Das Bildnis von ihr

Einsendung zum Schreibwettbewerb "KörperGEFÜHLE" von alicerose, 15 Jahre

Es ist das Gefühl, dass sie nicht mag, wenn sie vor dem Spiegel steht, sich anschauen muss und immer in die Augen von jemanden schauen muss, denn sie kennt - das "Müssen". Wer mag schon das Gefühl beobachtet zu werden? Sie ist ein junges Mädchen und kann es weit schaffen, oder eher sie könnte es weit schaffen, aber sie ist nicht normal. Keiner von uns ist normal, keiner perfekt und das weiß sie. Es ist nicht die Perfektion, die sie sucht oder auch nicht die Normalität in einer so beschissenen Gesellschaft, sondern das Gefühl. Jeder von uns sucht es und sie vielleicht etwas mehr, denn das ist ihr geblieben.


Aufstehen, Anziehen, Ausziehen, Schlafen und Vergessen - mein Programm, denn ich habe keine Lust auf Schule, kein Bock auf Lehrer und auf mich.

Meine Mutter hat es am Anfang aufgeregt, dass ich so bin (halt wie ich bin), aber wenn es Gott so will? Dann muss sich auch Mutti daran gewöhnen, denn sie hat doch schon drei wundervolle Kinder, also scheiß auf die fette Kuh !
Egal, sicher waren heute wieder fast alle Lehrer krank.

Ich stehe auf und gehe ins Badezimmer. Stille - keiner Zuhause, ich kann heute etwas länger plantschen. Ich liebe es am Morgen zu Baden, denn durch den Fluss, der den Dreck mit nimmt, fühlt man sich für eine kurze Zeit alleine und sicher in seinem Netz aus Wasserperlen und man ist danach auch noch sauber. Ich will baden, denn ich entscheide und lasse deshalb das Wasser laufen.
Ich lege meine verschwitzten Sachen ab und steige in das warme Wasser. Meine Haut prickelt und es ist Glück, alleine hier zu sein und Zeit zu haben. Ich fühle meine Haut, sie prickelt und ich lasse meine Gedanken fließen, wie alles andere was an meinem Körper haftete. Der Dampf vernebelt meinen Verstand. Meine Arme und Hände sind eng um meiner Brust, es kribbelt und ich schließe für einen Moment die Augen und denke an das Passierte und diesen Unfall, wie meine Mutter es genannt hat, aber es war keiner.

An dem Tag kam ich aus der Schule und die Mädchen haben mich wieder gehänselt. Ich war verzweifelt und fing an zu weinen, wusste nicht, was ich machen sollte - außer zu rennen, also rannte ich. Druck baute sich in meinem Brustkorb auf und ich rannte ihn um, den, der mir und anderen Mädchen zulächelt, aber auch derjenige ist, der über meine Witze lacht. Ich rannte ihn um und lag auf ihm. Er sah meine Tränen und ich seine Augen.

Er sagte nichts, sondern nahm mich hoch. Er wischte mir mit einem alten Taschentuch, das er aus seiner Jeans rausholte, die Tränen weg. Ich sah ihn wieder an und er lächelte dieses Mal. Er nahm meine Hand und zog mich zum Park, der nur wenige Meter von meiner Wohnung entfernt ist. Er fing an zu erzählen, ich hörte zu, weil ich ihm nicht widersprechen wollte. Er sagte, ich sei stark, aber ich bin es nicht und er meinte, ich sei nicht dick, aber das bin ich. Er sieht doch die anderen, die schlank sind, die schön sind und auch lustig, aber ich bin nichts. Warum ich weiß, dass ich dick sein soll?
Weil es alle sagen! Meine Mutter sagt es, meine Geschwister ärgern mich damit und ich sehe es selbst.
Ich hörte ihm zu, er kam mir näher und wir küssten uns schließlich. Ich fühlte ihn und er mich.
Es war ein kurzer Moment, aber jetzt eine Erinnerung, die verblasst, als wäre nichts passiert.
Ich löste mich von ihm und rannte weg. Mir wurde heiß, schwindlig und einfach zu viel.
Ich wusste nicht, was das war, aber meine Lippen waren wie eingefroren und erreichte mein Zuhause. Ich rannte die Treppen zu unserer Wohnung hoch und meine Mutter öffnete die Tür, ich ignorierte sie, ließ meine Tasche im Flur fallen, ging zum Bad und schloss ab.

Ich sah in den Spiegel im Bad, der jetzt nicht mehr hier steht und schaute mich an. Da war jemand, den ich nicht mag, den ich hasste und ich wurde wütend. Ich schloss meine Augen und dachte an das, was noch passiert war, als seine eine Hand auf meiner Brust gelegen hatte und seine andere über meinen Rücken hinunterging. Als ich die Augen öffnete, sah ich ein erbärmliches Wesen und ich ballte meine Hände zusammen. Mein Bauch zog sich zusammen und drückte an meiner Brust, Wut, die mich zerstören würde, ich verteidigte mich und schlug in den Spiegel. Es ging kaputt und ich sah überrascht tausende Teile, die zersplitterten und meine Hand blutete, aber es musste sein. Ich hörte meine Mutter schreien, was soll ich machen? Alles fiel zu Boden. Alles wurde rot und ich war kaputt. Es war einfach nix, es war einfach zu viel und es war doch zu schön, wie tausende Diamanten. Ich konnte nicht mehr und die Splitter glitzerten verfürerisch, es war zu verlockend und lag eines in meiner Hand. Es war simpel und es war der Drang es zu probieren. Ich drückte den Splitter in meine Haut, es war wie ein Zerplatzen von einem Luftballon und das Gefühl, was meinem Arm betäubte war belebend. Ich zog die Spitze an meinem Arm hoch und es tat nicht weh, denn es war wie eine Befreiung, alles floss vor Befreiung.

Ich fühlte mich so, als würde ich aufsteigen und die Augen schlossen sich dabei. Das letzte was ich hörte, war meine Mutter, die die Tür aufschloss nachdem sie das Klirren des Glases hörte.

Und nun bin ich hier, schwimme in Erinnerungen und streiche über diese wunderschöne Narbe, meine erste Narbe. Ich laufe mit meinen Fingern diese wunderschöne, silberne Linie nach und sie kribbelt bei den Gedanken, es wieder zu tun, immer wieder. Es ist schon komisch, dass man die ganzen Jahre so behütet wurde und jetzt schon am Ende ist. Ich stehe auf und nehme mir ein Handtuch um mich zu trocknen. Es ist hier leer ohne Spiegel und es ist auch gut so, denn ich brauche mich nicht in den Spiegel zu sehen, ich brauche nicht noch mehr Demütigung. Ich habe Zeit und trockne mich deshalb langsam ab und schaue auf meinen Körper, kann da was attraktiv sein?
Ich greife nach dem Bademantel und ziehe ihn mir über. Scheiß Kälte! Wann ist denn wieder Sommer? Es klingelt an der Tür und weckt mich aus dem Halbschlaf.
Ich brauch die Haustür nicht aufmachen, denn die steht dank unserer blöden Nachbarin immer offen.
Es klopft jetzt an der Wohnungstür und Schritt für Schritt gehe ich dahin und öffne sie.
Da steht keiner meiner Geschwister, sondern er steht da, der der mein Herz zum rasen brachte und es wieder tut. Der mich einfach küsste, aber was soll man machen, wenn er einen so niedlich anlächet.
Ich sehe fragend zu ihm auf und er schlang seine Arme um meine Taille und umarmte mich. Es brennt auf meiner Haut und ich bekomme Bauchschmerzen. Er sieht mich wieder an und ich muss einfach lächeln. Es ist Glück. Er schaut mich kurz an, drück mich an sich und beginnt mich zu küssen. Ich mache mit, will ihn spüren und er öffnet langsam den Bademantel und ich lasse ihn. Er drückt mich gegen die Wand neben der Tür und schließt sie dabei, woher kann er das bloß?
Er küsst meinen Hals und ich schließe die Augen. Alles wird schwarz. Als ich die Augen auf reiße ,sehe ich ihn nicht, ich bin wieder im Badezimmer und liege wieder in der Badewanne. Enttäuscht stehe ich auf und will aufsteigen, aber durch den nassen Boden rutsche ich weg, falle und pralle gegen die Heizung. Scheiß Boden! Ich habe keine Lust mehr aufzustehen und bleibe liegen. Ich verfolge die Bodenmuster und siehe unter der Waschmaschine die Haarschere liegen, die sicher beim letzten Mal heruntergefallen ist. Ich hebe sie auf, eine wunderschöne glatte Oberfläche, nehme sie in die Hand und drücke meinen Zeigefinger gegen das Blatt. Es ist nicht sehr scharf. Ich stehe auf, lege es auf dem Waschbecken und gehe in mein Zimmer, um mich anzuziehen. Als ich kurz darauf, fertig angezogen, in der Küche stehe und eine Tasse mit heißem Tee in den Händen halte, kommt mir eine brillante Idee. Ich strecke den Arm aus und lasse die Tasse fallen, heißer Tee spritzt es in alle Richtungen.Es prallt auf den Boden auf und Teile der Tasse flegen durch die Gegend. Einige der kleine Messer trafen meine Beine und die Füße, aber es tat nicht weh. Ich setzte mich auf dem Boden, egal auf was ich sitze und suche die Größte. Sie war etwas abgerundet und ging von kleinen Finger bis zur ersten Handfalte.
Ich bin aufgeregt, etwa Vorfreude? Ich drückte die kleine aber scharfe Spitze in meinen linken Arm, neben der Narbe vom letzten mal und zog schnell wieder raus. Blut floss und Wärme überkam mich, das Zeichen von Glück? Ich drücke die Spitze mehrmals kurz in meine Haut, um das wunderschöne rot meinem Arm bedecken zu lassen. Haut ist wie ein Ventil, lässt die Schmerzen fliesen,davon treiben und ich vergesse sie ganz. Rot,überall rot und ich werde wieder Müde und wieder mein Kreislauf... Noch ein letztes Mal drückte ich die Scherbe ich in eine andere Wunde, ein kurzer Schrei von Glück und alles ist weg, alles.

Denn sie steht nicht hier, nicht mit mir, sondern ist da, war da und ist dann dort.
Sie ist die Welt, die ich durch ihre Augen sehe, mein Instrument und mehr auch nicht.
Das Gefühl ist da, sie auch und ich bin sie, das Gefühl und sie.
Wer sie nun am Ende ist? Wie gesagt, das bin ich, der Mensch und mein Körper vor dem Spiegel wo ich gefangen bin mit durchsichtigen Fäden. Ich bin die, die verleugnet und vergessen wurde und doch immer noch da ist.
Ich, der Körper der Seele und die Bändigerin der Gefühle.

Autorin / Autor: alicerose, 15 Jahre