eine Abwärts-Karriere, die sich über mehrere Heime erstreckte: Ernst wurde süchtig nach dem Stehlen, fiel den Betreuern immer wieder negativ auf und wurde von Heim zu Heim weitergereicht und als asozial und triebhaft abgestempelt, bis er schließlich im Alter von 13 Jahren in einem Heim für Schwerbehinderte und sonstige Unerwünschte landete, obwohl er körperlich und geistig völlig gesund war. Obwohl sie stellenweise gut durch Kranken- und Prozessakten dokumentiert ist, geriet Ernsts Geschichte lange Jahre in Vergessenheit, bis der Journalist Robert Domes sie schließlich aufgriff und nach fünfjähriger Recherche in Form der vorliegenden Romanbiografie veröffentlichte.
*Keine dröge Fallstudie*
Das Buch erzählt seine Geschichte aus Ernsts eigener Sicht und stellt damit eine Mischung von Fakten und Erfundenem dar. Es folgt Ernst vom letzten Sommer, den er bei seiner Familie verbrachte bis zu seinem Ende in der "Pflege- und Heilanstalt" Irsee. Außerdem enthält es ein sehr lesenswertes Nachwort, in dem der Autor von seinen Recherche-Arbeiten berichtet, eine Zeittafel mit den wichtigsten Ereignissen aus Ernsts Leben und ein Glossar mit Erklärungen von Begriffen für historisch nicht ganz so Bewanderte. Autor und Herausgeber geben sich alle Mühe, nicht im Vorhinein das Ende zu verraten (wenn ich so drüber nachdenke, wie oft mir schon durch Vorworte oder Klappentexte die Spannung verdorben worden ist, sage ich da erstmal sehr laut DANKE). Da man sich als Leser natürlich trotzdem gut denken kann, dass die Geschichte nicht gut endet, besteht bei einem solchen Buch natürlich die Gefahr, dass es in eine hoffnungslose Aneinanderreihung von schlimmen Dingen ausartet, die den Leser zwar bedrücken, letztendlich jedoch auch irgendwie kaltlassen. Domes hat diese Falle meiner Meinung nach sehr geschickt umgangen, indem er die Geschichte zum einen sehr einfühlsam aus Ernsts Blickwinkel erzählt und zum andren immer wieder Momente der Hoffnung einstreut. Domes' Ernst ist nicht nur ein passives Opfer, sondern ein aufgeweckter Junge, der nie seine Hoffnungen und Träume verliert und auf jeder Station seines Lebensweges nicht nur Feinde sondern auch Freunde findet. Diese Gradwanderung ist es, die aus "Nebel im August" nicht nur eine dröge Fallstudie sondern einen sehr lesbaren und lesenswerten Roman macht.
Autorin / Autor: Zachansssian - Stand: 9. Juni 2008