Noch vor 2 Jahren dachte ich nicht, dass es einen großen Unterschied geben kann zwischen Körperaussehen und Körpergefühl.
Heute weiß ich, dass es zwei völlig unterschiedliche Dinge sein können. Ich weiß, dass es nicht immer reicht, einen Menschen anzusehen, um zu sagen, wie es ihm geht. Mir sieht man es nicht mehr an.
Ich sehe völlig normal aus, gesund. Gut, vielleicht bin ich etwas blass, vielleicht sehe ich manchmal müde aus und wer mich kennt, sieht mir vielleicht sogar an, dass ich durch den Kampf mit der Krankheit Gewicht verloren habe.
Doch was man nicht sieht, ist diese unglaubliche Schwäche, die mich lähmt, die mich dazu zwingt, jede meiner Bewegungen ganz genau zu planen und jede vermeidbare Anstrengung zu meiden. Trotzdem reicht meine Energie meist nur für das Allernötigste. Auch meine Schmerzen sieht man mir nicht mehr an, denn wer ständig Schmerzen hat, verzieht irgendwann nicht mehr das Gesicht.
Eine Welt, in der sich nicht ständig alles um mich herum dreht, eine Welt ohne Schwindel, ist für mich kaum noch vorstellbar. Doch für andere schwankt der Boden, auf dem wir stehen, nicht, sie wissen nichts von meiner Unsicherheit.
Liegen ist gut, denn dann kann ich wenigstens nicht fallen.
Ich habe eine sogenannte 'unsichtbare' Krankheit.
Ich frage mich, was schlimmer ist: Eine offensichtliche Behinderung, die jeder sieht, sodass jeder die Einschränkungen versteht und (be)mitleidet oder Leid, das für immer unsichtbar bleibt?
Es ist seltsam, dass sich mein Körper nicht sichtbar verändert hat, das Gefühl darin und damit zu leben jedoch auf unschöne Weise ein völlig anderes geworden ist. Es ist, als hätte ich die Kontrolle verloren, als ob da noch etwas anderes in mir wäre, das mich zurückhält und mir viele meiner Fähigkeiten nimmt. Die Krankheit nimmt mir die Kraft für viele Dinge, die früher selbstverständlich waren und damit die Möglichkeit, mein Leben auf meine Weise zu leben.
Ob ich das je als einen Teil von mir akzeptieren kann? Im Moment jedenfalls fühle ich mich nicht wohl in mir, ich fühle mich von meinem Körper im Stich gelassen, der diese Krankheit einfach nicht besiegen kann, der mich immer wieder ohne Vorwarnung mit neuen Symptomen und Gefühlen überrascht. Dennoch ist mir klar, dass es immer noch mein Körper ist und der einzige, den ich habe, was bleibt mir also anderes übrig, als mich damit zu arrangieren und zu lernen, diesen Zustand als meine neue Normalität zu betrachten. Hoffentlich bin ich irgendwann auch wieder in der Lage, zu vertrauen.
Weil man von Außen nicht sieht, wie es mir geht, bleiben mir nur die Worte. Doch wenn niemand zuhört, kämpfe ich ganz allein. Wann habe ich schon die Gelegenheit, mich mitzuteilen?
Woher soll ich wissen, ob mein Gegenüber die Frage nach meinem Befinden wirklich ernst meint? „Wie geht's“ ist doch meist nicht mehr als eine Phrase, ein Gesprächseinstieg und was wäre ich für ein Mensch, würde ich jemandem das schwierige Thema Krankheit aufzwingen, wenn doch in Wirklichkeit niemand gerne darüber redet – ich übrigens auch nicht.
Ich habe gelernt, dass theoretisch jeder, dem ich begegne, chronisch krank sein könnte, denn die meisten chronischen Krankheiten sind nicht sichtbar und auch nicht wählerisch.
Wenn jemand unkonzentriert ist oder sich nicht an meinen Namen erinnern kann, wenn ich von Leuten aufgehalten werde, weil sie langsamer sind als der Rest der Welt, wenn Menschen nicht so können, wie sie sollten, dann verurteile ich das nicht mehr, denn ich weiß ja nicht, was diese Menschen vielleicht gerade durchmachen.
Das größte Leid ist stilles Leid – das Problem ist, dass Menschen meist nur das glauben, was sie sehen und das sehen, was sie glauben. Nur wer ganz genau hinsieht und dazu bereit ist, kann erkennen, dass die Stillen oft die Stärksten sind.
Mein Wunsch ist, dass unsere Gesellschaft sensibler und geduldiger wird im Umgang mit Menschen, die sich nicht mehr auf ihren Körper verlassen können.