Dienstagmorgen, 8:43. Ich stehe in der Schlange der Filiale einer der bekanntesten Kaffeehaus-Ketten. Die mit dem grünen Logo. Und den leckersten, fairsten und perfekt zubereiteten Kaffee-Variationen. Die, wo der Service ultra-cool, jung und hipp ist. Wo sie deinen Namen wissen wollen und dich mit W-Lan und riesigen Ohrensesseln zum Verweilen einladen. Vor mir eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter. Scheint so, als wären sie noch nie zuvor hier gewesen. Als hätten sie sich mehr oder weniger hierher verirrt. Sie wolle doch nur "einen ganz normalen, schwarzen Kaffee. Ohne Zucker. Nein, nicht zum hier Trinken, sondern zum Mitnehmen. Ob es den Kakao denn auch mit laktosefreier Milch gäbe? Und bitte nicht zu heiß. 7,80 €. Das sei aber happig." Nachdem ihr Rucksack dann mehrmals knapp mein Gesicht und dann beinahe die fein säuberlich drapierten Tassen (heute im Sonderangebot) verfehlt hat, macht sie vor der Kasse Platz für mich.
Ich bestelle und anstatt mich darüber zu echauffieren, dass der Barista (ja, so dürfen sich die Mitarbeiter der Kaffeehauskette offiziell nennen) in meine Privatsphäre eindringt und nach meinem Namen verlangt, ohne dass wir uns überhaupt in irgendeiner Art kennen, diktiere ich ihm diesen brav, zahle und mache Platz für den Mann hinter mir. Ein Geschäftsmann in Anzug, der sich schon mehrmals auffällig laut geräuspert hat, weil ihm das alles nicht schnell genug geht. Ganz professionell bestellt er einen "tall Vanilla Latte mit Sojamilch" während Susanne, die Mutter vor mir, versucht, Kind, Rucksack, einen tall venti Hot Chocolate mit laktosefreier Milch und einen grande Black Coffee, unsweetened, unter einen Arm zu klemmen.
Gregor, der Geschäftsmann, hat ein Telefonat begonnen. Die Kaffeemaschine krächzt, er verdreht die Augen und hält sich das freie Ohr mit der Hand zu. Die nächsten Kunden sind an der Reihe. Skaterboy und Zara Model. Für sie einen "Strawberry Frapuccino ohne Sahne und mit light ice", für ihn "eine spicy Kürbis Latte mit Caramel anstatt Chocolate Drizzle". Er zahlt für sie mit. Ein Schnäppchen, denn der Frapuccino hat heute "last day of summer sale". Nur 9,80 € für beide Getränke. Die beiden freuen sich.
Der Kakao mit laktosefreier Milch hat es nicht aus dem Laden geschafft. Er ist zu Boden gegangen, das Mädchen in Tränen ausgebrochen. Susanne trägt sie über Pfütze und Becher hinweg davon. 3,40 € umsonst ausgegeben. Schade drum.
Gregor hat sein extrem wichtig scheinendes Gespräch zwar noch nicht beendet, schafft es aber trotzdem (erfahren wie er ist), das "tall Vanilla Latte mit Sojamilch für Gregor" aufzuschnappen. Er greift nach seinem Becher, stülpt einhändig und unglaublich geschickt noch einen hellbraunen, vor Hitze schützenden Überzieher über sein Getränk und eilt aus dem Laden. Ich bin beeindruckt. Ein echter Profi.
"Ein venti Chai Latte für Leni". Schon wieder hat man meinen Namen falsch verstanden und notiert. Ich schmunzle. Vielleicht sollte ich ab sofort immer unter einem anderen Namen bestellen. Weiß doch keiner, wie ich wirklich heiße. Geht ja nur darum, dass mein Getränk und ich uns finden. Ich greife nach meinem Becher, lächele den Barista an, der denkt, dass ich Leni heiße und ihn süß finde, weil wir bereits jetzt auf einer extrem persönlichen Ebene kommunizieren und verlasse den Laden.
Warum gehe ich noch mal zu Starbucks? Warum tue ich mir das an? Extrem hohe Preise für Getränke, die auf der ganzen Welt gleich schmecken. Förderung eines Kaffeehaus-Riesen mit circa 4.600 Filialen weltweit. Unterstützung des Untergangs der kleinen, privaten Kaffeeläden. Mittlerweile scheint es geradezu uncool zu sein, mit einem Starbucks-Becher durch eine deutsche Großstadt zu eilen. Moralisch ist das nicht vertretbar, eine solche Übermacht zu unterstützen.
Wer hipp und alternativ sein will, der kauft seinen Coffee to go beim Gemüsehändler oder wenigstens beim kleinen Bäcker an der Ecke.
Wenn es denn überhaupt Coffee to go sein muss.
Wer hipp und alternativ ist, der nimmt sich Zeit für seinen Kaffee. Trifft sich mit seinen Freunden in der geheimen Lounge im In-Viertel. Nippt zwei Stunden lang an der gleichen Tasse Kaffee und kippt dann doch noch eine Flasche Club Mate hinterher.
Starbucks-Becher-Halter signalisieren: Ich bin zwar beschäftigt, aber Zeit für einen Kaffee habe ich trotzdem. Und wenn schon Coffee to go, dann auch den guten, den für 4 €. Wenigstens kann ich mir da sicher sein, dass er immer gleich schmeckt.
Wer Starbucks trinkt, der schließt sich einer Bewegung an. Ob bewusst oder unbewusst.
Die kleinen Luxusprodukte im Alltag. Wer einen Kaffee für 4 € trinkt, dem geht es anscheinend gut.
Außerdem kennt er sich aus in der Branche. Weiß, welches der Getränke aus dem komplett in Englisch verfassten Sortiment das Geld annähernd wert ist.
Wer sich in der Schlange anstellt und bereits weiß, was er will, der gilt als echter Profi. Und egal, wie verpönt Starbucks in einigen Gesellschaftsgruppen scheint: Keiner kann abstreiten, dass er nicht beeindruckt ist, wenn Gregor, während er telefoniert, auch noch sein Getränk bestellt, das Geld passend rausrücken kann und genau weiß, wie viel Zucker er dazu geben muss.
Möglicherweise ist es diese Monotonie. Das gleich Bleibende. Die Tatsache, dass Gregor sich in dem, was er tut, sicher fühlt. Egal, in welcher Starbucks-Filiale er seinen Vanilla Latte mit Sojamilch bestellt.
Als im Jahre 2002 die zwei ersten Starbucks-Filialen Deutschlands in Berlin eröffneten, war die Neugier groß. Kaufte man einen Kaffee bei Starbucks, dann wusste man, was gut war. Der Trend aus Amerika war nach Europa übergeschwappt. Mit Starbucks kamen der Cinnamon Chip Scone, Iced Shaken Hibiscus Tea und der Java Chip Chocolate Cream Frappuccino blended beverage. Was beim ersten Mal klingt wie ein ganzes Menü eines amerikanischen Eiscreme-Geschäfts, sind Trendgetränke. Getränke, die man vorher so nicht kannte. Die neugierig machen. Signalisieren, dass man gerne anders ist und deswegen auch anders trinkt als die meisten. Dass man sich was traut, sich in der Branche der 1001 verschieden zusammengemixten Aromen auskennt und diese so gut findet, dass man dafür gerne 5 Minuten in der Schlange steht. Und vermutlich zehnmal so viel zahlt, als wenn man sie zu Hause selber mixen würde.
Seit 1987 eröffnen weltweit täglich zwei neue Starbucks-Filialen. Zwei Filialen, die neue Kunden in ihren Bann ziehen. Die die kleinen Cafés links und rechts beiseite schieben, obwohl sie nicht preiswerter sind. Filialen, die jede einen jährlichen Umsatz von circa 1,2 Millionen Euro machen werden. Die sich in das Panorama einer jeden deutschen Großstadt und amerikanischen Kleinstadt einfügen und die allen Gregors und Sabines dieser Welt eine neue Auswahl an Getränken präsentieren.
Wenn ich mir mal wieder etwas gönnen möchte, werde auch ich wieder zu Starbucks gehen. Dann bestelle ich aber wahrscheinlich einen kleineren Chai, für 30 Cent weniger. Und nenne mich vielleicht Konsumia.
Autorin / Autor: Text und Bild: lehallet - Stand: 5. November 2013